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Stand auf der Frankfurter Buchmesse

© AFP/DANIEL ROLAND

Die Lage auf dem Buchmarkt: Überwältigende Sprachkraft, berührendste Geschichten

Um Bücher zu verkaufen, werfen die Marketingabteilungen der Verlage mit Superlativen um sich. Was gar nicht nötig ist: Die Belletristik verzeichnete 2023 überdurchschnittliche Zuwächse.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Man ist jedes Mal wieder verblüfft darüber, wie Verlage ihre neuen Titel anpreisen. Zwei Beispiele: Ende Februar erscheint ein Roman der Schweizer Autorin Dana Grigorcea im Penguin Verlag, er heißt „Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen“. Vermutlich war dieser Titel so verführerisch, dass sich die Marketing-Abteilung schier überschlug: „Mit unvergleichlichem Charme“ erzähle Grigorcea „von der Verquickung des Lebens mit der Kunst“, heißt es da hinten auf dem Buch, und das „in einer Sprache von überwältigender Kraft und schwebender Leichtigkeit“.

Es reichen also weder Charme, Kraft und Leichtigkeit allein. Nein, all das muss unvergleichlich, überwältigend und schwebend sein. Verdächtig. Und die Lektüre wird diesen Superlativen nicht gerecht: Grigorceas Sprache ist okay, man mag sie „kräftig“ nennen. Aber überwältigen tut sie nicht, sie hat eher was Putziges.

„Groß“ und „berührend“

Anders liegt der Fall bei dem nächste Woche im Aufbau Verlag erscheinenden Roman der US-Schriftstellerin Sigrid Nunez, „Die Verletzlichen“. Dieser soll natürlich ein „großer“ sein und eine „berührende“ Geschichte erzählen. Mit „Roman“ ist das bei Nunez aber so eine Sache, ihre Bücher sind viel mehr Memoirs mit fiktiven Anteilen.

Wenn dann hinten draufsteht „eine Frau, ein junger Student, ein wunderschöner Papagei“ und „die berührende Geschichte ihrer Begegnung“, könnte es zu einer schweren Produktenttäuschung kommen.

Es dauert lange, bis es zu dieser Begegnung kommt, berührend ist sie nicht, und ihr Herz ausschütten, wie auf dem Buchcover verkündet, tun Nunez’ Alter ego und der Student auch nicht gerade. Überhaupt geht es viel um Literatur in dem Buch, um die Zeit der Pandemie. Doch das verschweigt der Verlag lieber, vermutlich sieht er das nicht als verkaufsfördernd an.

Angst vor Umsatzeinbrüchen

Man könnte bei so viel immer übertriebener werdenden Werbesprech auf den Gedanken kommen, dass im Verlagswesen die Angst umgeht – davor, die Leserinnen und Leser nur noch mit dem Allerallerbesten und Allerallerberührendsten und Allerallergrößten ansprechen zu können, selbst wenn diese Versprechen gar nicht gehalten werden können.

Doch scheint diese Angst unbegründet: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zog für das Buchmarktjahr 2023 eine positive Umsatzbilanz und registrierte insbesondere in der Belletristik „überdurchschnittliche Zuwächse“. Um 7,7 Prozent waren diese im Vergleich zu 2022 höher, auch die Zahl der verkauften Bücher stieg, um 1, 2 Prozent. Wenn das nicht mal überwältigend ist, unvergleichlich, berührend gar.

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