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Maler und Bildhauer Said Baalbaki vor seiner Bronze „Kein Zwang zum Glauben“ in der Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten.

© Rolf Brockschmidt

Der Künstler Said Baalbaki: „In Krisenzeiten arbeite ich lieber konzeptionell“

Er ist Geschichtenerzähler, Erfinder, Historiker und Maler. Seine Ausstellung im Kunstverein Tiergarten handelt vom Leben zwischen Berlin und Beirut. Ein Treffen.

„Kein Zwang zum Glauben“ (La ikra’ha fi al ddin) steht auf Arabisch auf der weißen Wand, der viel zitierte Vers 256 der 2. Sure des Korans.

Keine Kaligrafie im üblichen Sinn, sondern eine aus breiten Ledergürteln, die kunstvoll gefaltet, diesen Schriftzug ergeben. Er erinnert an den eckigen Kufi-Stil der arabischen Kaligrafie, soweit man das mit Ledergürteln hinbekommt. Aber der Künstler Said Baalbaki setzt noch eins drauf: Er hat diese Gürtel 2020 in Bronze gegossen.

Zu sehen ist diese Arbeit des libanesisch-deutschen Künstlers in seiner ersten großen Einzelausstellung „Gestern wie heute“ in der Galerie Nord des Kunstvereins Tiergarten, die seine künstlerische Arbeit aus 20 Jahren in Berlin zusammenfasst.

Alle Aspekte seines Schaffens vereint

Baalbaki wurde 1974 in Beirut geboren. Seine künstlerische akademische Ausbildung bekam er in Beirut, Amman und Berlin. „Alle Arbeiten in der Ausstellung haben einen Schwerpunkt in meiner Kindheit“, sagt er.

Glaube, Kunst und Geld stehen in Beziehung zueinander

Said Baalbaki, Künstler

Baalbaki ist Geschichtenerzähler, Erfinder, Historiker, Sammler, Maler und Bildhauer in einem. Zum ersten Mal vereint er in dieser Ausstellung drei Aspekte seines Schaffens, die er früher nur einzeln gezeigt hatte.

Da ist sein Al-Buraq Projekt, eine museale Wunderkammer mit neun Vitrinen im Stil des 19. Jahrhunderts, in denen er sich mit einer fiktiven naturkundlichen Ausgrabung in Jerusalem zu Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigt. „Seit meiner Masterarbeit 2006 an der UdK setze ich mich mit Al-Buraq, dem mythologischen Reittier mit menschlichem Antlitz und Flügeln auseinander, auf dem Mohammed an einem Tag in den Himmel aufgefahren ist und zurück.“

Said Baalbaki wuchs in einer Künstlerfamilie auf

Als Kind habe er viel gelesen, Zeitungsartikel ausgeschnitten. Als er ein Jahr alt war, begann der libanesische Bürgerkrieg. Außer zur Schule durfte er das Haus nicht verlassen – und der Krieg endete erst 1990. Zum Glück wuchs er in einer Künstlerfamilie auf. „Bei uns hingen viele Bilder an der Wand, wir hatten eine große Bibliothek, mein Vater gab mir Privatunterricht“.

Baalbaki posiert in dem Raum mit den taubenblauen Vitrinen und der blauen Samttapete wie ein Museumsdirektor. Alle ausgestellten Objekte, die Skelette, die Dokumente, die Fotos, hat Baalbaki selbst geschaffen.

Die ganze Installation ist pure Fiktion. Said Baalbaki erzählt in seiner Ausstellung vom angeblichen Fund von Al Buraq, dem geflügelten Pferd des Propheten.

© Rolf Brockschmidt

Die Vitrinen hat er während der Corona-Pandemie 2020 in Beirut entworfen und 38 Beine dort drechseln lassen, die er dann als Sperrgepäck mit nach Berlin nahm. „Eine Woche später machte der Libanon die Grenzen dicht“. Aber auch in Berlin traf ihn der Lockdown. Er durfte mit seinen Kindern das Haus nicht verlassen. „Ich sah in den Augen meiner Kinder meine eigene Kindheit“.

Kohle verdienen mit der Kunst

2020 war aber nicht nur Corona, sondern auch die verheerende Explosion des Getreidesilos im Hafen von Beirut. „Ich konnte nicht mehr malen, das war schon nach dem Libanonkrieg 2006 so. Die Konzeptarbeit ist für mich dann die beste Therapie. Malen ist emotional. In Krisenzeiten kann ich besser konzeptionell arbeiten.“

Der zweite Raum ist dem Bildhauer und Maler Baalbaki gewidmet. Das Nomadische in seinem Leben zwischen Berlin und Beirut spiegelt sich in seinen Kofferbildern, die an Flucht und Vertreibung, aber auch an Reisen erinnern. Und dann die Kohlebilder, gemalte Briketts.

Das Werk von Jussuf Abbo

Aber wie kam er darauf, religiöse Bauwerke aus Rekord-Briketts zu bauen, etwa eine Kathedrale und eine 2,30 Meter hohe Mehrab, eine Gebetsnische aus der Serie „Black Rock“? Er lächelt. Im Atelier hat er 2008 mit Kohle geheizt, aber „kann ich mit meiner Arbeit Kohle machen?“, fragte er sich damals und fing an, Kohlebilder zu malen.

„Jedes quadratische Gebäude ist eine Kaaba“, lautet ein berühmter Satz des Gelehrten Al-Thalabi aus dem 10. Jahrhundert, an den er sich aus dem Unterricht bei seinem Vater erinnerte. „So begann ich dreidimensional im Raum zu denken“, für Baalbaki eine neue Erfahrung. Und den Sisyphus malte er nun als Kohleträger, der wie der Künstler versucht, sein Auskommen zu finden. „Glaube, Kunst und Geld stehen in Beziehung zueinander“, sagt er.

Der letzte Raum „Der heimatlose Prinz“ ist dem palästinensisch-jüdischen Bildhauer und Grafiker Jussuf Abbo gewidmet, der 1915 bis 1930 sehr erfolgreich bei führenden Galeristen in Berlin ausstellte. Seit acht Jahren sammelt Baalbaki alles, was er zu Abbo finden kann. Er will dessen Lebenswerk rekonstruieren.

Abbo floh 1935 mit einem gefälschten ägyptischen Pass nach London. Baalbaki sieht Abbo als verwandte Seele, ein Mensch, der ein nomadisches Leben führte. „Ich will Gerechtigkeit für diesen Künstler“, sagt er. Der Markt hat reagiert. Signierte Werke von Abbo kann sich Baalbaki heute nicht mehr leisten, wohl aber die anonymen Werke, die er sicher am besten erkennt.

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