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US-Präsident Joe Biden

© REUTERS/Evelyn Hockstein

Update

Haftbefehl gegen Putin: Biden nennt Entscheidung „gerechtfertigt“

In der Ukraine wurden vermutlich zahlreiche Kriegsverbrechen begangen. Nun erlässt das Weltstrafgericht erste Haftbefehle. Die Aussicht auf einen Prozess ist gering – aber es gerät etwas in Bewegung.

| Update:

US-Präsident Joe Biden bezeichnete den wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland im Ukraine-Krieg erlassenen Haftbefehl gegen Wladimir Putin am Freitag als „gerechtfertigt“. Biden erklärte vor Journalisten in Washington, der Schritt des Internationalen Strafgerichtshof sende ein „sehr starkes Signal“.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, sprach von einer „historischen Entscheidung“. Nach seinen Angaben sind weit mehr als 16.000 Kinder verschleppt worden.

„Es wäre unmöglich gewesen, eine solche kriminelle Operation ohne die Zustimmung des Mannes an der Spitze des terroristischen Staates durchzuführen“, sagt er in seiner nächtlichen Video-Ansprache.

Am Freitag hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag bekannt gegeben, dass man wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten erlassen habe. Zuvor hatten die Richter einen entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan auf Ausstellung eines Haftbefehls genehmigt.

Putin sei mutmaßlich verantwortlich für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland, heißt es zur Begründung. Es ist der erste Haftbefehl, den der IStGH im Zusammenhang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen hat. Weitere Haftbefehle sollen folgen, wie die „New York Times“ am Montag berichtet hatte.

Das Gericht erließ zudem einen Haftbefehl gegen Maria Lwowa-Belowa, die russische Beauftragte für Kinderrechte. Auch ihr werden Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Deportation ukrainischer Kinder zur Last gelegt.

Wie unter anderem die „New York Times“ im Oktober 2022 berichtet hatte, wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges tausende Kinder aus der Ukraine nach Russland verschleppt. Dort wurden sie in Familien untergebracht, mit der Absicht, sie zu russischen Staatsbürgern zu machen, in Umerziehungslager oder Waisenheime gesteckt.

Der Kreml gab sich keine Mühe, das Programm zu verheimlichen. Im Gegenteil: Moskau präsentierte diese Deportationen als „humanitäre Maßnahmen“ zum Schutz von Waisen- oder allein gelassenen Kindern in Kriegszeiten.

Im Februar veröffentlichte die Yale-Universität in Zusammenarbeit mit dem US-Außenministerium einen Bericht, in dem die Rede von mindestens 6000 ukrainischen Kindern war, die in 43 Camps in Russland untergebracht sind. Die ukrainische Regierung erklärte im März, dass es mehr als 16.000 Fälle gebe.

Lwowa-Belowa hatte bereits wenige Woche nach dem Beginn des russischen Einmarsches angefangen, Kinder nach Russland zu schicken. Sie trat zudem regelmäßig im Fernsehen auf, um für Adoptionen zu werben. 

Putin soll als Befehlshaber zur Verantwortung gezogen werden. Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert, argumentieren die Richter. Der genaue Text der Haftbefehle wird nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen zu schützen, wie das Gericht mitteilte.

Geringe Aussicht auf einen Prozess

Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch vor dem Gericht in Den Haag erscheinen wird. Russland erkennt das Gericht nicht an. Das ließ auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in einer Reaktion wissen: „Russland erkennt genau wie eine Reihe anderer Länder die Zuständigkeit dieses Gerichts nicht an, deshalb sind die Entscheidungen dieses Gerichts aus rechtlicher Sicht nichtig.“

Die symbolische Wirkung der Entscheidung ist dennoch beträchtlich. So schätzt es auch Peter Rough, Direktor des Center on Europe and Eurasia beim Hudson Institute in Washington, ein. Rough sagte dem Tagesspiegel: „Ich freue mich, dass die unmenschliche Deportation ukrainischer Kinder durch Putin wieder in die Schlagzeilen gerät, damit die ganze Welt sie sehen kann. Aber ich glaube nicht, dass dies ein konkretes rechtliches Ergebnis haben wird.“

Der Internationale Strafgerichtshof hoffe, damit sein Image angesichts seiner schwachen juristischen Befugnisse aufzupolieren - darauf ziele auch dieser Fall ab. „Aber ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Putin in Den Haag nie auf der Anklagebank sitzen wird“, sagte Rough.

Mögliche Haft-„Rezepte“, die von dem Internationalen Gericht ausgehen, sind für uns juristisch nichtig.

Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte erst am Donnerstag in einer Pressekonferenz zu möglichen Haftbefehlen gegen Russen gesagt: „Mit dem Organ arbeitet Russland nicht zusammen. Und mögliche Haft-,Rezepte’, die von dem Internationalen Gericht ausgehen, sind für uns juristisch nichtig.“

Die Entscheidungen des Gerichts hätten keine Bedeutung für Russland. Das Gericht darf ohnehin keine Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten führen.

Der Druck auf die USA wächst

Als Nächstes könnten die Den Haager Richter, so wird erwartet, gegen Verantwortliche der Attacken auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine vorgehen. Die russische Armee bombardiert seit Monaten gezielt die Wasser- und Energieversorgung – Infrastruktur, die nicht als legitimes militärisches Ziel gilt.

Dieser Schritt würde aber auch die USA unter Druck setzen. Denn Washington erkennt die Legitimität des Gerichtshofs ebenfalls nicht an, da es Eingriffe in die eigene staatliche Souveränität befürchtet. Laut der „New York Times“ verfügt die US-Regierung aber über Beweise, die zeigen, dass der Kreml die Angriffe gegen die zivile Infrastruktur bewusst durchführen lässt.

Viele in der Regierung von US-Präsident Joe Biden sind dafür, dem Gericht diese Beweise zur Verfügung zu stellen, heißt es. Aber das Verteidigungsministerium verhindere, dass diese Geheimdienstinformationen übergeben werden. Dies könnte, so die Befürchtung des Pentagon, einen Präzedenzfall schaffen, der dazu führe, dass auch Amerikaner von dem Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Biden habe noch keine Entscheidung getroffen, ob er Beweise freigibt oder nicht.

Erwartungsgemäß wird der moralische Druck jetzt steigen. Denn nicht zuletzt war es Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris, die Mitte Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz verkündete: „Die Vereinigten Staaten sind formal zu dem Schluss gekommen, dass Russland (in der Ukraine) Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat.“ Und die versprach, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

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