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Die Berliner Musikerin Ava Vegas.

© Edda Pettursdottír

Das neue Album von Ava Vegas: Wüste, zuweilen auch Strand

Auf „Desert Songs“ sucht die Berliner Künstlerin Ava Vegas nach Weite in einer engen Welt. Privat interessiert sie sich für Quantenphysik. Ein Porträt.

Im Billard Café auf der Leipziger Straße scheint die Zeit irgendwie stehen geblieben zu sein. Fernab von den hippen Bars und Cafés in Neukölln oder dem anderen Mitte stehen hier in einem großen, mit Rauchschwaden verhangenem Raum ein Duzend Billiard-Tische, auf kleinen Fernsehern laufen Musikvideos aus den Nullerjahren.

An einem der großen Fenster mit Blick auf die mehrspurige Straße sitzt die Berliner Musikerin Sarina Giffhorn alias Ava Vegas und trinkt Kaffee. Im Dunkeln sei es hier etwas romantischer, sagt sie, ein paar Mal war sie auf Veranstaltungen, bei denen die Billiard- zu Dinner-Tischen umfunktioniert wurden. Auch eine millionenschwere Kunsterbin, deren Galerie sich um die Ecke befindet, soll hier ab und an verweilen. 

Zwischen solch einem Publikum kann man sich Giffhorn gut vorstellen. Auf ihren Bildern und bei Auftritten ist die 32-Jährige stets glamourös in Szene gesetzt, ein ätherisches Gesamtkunstwerk aus Musik und Mode, aus Edelsteinen und Seide, stilistisch irgendwo zwischen Lana del Rey und Twin Peaks. Ihr erstes Album „Ava Vegas“, das sie 2020 veröffentlichte, klang auch genau so: nach dunklen Bars, schweren Samtvorhängen und starken Drinks, melancholische Chansons über Liebe und einst Geliebte, die sie mit tiefer, voller Stimme vortrug. Musik für ein Berlin, in dessen Nachtleben sich Giffhorn ausgiebig bewegte.

Die Berliner Musikerin Ava Vegas.

© Edda Pettursdottír

Das neue Album „Desert Songs“, das am 28. April erscheint, ist hingegen geprägt von einem Stadt-Koller. „Ich hatte schon länger das Gefühl, in Berlin festzustecken, irgendwie eingesperrt zu sein, und habe mich nach so einer Weite oder Leere gesehnt, einer Art Wüste“, sagt Giffhorn. Gefunden hat sie die in Island. Im Heimatland ihres damaligen Freundes verbrachte sie 2020 die Lockdown-Zeit. Endlose Weiten aus Gestein, Schnee und Eis lagen vor ihr, während das restliche Leben auf Pause gestellt wurde.

Der Sound der Lieder, die sie zu einem Teil dort schrieb, klingt dann aber doch mehr nach klassischer Wüste, zuweilen auch nach Strand: psychedelische Gitarren sind genauso vertreten wie Country-Anleihen und Dreampop; hier und da hört man einen Windhauch, den Giffhorn selbst ins Mikrofon pustete.

Hinter Ava Vegas steht kein Major-Label – fast alles an ihrer Musik macht und produziert sie selbst und auf eigene Kosten. Vieles entsteht zu Hause am Computer, wo sie Instrumente, ihre Stimme und Effekte aufnimmt und übereinanderschichtet, arrangiert, bis sie den richtigen Sound gefunden hat. Ihre Musikvideos nimmt sie großenteils selbst mit alten Digitalkameras auf.

Auch das Gitarrespielen brachte sie sich in Island selbst bei, mithilfe einer App. Ein bisschen „klassische“ Musikausbildung hat sie aber auch genossen. „Ich hatte schon als Kind Ballett-, Gesangs- und Klavierunterricht, habe aber als Jugendliche damit aufgehört“, sagt Giffhorn, die in Goslar aufwuchs, aber auch viel Zeit im Ferienhaus ihrer Eltern auf Ibiza verbrachte.

Als sie dann an der Berliner Universität der Künste Architektur studierte, habe ihr etwas gefehlt. „Ich habe irgendwann aus Langeweile ein Lied auf dem Kinder-Keyboard eines Freundes geschrieben, und wurde ganz euphorisch – das hat sich angefühlt wie verliebt und high sein gleichzeitig“, sagt sie.

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Seitdem widmet sie ihr Leben so gut es geht der Musik, verbrachte zuletzt viel Zeit in den USA, wo sie auf Festivals wie dem SXSW spielte oder Produzenten in L.A. traf. Hier ist auch die Country-Ballade „Highway“ entstanden, die sie gemeinsam mit dem Produzenten John Velasquez geschrieben und als einzigen Song auf dem Album im Studio aufgenommen hat. 

Diese Mischung aus professionellem Musikbusiness und Selfmade-Vibes macht Ava Vegas so besonders – genau wie das Talent, irgendwie klassisch und superzeitgeistig zugleich zu wirken. Auch wenn der Sound und Look von Ava Vegas immer irgendwie retro sind – sie selbst interessiere sich vor allem für das Futuristische, sagt Giffhorn, für Utopien und Dystopien, dafür, wie unsere Welt in der Zukunft aussehen könnte. Ihre Masterarbeit in Architektur schrieb sie unter anderem über die Frage, ob Künstliche Intelligenz irgendwann die Architekt:innen ersetzen wird. Außerdem habe sie ein großes Faible für Computer und Quantenphysik. „Wenn ich es mir richtig gut gehen lassen will, höre ich Podcasts oder lese Magazine zu diesem Thema“, sagt sie.

Auch das Weltall fasziniert Giffhorn. Ihr Album „Desert Songs“ beginnt und endet mit einem Fieldrecording der Nasa von einem Schwarzen Loch. „Das wurde gerade veröffentlicht als der Song fertig war und ich fand, dass es gut passt – weil es so eine Kreisbewegung hat“, sagt sie. „Niemand weiß ja so richtig, was schwarze Löcher sind, aber in unserer Vorstellung ist es gleichzeitig das Nichts, aber auch alles, und Zeit und Raum werden darin zusammengezogen. Das war für mich so ein schöner Spiegel zur Wüste, die ja auch irgendwie alles und nichts ist.“

Dennoch: Nur in fremden Sphären schweben möchte Giffhorn nicht. Bei ihren vielen Reisen habe sie gemerkt, dass Berlin ein guter Ort ist, um immer wieder zurückzukommen. Und schwarze Löcher, in denen Raum und Zeit verschwinden, gibt es hier sowieso genug.

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