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Der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg, 57.

© Gerald von Foris

Bov Bjergs Roman „Der Vorweiner“: Hurra, die Welt ist untergegangen

Dystopie, Parodie einer Dystopie: In seinem neuen Roman erzählt der Berliner Schriftsteller von einer postapokalyptischen Welt, in der es weder Empathie noch Regen gibt und auch das Erzählen nicht mehr hilft.

Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist, hilft selbst das Erzählen nicht mehr. Dann spielt es auch keine Rolle, dass ein Roman mit dem zweiten Kapitel beginnt und das erste irgendwann später folgt. Denn, so will es Bov Bjerg in seinem neuen, vierten Roman „Der Vorweiner“, dieses Kapitel stehe hier zu Beginn, „da es einen vortrefflichen Eindruck der vollständigen Geschichte zu vermitteln vermag.“

Zumindest weiß man sofort, dass Bjerg einen Roman geschrieben hat, der in einer womöglich nahen Zukunft spielt. Der Klimawandel ist vollzogen, mit ständig herrlichem Wetter, „wolkenlos und knallblau der gleiche prächtige Himmel, nur ganz gelegentlich verschleiert durch die Rauchschlieren der Steppen- und der Restwaldbrände.“

Danach wird es trotz der Kapitelankündigung undurchsichtiger. Eine „A. wie Anna“ fährt aufs Land, zu einem gewissen Bartel, zum „Kitten“, Fensterkitten, zusammen mit ihrem „Vorweiner“. Es lodern Feuer, von einer „Niederschicht“ ist die Rede, der der Müll niemals ausgehe, es gibt ein Resteuropa, „Ausreisebegleitung“ oder ein „Gottesauge“ (das in eckigen Klammern zum Einsatz kommt). Ab und an liegt Anna in kursiv abgesetzten Einschüben bei ihrem „Betäuber“ auf der Couch.

Immer wieder Triggerlieder

Einen Eindruck gibt es, das schon, vielleicht nicht so vortrefflich, wie der Autor das suggeriert. Jedenfalls hat der 1965 im schwäbischen Heiningen geborene Berliner Schriftsteller nun eine Dystopie verfasst, nach zwei schönen diesseitigen Gegenwartsromanen, dem umwerfenden „Auerhaus“ und dem bisweilen düsteren Vater-Sohn-Roman „Serpentinen“.

Groß geworden ist Bjerg zunächst auf verschiedenen Berliner Lesebühnen, alljährlich tritt er hier noch beim „Kabarettistischen Jahresrückblick“ auf. Diesen Hintergrund merkt man seinem neuen Roman mehr noch als den Vorgängern an. Jedes Kapitel wird zu Beginn kurz zusammengefasst. So bekommt das dritte, eigentliche erste etwa die Erläuterung, dass darin „endlich gezeigt wird, wie alles beginnt. Anna sucht sich doch noch einen Vorweiner. Am Rande wird berichtet, wie Resteuropa gerettet wurde, damals.“

Unter den Kapiteln stehen in Klammern ein paar einzelne Worte. Vor dem dritten ersten zum Beispiel „Menopause, Röde Pölser, Bahnreisen“, vor dem ersten, eigentlich zweiten „Alkoholkonsum, Rauchen, Gewalt gegen Weichtiere“. Man merkt: Das sind alles nicht ganz ernst gemeinte Triggerhinweise.

Und schließlich wirkt allein das Eingangskapitel wie eins, das für eine Lesebühne geschrieben und aus dem dann dieser Roman wurde: viele Einfälle, ein untergründig humoriger Ton, dazu ein Gürteltier, ein entzwei geschnittene Nacktschnecke, eine tote Sau, in die sich Anna legt, um dann zu überlegen: „Wiedergeboren zu werden und unsterblich sein.“

Auf Zerstreuungsfeiern

In „Der Vorweiner“ sind also nicht nur die klimatischen Verhältnisse komplett gestört, sondern auch die gesellschaftlichen, mithin die Beziehungen der Menschen untereinander, so die von Anna zu ihrer Tochter „B. wie Berta“, der zweiten Hauptfigur dieses Romans.

Die sogenannten Vorweiner sorgen für einen Rest an Empathie in einer Gesellschaft, die nicht mehr weiß, was das ist. Gekauft werden sie bei Maklern. Sie kommen aus der ganzen Welt, vor der sich Resteuropa abschließt (auch die Niederlande und Schottland gehören nicht mehr dazu, zu wassernah, direkt an der Regengrenze).

Die Vorweiner sind nicht nur teuer, sondern Lebensbegleiter und haben ihren größten Einsatz bei den „Zerstreuungsfeiern“, vulgo: Begräbnissen, die in Resteuropa wegen des Betonbodens nicht mehr möglich sind. Hier sollen die Vorweiner ihre Damen und Herren beweinen.

In weiten Höllen so nah

Man könnte an dieser Stelle, und das durchaus mit Vergnügen, weitere Einfälle von Bjerg wiedergeben. Radioschnipsel von Unglücken, die immer mit Frauenschreien enden, (ja, bitte lachen, danach aber am eigenen Lachen ersticken...), Überwachungsszenerien, (das „Gottesauge“...), die Betäuber. Dann die Figuren: Berta, die Journalistin ist und der es Unbehagen bereitet, in der dritten Person von sich zu berichten. Oder Pizza-Pete, Bertas Lover. Oder Annas Vorweiner Jan, der doch bitte schön den mit dem besten „Stampot“ der Welt gefügig gemacht werden soll, mit Kartoffelbrei und Grünkohl.

Auch wenn das Zurechtfinden in diesem Roman ein bisschen braucht, hat man schnell begriffen, dass es aus dieser postapokalyptischen und von Bjerg so realistisch beschriebenen Welt keinen Ausweg gibt. Es ist alles die Hölle: Dienstleistungs-, Überwachungs-, Abschottungs-, „Hauptstrommedien“-, Migrations- und Klimahölle.

Trotzdem soll die Lektüre Spaß machen, gibt es hier ein Zwinkern und dort ein Schlackern. Passend dazu die von Bjerg am Ende aufgelistete „weiterführende Literatur“, von Günter Hacks „Ökonomie und Önologie der Österreichischen Partei Österreichs (ÖPÖ) (bitte googlen) bis zum „Leben in der Bar“ von den Lassie Singers (Song und Band gibt es wirklich).

Beinharte Figuren, Witzfiguren

Anna und Berta wiederum sind einerseits beinharte Figuren, austauschbar in ihrer Mitleidlosigkeit und Empathiebedürftigkeit, und doch auch Witzfiguren; Bjergs Roman ist eine Dystopie, die Parodie einer Dystopie, eine Erzählgroteske mit der Betonung auf Groteske. Mehr und mehr bekommt man bei der Lektüre den Eindruck, dass es egal ist, welches Kapitel wo steht. Von einer Geschichte kann kaum die Rede sein, dazu ist sie zu dürftig, dafür sind die Zeiten, auch die Erzählzeiten, mal so, mal so. Vor allem anderen stehen: Setting, Wegmarken, Sentenzen.

Bov Bjerg hat sicher viel Spaß beim Konstruieren seiner Welt gehabt; man kann sich diese gut als Computerspiel vorstellen. Mit dem Erkenntnisgewinn hapert es jedoch etwas. Lohnt es zum Beispiel der Frage nachzugehen, warum das Gottesauge zu Beginn schon sieht, was Anna irgendwann tatsächlich tut: sich in ein totes Schwein einnähen lassen? Oder warum der Roman „Der Vorweiner“ heißt und nicht „Die Vorweiner“?

Bei aller Lustigkeit: Es zieht kalt und düster durch diesen Roman. Es gibt Tote, Zufallstote, (Anna ersticht aus Versehen ihren Vorweiner), einen Mord, und alles Grübeln ist zwecklos. Nichts passt mehr in diese Welt außer „zerfranste Bilder und Gedanken“. Doch sind es genau diese, von denen Anna in Kapitel 22 glaubt, dem einzigen übrigen ohne Erklärung und Triggerhinweis, dass sie „eine runde, stimmige, siegreiche – High Five! – Geschichte“ ergeben. Bov Bjerg hat mit „Der Vorweiner“ diese runde Geschichte vorsätzlich verweigert. Ihm dient selbst das Erzählen nicht mehr als Trost.

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