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© Annette Hauschild/Klett-Cotta

Anne Rabes „Die Möglichkeit von Glück“: Über die schlimmen Nachwirkungen der DDR-Geschichte

Die aus Wismar stammende Autorin Anne Rabe erzählt von einer Kindheit und Jugend in Ostdeutschland nach der Wende - und analysiert die Gewalt, die vom Staat und innerhalb der Familien ausgeübt wird.

Die Sache mit der Badewanne, wie es die Ich-Erzählerin von Anne Rabes Roman „Die Möglichkeit von Glück“ nennt, gehört wohl zu den furchtbarsten, aber auch bezeichnendsten Szenen dieses Buches. Stine, zu der Zeit fünf oder sechs Jahre alt, und ihr jüngerer Bruder müssen in kochend heißem Wasser baden, erst stehen sie, um sich an die Hitze und den Schmerz zu gewöhnen, dann heißt es, sich hinzuhocken: „Als ich es geschafft hatte, schoss der Schmerz kreuz und quer durch meinen kleinen Körper.“

Es ist die Mutter von Stine, die von ihren Kindern diese Tortur verlangt, sie ist in der DDR Jugendpädagogin und überzeugte Kommunistin gewesen und für die Erzählerin der Inbegriff subtiler und weniger subtiler innerfamiliärer Gewalt. Der Vater mag sie zwar in diesem Fall gerettet und aus dem Wasser geholt haben, er war nicht ganz so hart zu den Kindern. Und doch gibt es einen Hinweis, dass er sich an der kleinen Stine womöglich vergangen hat: „Vaters Hand ist unter meiner Decke, die Mutters Decke ist“.

Anne Rabe, die 1986 in Wismar geboren wurde, erzählt in ihrem Buch von einer Kindheit und Jugend in der Nachwendezeit in einer namenlosen „Stadt an der Ostsee“, offenbar Wismar. Sie folgt damit der Spur, die schon Daniel Schulz („Wir waren wie Brüder“) und Hendrik Bolz („Nullerjahre“) mit ihren Büchern gelegt haben. Rabe ist dabei umfassender, die Gewalt der sogenannten Baseballschlägerjahre versteht sie als eine strukturelle, von Staats wegen einst ausgeübte, bis eben in die Familien reichende und sich über mehrere Generationen erstreckende. Weshalb sie, ihre Erzählerin Stine sich auch daran macht, die Großeltern in den Blick zu nehmen, insbesondere den Großvater mütterlicherseits, den 1923 geborenen Paul Bahrlow.

Sie wollte euch verbrühen. Warum auch immer“

Rabes Erzählerin über ihre Mutter

Opa Paul ist der „Held ihrer Kindheit“, seine Lebensgeschichte versucht sie, so gut es geht lückenlos zu recherchieren, mit all ihren Brüchen: Kind der Nazi-Zeit, Soldat an der Ostfront, dort verwundet, dann aufrechter Faschismusbekämpfer in der DDR, SED-Propagandist: „Die Frage, wie man die Ideologie in die Köpfe bekommt, würde sein berufliches Leben von nun an bestimmen.“ Am Ende konstatiert Stine, er habe sich „geirrt. Total geirrt.“ Um anzufügen: „Du erinnerst dich trotzdem noch an die Liebe zwischen euch.“

Rabes Buch ist ein kompliziert-ambitioniertes Gewebe, hat etwas Kaleidoskophaftes. Manchmal hat man den Eindruck, es ist ein stockendes Vorantasten, ein mühsames Aufwachen aus einem dunklen Traum, wie Stine ihre Kindheit nennt. Oder ein nicht weniger anstrengendes Zusammensetzen diversester Erinnerungssplitter.

Dafür hat Rabe einen formalen literarischen Rahmen geschaffen, der womöglich die Gattungsbezeichnung „Roman“ rechtfertigt, wirkt doch die Geschichte in all ihrer Offenheit wie jene der Autorin. Es gibt Stines Ich-Perspektive, aber dazu kommt häufig eine weitere Erzählstimme, in kursiv abgesetzten Zeilen. In diesen Abschnitten dominiert das Du, was wie ein Selbstgespräch erscheint. „Lange hast du geglaubt, dass es ein Versehen gewesen ist“, heißt es da über die Bad-Szene. Und dann: „Sie wollte euch verbrühen. Warum auch immer.“ einem dunklen Traum, wie Stine ihre Kindheit einmal nennt. Oder ein nicht weniger anstrengendes Zusammensetzen diversester Erinnerungssplitter.

Am Ende des Tages und der Lektüre ist es auch schnuppe, wieviel Fiktion hier drin steckt, die Schonungslosigkeit des Ganzen ist schließlich das A und O dieses Romans. Dass hier jemand entkommen ist, daraus macht Rabe nie einen Hehl, sich losgesagt hat von seiner Vergangenheit und den Bruch mit der Familie (außer dem Bruder) gezielt gesucht hat. Die Möglichkeit von Glück soll nicht nur ein schöner Buchtitel sein, sie wird ernsthaft in Erwägung gezogen, trotz aller Düsternis.

Es ist auffällig, wie konträr „Die Möglichkeit von Glück“ zu den gerade so erfolgreichen, die DDR in ein milderes Licht tauchenden Büchern von Dirk Oschmann und Katja Hoyer steht. Die Geschichte der DDR wirke bis heute nach, hat Rabe in einem Aufsatz für die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben, „gemeinsam mit den traumatischen Erfahrungen der Transformation in den neunziger und nuller Jahren“.

Überschrieben war der Text mit dem Appell: „Wir müssen über Gewalt reden“. Von diesen Nachwirkungen der DDR-Geschichte, von der Gewalt erzählt Anne Rabe in ihrem intensiven Buch ein- und nachdrücklich..

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