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Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Antisemitismus-Vorwürfe von Gil Ofarim : Felix Kleins unauffälliger Rückzieher

Eine „offene, aktive Fehlerkultur“ wollte der Antisemitismusbeauftragte als Reaktion auf die Wende im Fall um den Sänger. Warum bekam das niemand mit?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat im Fall der Anschuldigungen des jüdischen Sängers Gil Ofarim eine Kehrtwende vollzogen und deutlich Selbstkritik geübt: Er habe „eine Einschätzung abgegeben, die aus heutiger Sicht nicht zutreffend war“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Mit Blick auf mögliche Falschangaben Ofarims zu einem angeblichen antisemitischen Geschehen in einer Leipziger Hotellobby erklärte Klein, offenbar auch mit Bezug auf sich selbst: „Zugleich sollte uns dieser Vorfall darin bekräftigen, Ereignisse zunächst genau zu untersuchen, bevor eine Bewertung abgegeben wird.“

Der Beauftragte hatte diese Pressemitteilung bereits vor knapp einem Jahr auf seiner Webseite „antisemitismusbeauftragter.de“ online gestellt, sie traf dort jedoch auf keinerlei nachweisbare Resonanz. Medienberichte dazu sind nicht auffindbar, auch Klein selbst sind keine bekannt. Direkte Reaktionen oder Stellungnahmen hat dieser nach Angaben einer Sprecherin ebenfalls keine erhalten.

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Prozess gegen Ofarim im November

Gil Ofarim muss sich im November vor dem Landgericht Leipzig unter anderem wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung verantworten. Er soll der Staatsanwaltschaft zufolge sowohl im Rahmen eines von ihm veröffentlichten Videos als auch gegenüber der Polizei wahrheitswidrig behauptet haben, ein Hotelmitarbeiter habe ihn aufgefordert, „seinen Stern wegzupacken“, damit er einchecken könne.

In dem Video zeigte Ofarim einen Davidstern an einer Halskette. Dass er diesen bei dem angeblichen Vorfall in der Lobby trug, ließ sich jedoch nicht belegen. Ofarim bestreitet die Vorwürfe. Seine Verteidiger gehen von einem Freispruch aus und kündigten an, sie werden in der Verhandlung „jeden Stein zweimal umdrehen“.

Für den Antisemitismusbeauftragten ein unangenehmer Vorfall, denn er hatte sich früh festgelegt: „Dass ein Mensch in der Öffentlichkeit einer gut besuchten Hotellobby antisemitisch diskriminiert und angefeindet wird, entsetzt mich“, gab Klein am 6. Oktober 2021 nach Ofarims Video-Veröffentlichung bekannt. Das Leipziger Westin-Hotel, das den Lobby-Mitarbeiter damals umgehend freistellte, lobte er für „personelle Konsequenzen“.

Zugleich sollte uns dieser Vorfall darin bekräftigen, Ereignisse zunächst genau zu untersuchen, bevor eine Bewertung abgegeben wird. 

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, in einer Mitteilung vom 17. Oktober 2022

Der Fall Ofarim: Klein ging auf Distanz

Zum Jahresende ging Klein vorsichtig auf Distanz und sprach von einem Fall, in dem „Aussage gegen Aussage“ stehe. Auch als die Staatsanwaltschaft Ende März 2022 ihre Ermittlungen gegen den - indirekt von Klein mitbeschuldigten - Hotelmitarbeiter einstellte und gegen Ofarim Anklage erhob, gab es vom Antisemitismusbeauftragten keine Wortmeldung. Auf Anfrage hieß es, Klein sehe „keine Veranlassung, die Arbeit der unabhängigen Justiz zu kommentieren“.

Sogar als das Landgericht einige Monate später die Anklage gegen Ofarim zuließ, meinte der Beauftragte noch am 4. Oktober 2022 auf Tagesspiegel-Anfrage, es gebe „keine Veranlassung für eine Stellungnahme“. Zugleich ließ Klein seine nunmehr erwiesen falschen Vorwürfe gegen den Hotelmitarbeiter weiter öffentlich auf seiner Webseite stehen.

Allerdings sah Klein entgegen seinen Worten damals wohl doch eine Veranlassung: Nur wenige Tage nach seiner Antwort an den Tagesspiegel publizierte er eine neue Stellungnahme „zum aktuellen Stand im Fall der Antisemitismusvorwürfe“ mit der Überschrift: „Anschuldigungen waren leider nicht unwahrscheinlich, sondern vielmehr völlig denkbar“.

Darin ging es aber weniger um einen „aktuellen Stand“. Klein bezog sich vielmehr ausdrücklich auf die bereits Monate zuvor erfolgte Einstellung des Verfahrens gegen den Hotelmitarbeiter, gegen den es „keinen hinreichenden Tatverdacht“ gegeben habe. Ansonsten sei „weiter unklar, was genau an dem Abend dort geschehen ist“.

Sichtweise von Klein erstaunt

In der Darstellung des Antisemitismusbeauftragten stand auch nicht dessen Kehrtwende im Vordergrund, sondern, wie schon die Überschrift zeigt, ein anderer Aspekt: Das „Erschreckende an dem Fall“ sei nicht, dass die Vorwürfe, die der Sänger „in seinem viel beachteten Videostatement sichtlich bewegt“ vorgetragen habe, sich möglicherweise „so nicht zugetragen“ hätten, sondern dass die Anschuldigungen „durchaus vorstellbar waren“.

Diese Sichtweise Kleins muss etwas erstaunen: Denn ein wesentlicher Grund für die große Beachtung von und die frühen Zweifel an Ofarims Aussagen über den Hotelmitarbeiter dürfte gerade gewesen sein, dass ein Verhalten, wie es dort behauptet wurde, für viele bisher gerade nicht oder nur schwer vorstellbar war.

Der Musiker und Sänger Gil Ofarim. Sein Prozess beginnt im November.

© dpa/Gerald Matzka

Kleins Erklärung vom 17. Oktober 2022 fand wohl keine weitere Verbreitung. Offenbar hat er selbst auch nicht nachgeholfen. Zwar stehe der Beauftragte „in regem, direktem Austausch“ mit den Medien und habe in Gesprächen „möglicherweise“ auch auf seine geänderte Einschätzung der Lage hingewiesen. Doch: „Rekapitulieren lässt sich dies nicht“, sagte die Sprecherin.

Nach Angaben seiner Behörde gebe es auch erst seit diesem Sommer einen Presseverteiler, mit dem die Meldungen an rund 50 Journalisten versandt würden. Vorher mussten Interessierte aus eigenem Antrieb Kleins Webseite aufsuchen, wo es eher selten neue Pressemitteilungen gibt - in diesem Jahr sind es erst drei, die letzte stammt vom Montag.

„Ich unterstütze eine offene, aktive Fehlerkultur und bin der Ansicht, diese gehört zu unserer Demokratie“, heißt es in der Mitteilung zu Ofarim. Hat Klein entgegen diesem Statement damit kalkuliert, dass er via Webseite einen - unauffälligen - Rückzieher in dem Fall machen kann? Seine Sprecherin weist das zurück: Die Mitteilung vom Oktober sei „jedem Journalisten und jeder Journalistin frei zugänglich und bei Bedarf auch über Suchmaschinen auffindbar“.

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