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Suchen den Krisen-Kurs für den Herbst. NRW-Regierungschef Hendrik Wüst, Kanzler Olaf Scholz und Berlins Regierungschefin Franziska Giffey.

© Foto: AFP/Michelle Tantussi

Krisengipfel im Kanzleramt: Zwischen Wundertüte und „Wümmschen“

Die Länder-Chefs hadern mit Olaf Scholz, sehen viele ungedeckte Schecks und fürchten eine neue Flüchtlingswelle. Um was im Kanzleramt gerungen wird.

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Mehrere Krisen überlappen sich, es ist zu spüren, dass dies auch bei den führenden Politikern des Landes an die Nerven geht. Haushaltspläne müssen über den Haufen geworfen werden – und die Kritik an einer mangelhaften Krisenkommunikation des Kanzleramts wird lauter. Kanzler Olaf Scholz (SPD) steht unter Druck, rasch Antworten zu liefern, wie denn die von ihm als „Doppel-Wumms“ bezeichneten 200 Milliarden Euro verwendet werden sollen.

Nach dem Bund-Länder-Treffen am Dienstag sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD), mit den drei Entlastungspaketen habe die Bundesregierung insgesamt bis zu 295 Milliarden Euro zur Linderung der Krise eingeplant. Davon werde der Bund 240 bis 250 Milliarden Euro tragen. Die Beratungen dazu, wieviel die Länder tragen, seien noch „nicht abgeschlossen, aber auf konstruktivem Pfad“, sagt Scholz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte zuvor gewarnt, der „Wumms“ könnte zum „Wümmschen“ werden.

Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Stephan Weil (SPD) aus Niedersachsen, der am 9. Oktober eine Landtagswahl bestehen muss, sagte: „Alles in allem aus unserer Sicht gute Gespräche, die sich aus unserer Sicht heute noch nicht in konkrete Ergebnisse haben ummünzen lassen.“ Zentrale Probleme bleiben. Eine Übersicht.

1. Länder-Unmut über den Bund

Nicht nur Unions-Länder, sondern auch SPD-regierte fühlen sich brüskiert. Zwar reden viele jetzt über das 200-Milliarden-Paket, finanziert über neue Schulden, doch bisher ist noch nicht einmal die Finanzierung des zuvor von der Ampel-Koalition beschlossene Entlastungspaket III in Höhe von 35 Milliarden Euro geklärt. Einige Ministerpräsidenten ärgern sich darüber, dass die Bundesregierung ein schönes Paket verkünde und dann den Ländern eine 19-Milliarden-Rechnung zur Mitfinanzierung durch den Türschlitz schiebe.

So könnte die Wohngeldausweitung mit zwei Milliarden Euro zusätzlich zu Buche schlagen, oder die beim Gas gesenkte Mehrwertsteuer und weitere Energierabatte könnten die Länder fünf Milliarden Euro kosten. Angesichts der geplanten Gas- und Strompreisbremse und des neuen 200-Milliarden-Abwehrschirms stellt sich die generelle Frage, ob es noch alle Maßnahmen des Entlastungspakets III braucht.

In Länderkreisen rechnet man damit, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Notlagen-Passus auch 2023 bei der Schuldenbremse ziehen muss, um die 200 Milliarden des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds abrufen zu können. Lindner will aber aus dem Topf nicht zusätzliche Länderforderungen begleichen. Bei den 200 Milliarden Euro handele sich nicht um ein „Sondervermögen“, sondern um neue „Sonderschulden“, sagt Söder.

Der CSU-Chef sagt, er sehe keine Möglichkeit, die Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einzuhalten, wie es Lindner fordert. Der verteidigt das Konstrukt damit, dass er mit dem Sondertopf Krisenkosten von der normalen Haushaltsführung trennen will. Hierüber könnten nun auch Milliardenhilfen für besonders von den Energiepreisen betroffene Unternehmen finanziert werden, was jedoch die Frage aufwirft, ob die 200 Milliarden überhaupt reichen werden. 

In der Beschlussvorlage war von „Zielgenauen Wirtschaftshilfen und Härtefallregelungen, insbesondere für die Industrie, kleinere und mittlere Unternehmen, Handwerk und Einzelhandel“, die Rede, aber die Details sind noch unklar, die Länder pochen auf rasche Klarheit, denn alle hängen in der Schwebe.

Lesen Sie hier die Beschlüsse im Wortlaut

Der Kanzler ist nach seiner Corona-Isolation dieses Mal wieder persönlich anwesend.

© dpa / Kay Nietfeld

2. Die Operation Gaspreisbremse

Diese gleicht bisher einer Wundertüte, denn ein klares Modell konnte der Kanzler den Ländern bisher nicht vorlegen. Es gibt den finanziellen Rahmen, aber schon der wirft eben Fragen auf. Eine Expertenkommission soll die Details der Gaspreisbremse klären, bis spätestens Mitte Oktober.

Aber Aussagen führender Koalitionspolitiker wie SPD-Chefin Saskia Esken deuten darauf hin, welches Modell sich durchsetzen könnte: So könnten auf den Gasrechnungen 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs des Vorjahrs staatlich stark subventioniert werden, der Rest würde mit den enorm hohen Preisen berechnet. Dies würde zugleich eine Anreiz zum Sparen geben, denn ohne eine Gaseinsparung von 15 bis 20 Prozent stünde Deutschland ein schwieriger Winter mit womöglich sehr starken Produktionsdrosselungen in der Industrie bevor.

Die Krux bei diesem Modell: Letztes Jahr war der Winter sehr mild, wird er viel kühler dieses Jahr, werden aus den 80 Prozent auf der Gasrechnung schnell nur noch 60 Prozent der Kosten, die gedeckelt werden. Und was, wenn man Kinder bekommen hat und so automatisch mehr verbraucht – oder wenn man in eine größere oder schlechter isolierte Wohnung gezogen ist? Alternativ wird diskutiert, den Gaspreis bei etwa 12 Cent je Kilowattstunde zu deckeln. Zum Vergleich: Ende 2021 waren es erst 6,83 Cent je Kilowattstunde Erdgas, aktuell sind es 28 Cent für Neukunden, was also fast einer Verfünffachung entspricht.

Unklar ist auch, wie genau die Strompreise gedämpft werden sollen. Strom kostete die Verbraucher Ende 2021 durchschnittlich 32,87 Cent je Kilowattstunde, auch hier drohen starke Erhöhungen, weil die Stromerzeugung in Gaskraftwerken extrem teuer ist.

Das Gerangel um die am Ende von der Ampel-Koalition wieder kassierte Gasumlage hat letztlich viel Zeit gekostet. Die Strompreisbremse soll gemäß der Vorschläge des Kanzleramts auch über den 200-Milliarden-Topf finanziert werden – sofern die Abschöpfung von Zufallserlösen nicht ausreicht, die derzeit etwa Windkraftanlagen und Kohlekraftwerksbesitzer durch die Gasbedingt hohen Strompreise machen.

Das Braunkohlekraftwerk Neurath soll länger laufen, um die Gasverstromung zu senken.

© Foto: dpa/Federico Gambarini

3. Die Ausweitung des Stromangebots

Die schwarz-grüne Regierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Nordrhein-Westfalen hat als Zeichen ihres Kooperationswillens eine gerade für die Grünen schmerzhafte Entscheidung pünktlich zum Bund-Länder-Treffen verkündet. Denn zur Dämpfung der Preise ist eine Ausweitung des Angebots entscheidend, auch wenn die FDP gerne mehr hätte, sollen bekannterweise nur die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis April 2023 in einem Streckbetrieb weiterlaufen. Um angesichts der Preiskrise in der Stromerzeugung kurzfristig Gas zu sparen, soll zudem stärker Braunkohle genutzt werden.

Die nordrhein-westfälischen Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, sollen nun bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben – mit der Option auf ein weiteres Jahr. Die Siedlung Lützerath, ein Symbol für die Klimaschutzbewegung, soll abgerissen werden, um dort Kohle zu fördern. Um die Energiewende zu beschleunigen, will RWE jedoch auch neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke bauen. Und um später die jetzt zwangsläufig höheren CO2-Emissionen wieder „einzusammeln“, soll im Gegenzug der Kohleausstieg bei den RWE-Kraftwerken um acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden.

Flüchtlinge aus der Ukraine kommen an einem Ankunftszentrum auf dem Rollfeld vom ehemaligen Flughafen TXL an.

© Foto: picture alliance/dpa/ Christophe Gateau

4. Die Flüchtlingsfrage

Im April hatte der Bund den Ländern zwei Milliarden Euro pro Jahr für Kommunen und die Integration zugesagt – doch jetzt braucht es eine Anschlussregelung, zumal viel mehr Flüchtlinge kommen, als erwartet. Auch hier geht es wieder um die Kostenverteilung. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte vor den Beratungen, wenn jetzt der Winter komme, wenn Kälte und Nässe in die zerstörten Häuser in der Ukraine eindringen, würden weitere Menschen nach Deutschland kommen.

CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf Twitter, im laufenden Jahr seien „so viele Menschen zu uns gekommen wie seit 2015 nicht“. Die Kommunen könnten die Last der Zuwanderung „kaum noch bewältigen“. Im europäischen Vergleich sei das soziale Netz, „das wir spannen, sehr groß. Das schafft einen Pull-Faktor.“ Unter „Pull-Faktoren“ versteht man in diesem Zusammenhang Anreize, nach Deutschland zu kommen. Merz hatte auch schon vor Sozialmissbrauch durch Ukraine-Flüchtlinge gewarnt, es gibt auch in der Tat Einzelhinweise hierzu.

Der Landkreistag fordert, die Besserstellung von Flüchtlingen aus der Ukraine gegenüber Menschen aus anderen Ländern zu beenden. Sie bekommen derzeit Leistungen auf Hartz-IV-Niveau. Dadurch würden falsche Anreize gesetzt, warnt Präsident Reinhard Sager. Im Ergebnis führe das zu mehr Zuwanderung nach Deutschland, auch von Menschen, die bereits in anderen Ländern Zuflucht gefunden hätten.

Berlin bekommt das 29-Euro-Ticket, gerungen wird noch um ein bundesweites Nahverkehrsticket ab Januar.

© dpa / Foto: dpa/Carsten Koall

5. Nachfolge des 9-Euro-Tickets:

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte vor dem Treffen mit dem Kanzler im ZDF-„Morgenmagazin“, für sie stehe neben der Finanzierung des Flüchtlingsfrage auch die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs und der Krankenhausfinanzierung im Vordergrund. Kommen soll ab Januar ein bundesweit nutzbares, digital buchbares Abo-Ticket in Höhe von 49 bis 69 Euro.

Der Bund bot bislang an, die Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro jährlich zu erhöhen, wenn die Länder sich in mindestens gleicher Höhe beteiligen. Aber das reicht den Ländern nicht, sie verweisen auf die stark gestiegenen Energiepreise. Ohne mehr Unterstützung durch den Bund könnte es zu einem Kahlschlag gerade bei wenig genutzten Linien im ländlichen Raum kommen.

Ohne Erhöhung der Regionalisierungsmittel habe ein Nachfolger für das 9-Euro-Ticket keinen Sinn, sagt die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD). „Was nützt ein günstiger Bus, der nicht fährt?“, so Rehlinger.

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