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Devo in der Zitadelle Spandau: Keyboarder Gerald Casale, Sänger  Mark Mothersbaugh und Gitarrist Bob Mothersbaugh.

© picture alliance / PIC ONE

Devo in der Zitadelle Spandau: Regression statt Zukunft

Die legendäre New-Wave-Band Devo feiert ihr 50-jähriges Bestehen mit einem Konzert in der Zitadelle Spandau. Auch als über 70-Jährige verströmen sie noch viel Energie.

Im Jahr 2073 schon was vor? Dann ist nämlich 100 Jahre Devo. Und wenn es so weitergeht mit der Band aus Akron, Ohio, spricht nichts dagegen, 2073 zu einer ihrer Shows zu gehen. Dazu lud die Band bei ihrem Konzert in der Zitadelle Spandau jedenfalls ein. Denn ihre Mitglieder sind zäh, zumindest die meisten: Sänger und Gründer Mark Mothersbaugh, sein Bruder Bob, und Gründungsmitglied Gerald Casale haben die 70 überschritten. Aber Devo, das wissen Fans, „are not men“. Sondern eben „Devo“.

„Devo“ zu sein, ist anders: Vom Konzept der „De-Evolution“ rührt der Bandname her, Regression anstatt Zukunft, entstanden aus einer künstlerisch-politischen Empörung. Mothersbaugh und Casale, damals Studenten an der Kent-Uni in Ohio waren schockiert, nachdem die Nationalgarde im Jahr 1970 gewaltsam eine Anti-Vietnam-Demo beendete, durch Schüsse in die friedlich protestierende Menge, vier Studenten kamen ums Leben.

Devo wurde geboren, als formal freier, radikaler, musikalischer Anti-Establishment-Anti-Politik-Kunst-Mix, bei dem irgendwo im Hintergrund das Living Theatre zum Abschied winkte, während am Zukunftshorizont Punk lockte. Seit 1973 spielten sie als Band zusammen. Seit 1978 machten sie, initiiert von Fans wie David Bowie und Brian Eno, großartige Platten, neun an der Zahl, mehr als die Hälfte davon entstanden in den Achtzigerjahren, und wurden mit New Wave umschrieben, obwohl sie so viel mehr sind. Meist trugen Devo auf Covern und bei Konzerten sogenannte „Energy Dome“-Hüte, bunte (oft rote) Plastikkopfbedeckungen, die an von einem Bauhaus-Künstler designte, umgedrehte Blumenübertöpfe erinnern.

Beim Freilichtkonzert in Spandau, auf dem sich auch Devos Bergfest, ihr 50-jähriges Bestehen feiern ließ, schützten diese Hüte einige Menschen im Publikum vor kurzen Schauern (das angekündigte Unwetter hatte sich nicht ganz nach Spandau getraut), und machten stolz sichtbar, wer beinharter Fan ist (das letzte Devo-Berlin-Konzert ist über 30 Jahre her!). Gleichzeitig recycelten sie Orgonenergie. Das ist zwar eventuell Quatsch, aber ein Teil von Mark Mothersbaughs stark fehlsichtigem Charme besteht darin, dass Quatsch und Wahrheit dicht nebeneinander liegen. Erst 2008 erwähnte er in einem Interview die durch „Energy Domes“ gesammelte Orgonenergie, und die dadurch verlängerte Lebensspanne – was wiederum zur Einladung zum 2073-Konzert der Band passt.

Ein Fan trug am Dienstag einen kleinen, rotbraunen, echten Plastik-Blumenübertopf auf dem Kopf, der beim Bewegen nicht runterfiel. Und nicht Bewegen geht nicht bei Devo. Schon das erste Album „Q: Are we not men? A: We are Devo!“ startete 1978 exakt so, wie in einer idealen Welt jede gute Platte starten sollte, mit „Uncontrollable Urge“: Durakkorde brettern (die Devo-Gitarristen verabscheuen generell Moll), ein Beat knallt, ein Keyboard hustet einmal kurz und deutlich, und Mothersbaugh steigt ein mit einer Art aktualisiertem „A-wop-bop-a-loo-bop-a-lop-bam boom“-Lament, nämlich mit dem ähnlich rhythmisch-dadaistischen „Yeah yeah yeah yeah yeahyeahyeahyeahyeahyeahyeah YEAH!!“.

Schließlich geht es um besagten, unkontrollierbaren Drang, und wenn man etwas darüber erzählt, dann muss das laut passieren: „I wanna tell you all about it / I wanna scream and shout it!“. Besser lässt sich wuchernde Energie an der Schnittstelle zwischen Prog, Punk, New Wave und Hormonauftrieb kaum auf den Punkt bringen.

Von jenem Debütalbum spielten Devo am Dienstag neben „Urge“ das schön vor sich hinstampfende „Jocko Homo“, zudem (in Ignoranz der gesteigerten Sprachsensibilität, gleichzeitig als trotzige Hymne für Menschen mit Down-Syndrom gemeint) ihren Hit „Mongoloid“, selbstredend auch das schaukelnde, berühmte Stones-Cover „(I can’t get no) Satisfaction“, während im Hintergrund an Kraftwerk erinnernde, animierte Videos über die Leinwand flimmerten.

Sie spielten „Girl U Want”, „Whip it“ und den Titelsong vom „Freedom of Choice“-Album; „That’s Good“, „Peek-a-boo“, und „Going under“; zudem “Don’t shoot me (I’m a man)” vom überzeugenden Re-Union-Album, und eine wunderbar lange Version von „Beautiful World“, präsentiert vom in Falsettstimme und mit Maske agierenden, gruseligen Alter Ego Mothersbaughs „Booji Boy“. Dass dieser Mann nicht nur Filmmusiken für Wes Anderson schrieb, sondern es als Komponist auch schaffte, die artifizielle, kribbelig-plastikartige Lego-Attitude für die dazugehörigen Animationsfilme in kongeniale Musik zu übersetzen, wundert einen nicht. Mark Mothersbough wird anscheinend nicht älter, es wächst nur sein Back-Katalog.

Das Konzert, angekündigt als Abschiedsvorstellung, machte also auf vielerlei Ebene glücklich: Sound und Stimme(n) waren – bis auf wenige Tempo-Wackler - verlässlich am Start, die beiden fidelen Mothersbaugh-Brüder und Casale (dessen Bruder Bob, ebenfalls Devo-Kollege, starb 2014) zogen sich während der Show dreimal um, einmal schlüpften sie gar in die notorischen gelben Overalls. Und die Fans (Zitadelle nicht ausverkauft, aber voll) feierten dankbar mit.

Der Termin im Jahr 2073 steht somit, keine Ausrede. Die Energy-Domes sind bis dahin schließlich auch noch lange nicht verrottet.

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