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Der Schriftsteller Dany Laferrière, 1953 in Port-au-Prince, Haiti geboren, lebt in Kanada

© Georges Seguin/Wikipedia

"Ich bin ein japanischer Schriftsteller": Dany Laferrière macht sich Gedanken - ohne je in Japan gewesen zu sein

Dany Laferrière huldigt in seinem Roman "Ich bin ein japanischer Schriftsteller" wieder einmal der Kunst des Nichtstuns und macht sich Gedanken.

Dany Laferrière ist ein beneidenswert lässiger Zeitgenosse. Zumindest erweckt der Ich-Erzähler vieler seiner autobiographisch grundierten Romane diesen Eindruck. Wie bei dem Verfasser selbst handelt es sich dabei um einen 1953 geborenen Haitianer, der im kanadischen Montréal lebt. Laferrière arbeitete in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince als Journalist.

1976 entfloh er der Diktatur des sogenannten Papa Doc und ging ins kanadische Exil. Von hier aus schildert er beziehungsweise seine Ich-Erzähler in erster Linie Alltägliches, beginnend mit dem provokant betitelten, 1985 erschienenen Debüt „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden“ oder im charmanten „Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama".

Beide Bücher wurden von Beate Thill in ein wunderbar wendiges Deutsch übertragen, das die Volten und Gedankenspiele des Originals ohne Reibungsverlust transponiert. Nun ist die Übersetzung von Dany Laferrières Roman „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ erschienen. Auch bei diesem Kaleidoskop aus Kürzestkapiteln handelt es sich weniger um einen Roman als um eine Abfolge von Causerien, realen Erlebnissen, vermischt mit essayistischen Gedankensplittern.

Als Mitglied der Académie Française steht Laferrière in dieser sehr französischen Denktradition: Seine Gedanken seien Krümel, die von Blaise Pascals Tisch fielen, schreibt er. Wieder spielt sich der Alltag des auskunftsfreudigen Autors überwiegend in der Horizontalen ab: „Alles hat sich verschlechtert, seit der Mittagsschlaf aus unserem Zeitfenster verschwunden ist. Die Maschine Mensch ist nicht so gebaut, dass sie achtzehn Stunden am Stück auf und tätig sein kann. Sie braucht eine Ruhepause. Die Industriegesellschaft hat den Mittagsschlaf abgeschafft und holt zugleich das Letzte aus der Maschine heraus.“

Laferrière huldigt dem japanischen Dichter Bashô

Um sich dem allgegenwärtigen Stress zu entziehen, liegt der Ich-Erzähler am liebsten im Bett oder in der Badewanne mit dem sogenannten guten Buch in der Hand. Laferrière weiß seit frühester Jugend genau, wo er Lektüren dieser Güteklasse findet: bei den großen französischen Realisten wie Flaubert, bei Amerikanern wie Charles Bukowski oder bei den Japanern.

Dem wandernden Dichter Bashô huldigte der Autor bereits in seinem bislang noch nicht übersetzten Essayband „L'art presque perdu de ne rien faire“ („Die fast verlorene Kunst des Nichtstuns"). Im Haus einer seiner Tanten auf Haiti entdeckte der Protagonist in einem Schrank nebst einer Flasche Rum Yukio Mishimas Roman „Der Seemann, der die See verriet“.

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Seitdem zählt der exzentrische Nationalist, der 1970 vor laufenden Fernsehkameras Harakiri beging, zu seinen Hausheiligen. Er liest ihn kritisch und dennoch fasziniert: „Mishima wollte die Gegenwart auslöschen, indem er Japan im Futur II ansiedelte, der Zeit, die es nur in der Grammatik gibt. Faschisten sind häufig von Regeln besessen, die ihnen einen Eingriff in den Ablauf der Zeit gestatten. In der Realität kann man die Vergangenheit nur mit einer Währung kaufen: dem Tod, und zwar seinem eigenen.“

Auf Laferrières Behauptung „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ folgt kein Roman. Sie ist vielmehr die Chiffre einer fröhlich zelebrierten Verweigerung mit absurden Folgen. Der Protagonist hat den Romantitel nur schnell seinem Verleger mitgeteilt, der ein neues Buch von ihm erwartet. Denn er will sich weiter durch die Stadt treiben lassen und dabei Matsou Bashô studieren, den Erneuerer des Haiku aus dem 17. Jahrhundert. Mishima ist für ihn „das Beispiel für einen Schriftsteller, der einer identitären Reinheit in die Falle gegangen“ sei, Bashô dagegen bereite ihm Freude.

Japan ist ein guter Ort für die ästhetische Transformation von Existenzkrisen

Seine Erlebnisse mit echten „Japanalia“ fallen vergleichsweise flüchtig aus: Laferrières Ich-Erzähler lernt die schillernde Sängerin Midori kennen, um die sich eine Art weiblicher japanischer Hofstaat versammelt hat. Eine der jungen Frauen besucht ihn unverhofft, verführt ihn in der Badewanne und springt dann aus dem Fenster. Den Protagonisten lässt das relativ ungerührt: „Ich schreibe über Japan, bin aber nie dort gewesen. Ist das notwendig? Außerdem bediene ich mich nur der Klischees (Mythen und Fotos) aus den Frauenzeitschriften. Ein riesiger Stapel liegt vor meinem Fenster. Jeder recherchiert wie er kann.“

Japan scheint ein besonders geeigneter Ort für die ästhetische Transformation von Existenzkrisen zu sein, unter denen Bewohner der westlichen Hemisphäre leiden. Das demonstrierte 2017 mit vergnüglichem Hintersinn Marion Poschmann mit ihrem Roman „Die Kieferninseln“. Dessen Hauptfigur, ein beruflich wie privat angeschlagener Dozent für Bartkunde, wandelt ebenfalls auf Bashôs Spuren.

Der jahrhundertelang völlig abgeschottete ostasiatische Inselstaat beharrt voller Stolz auf seiner „reinen“ nationalen Identität. Entsprechend heftiges Aufsehen erregt Laferrières Ich-Erzähler, als der Titel seines geplanten Romans publik wird – besonders beim japanischen Konsulat in Montréal. Man bittet den Haitianer zu einem Essen und will ihn bei seinen Recherchen vor Ort unterstützen – er möchte aber gar nicht hinfahren. Nach Art des Ludwig XIV zugeschriebenen Ausspruchs „L'état c'est moi“ versichert er: „Ich schreibe über mich, Japan bin ich.“

Stärker hätte er die Diplomaten nicht irritieren können: Verzweifelt erzählen sie ihm, dass in ihrer Heimat das Gerücht kursiere, dass ein Schwarzer dafür bezahlt worden sei, die Identität eines japanischen Schriftstellers anzunehmen.

Laferrières Roman ist im Original bereits 2008 erschienen. Die deutsche Übersetzung folgt genau zur richtigen Zeit– mitten in der auf beiden Seiten des politischen Spektrums überhitzt geführten Identitäts-Debatte. Ihr fehlen genau jener nonchalante Witz und jene Leichtigkeit, über die der Weltbürger Dany Laferrière und sein schreibunwilliger japanischer Schriftsteller in so reichem Maß verfügen.

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