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Gut ausgerüstet. Die lebensechte Rekonstruktion eines awarischen Elitekriegers aus Ostungarn begeistert die Museumsbesucher.

© Andrea Hörentrup/Landesamt für Denkmalpflege und Achäologie Sachsen-Anhalt

Ausstellung über Reiternomaden in Halle : Die Taschen voller Gold

Aus den Steppen Zentralasiens kamen sie bis nach Europa: Die Reiternomaden galten lange als brandschatzende Horden. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zeigt noch bis zum 25. Juni eine unbekannte Seite der zähen Krieger, die nicht nur Waffen im Gepäck hatten.

Schrecken und Faszination liegen dicht beieinander, wenn man von Reiternomaden in Europa im frühen Mittelalter spricht. Vor allem das Bild der brandschatzenden und mordenden Hunnen hat sich fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Doch schon der Blick in das Atrium der großen Sonderausstellung „Reiternomaden in Europa. Hunnen, Awaren, Ungarn“ im Museum für Vorgeschichte in Halle überrascht den Besucher.

Da thront einerseits im Hintergrund leicht erhöht der lebensgroß rekonstruierte awarische Reiterkrieger von Derecske-Bikás-dülö (Ostungarn) auf seinem Pferd in voller Kriegerrüstung mit Lamellenpanzer und ausgestreckter Lanze. Und in der gleichen Blickachse im Vordergrund staunt man über den prächtigen Goldfund von Sânnicolau Mare/Nagyszentmiklós (Rumänien) aus dem 8. Jahrhundert. Zwei bedeutende Entdeckungen, die helfen, ein differenzierteres Bild der Reiternomaden zu zeichnen, die bis ins 10. Jahrhundert aus den weiten Steppen Zentralasiens bis nach Mitteldeutschland und manchmal auch darüber hinaus nach Westen vordrangen.

Kunstvoll verziert. Der Medaillonkrug ist wahrscheinlich das bekannteste Gefäß aus dem Goldschatz von Nagyszentmiklós.

© Andrea Hörentrup/Landesamt für Denkmalpflege und Achäologie Sachsen-Anhalt

Der awarische Elitekrieger, auf dessen Grab man 2017 bei Bauarbeiten in Ostungarn stieß, war lang ausgestreckt auf einem vollständig erhaltenen Lamellenpanzer aus 500 Eisenplättchen gebettet. Sein Waffengürtel war mit vergoldeten Silberbeschlägen im byzantinischen Stil verziert, ein mit Hirschgeweihplatten verzierter Bogen wurde in zwei Teile zerbrochen und über seine Füße gelegt. Neben ihm hatte man den Schwanzbereich seines Pferdes bestattet. Der Pferdekörper lag zum Reiter in entgegengesetzter Richtung, als wäre das Ross bereit, mit ihm sofort ins Jenseits zu reiten. Ein Pfeilköcher und eine Lanze gehörten ebenfalls zu seiner Ausrüstung.

Von dem lebensecht rekonstruierten Reiter geht eine gewisse Faszination aus, man stelle sich vor, wie hunderte von ihnen auf ihren flinken Pferden über die Steppe donnerten. Aber die Funde zeigen noch eine andere Seite der Hunnen, Awaren und Ungarn, die weniger bekannt ist und ähnlich wie bei den Wikingern auch von hoher Kunstfertigkeit zeugt.

Internationaler Schmuck der „Fürstin von Untersiebenbrunn“ aus dem frühen 5. Jahrhundert.

© Rolf Brockschmidt

Der Goldschatz Sânnicolau Mare/Nagyszentmiklós (Rumänien) aus dem 8. Jahrhundert, von dem fünf der 23 Objekte im Zentrum des Atriums ausgestellt sind, fasziniert den Besucher. Die Bildmotive auf diesen prächtigen Gefäßen stammen meistens aus dem Mittelmeerraum, aus Ägypten, dem Perserreich, von Griechen und Römern aus Byzanz. Wahrscheinlich gehörte dieser Schatz einem awarischen Khaghan (König).

Eigentlich machen nomadische Kulturen der Vergangenheit es den Archäologen schwer, denn durch ihre permanente Wanderschaft hatten sie nicht viel Besitz, und das meiste war zudem aus organischen Materialien gefertigt, die sich nicht so lange halten. Damit man ein Gefühl für den Kulturraum bekommt, haben die Ausstellungsdesigner links und rechts des Lichthofes hinter den Arkadenbögen zwei riesige Leuchtfotos aufgehängt, eine karge Landschaft mit Jurten und gegenüber das Innere einer Jurte aus Afghanistan. Vieles ist im Laufe der Jahrhunderte gleichgeblieben, sodass man sich zur Einstimmung mit jüngeren Exponaten der modernen Nomaden und historischen Fotos vom Anfang des 20. Jahrhunderts behilft.

Die Reitervölker Zentralasiens stießen bei ihrer Wanderschaft nicht auf natürliche Grenzen, daher konnten sie weit nach Westen vordringen, so die Hunnen von 375 bis 455, gefolgt von den Awaren 567 bis 797 und den Magyaren/Ungarn 899 bis 955. Letztere bekehrten sich zum Christentum, wurden sesshaft und überlebten so.

Die Ausstellung erzählt von diesen drei Völkern und ihren Erzeugnissen aus den Gräbern der Eliten. Dabei fand man vor allem prächtigen Schmuck für die Pferde, Goldbeschläge für Zügel und Zaumzeug, Kopfschmuck und vieles mehr. „Hoch verehrt, kaum verzehrt“ lautet die Überschrift einer Vitrine, die die Bedeutung des Pferdes in den nomadischen Gesellschaften unterstreicht.

Eine zentrale Innovation der Awaren war der Steigbügel aus Metall, den sie aus China mitgebracht hatten und der sich durch sie schnell in Europa verbreitete. Der Steigbügel in D-Form hat das Reiten revolutioniert, dem Krieger Sicherheit und Stabilität gegeben. Der Besucher erfährt auch einiges über die sozialen Verhältnisse und die Beziehungen zur örtlichen Bevölkerung.

Auch bei den Awaren war der reich geschmückte Gürtel ein Statussymbol. Die Garnitur (Bronze und Gold) stammt aus dem 8. Jahrhundert aus Leobersdorf, Österreich.

© Rolf Brockschmidt

Die Reiternomaden waren offen für Neuerungen, passten sich der ansässigen Bevölkerung teilweise an. So stammen die Motive ihrer Artefakte aus vielen unterschiedlichen Regionen. Sie gaben zum Teil repräsentative Kunstwerke bei Fachleuten in Auftrag, um ihren sozialen Status und ihre Herrschaft zu untermauern.

Zur besseren Orientierung haben die Ausstellungsmacher ein Farbschema für die Schmuckvitrinen entwickelt. Roter Filz gehört zu den Hunnen, blauer zu den Awaren und grün markiert die Ungarn. Das erleichtert dem Besucher den Vergleich. Ein herausragender Fund ist das Grab der hunnenzeitlichen „Fürstin von Untersiebenbrunn“ in Österreich, die mit ihren drei Pferden und mit germanischem, römischem und iranischem Schmuck bestattet wurde. Das Grab konnte rekonstruiert werden und zeigt, dass auch Frauen eine bedeutende Rolle gespielt haben.

Die interessant gestaltete Ausstellung lädt ein, sich mit einem unbekannten Kapitel europäischer Geschichte jenseits der Klischees zu beschäftigen und dabei kulturelle Bande zu Zentralasien zu entdecken.

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