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Julia Jacklin

© Nick Mckk

Album "Pre Pleasure" von Julia Jacklin: Die Liebe bleibt ein seltsames Spiel

Die australische Sängerin Julia Jacklin veröffentlicht auf ihrem Album „Pre Pleasure“ die bittersüßesten Songs des Spätsommers.

Ausgerechnet Céline Dion sei ihr „spiritueller Leitstern“ gewesen, als sie an den Songs ihres neues Albums gearbeitet habe, hat Julia Jacklin erzählt. Das wirkt einigermaßen absurd, denn mit den hochdramatischen, mitunter kitschig überdrehten Powerballaden des kanadischen Superstars hat der zarte, introvertierte Folkpop der australischen Singer/Songwriterin nicht viel gemein. Auch Jacklins spröd-sanfte, eher an Aimee Mann oder Nico von The Velvet Underground erinnernde Stimme ist Welten entfernt von Dions kraftvollem, sich zu opernhaften Koloraturen hochschraubenden Organ.

Gelernt hat Julia Jacklin von Céline Dion, die sie seit ihren Teenagertagen verehrt, etwas anderes als Kompositionskniffe oder Gesangstechniken: eine Haltung. Dass man keine Angst vor großen Gefühlen haben muss, dass es nicht immer darauf ankommt, cool zu sein. Aus der „Indie-Rock-Welt der Coolness“ habe sie schon länger ausbrechen wollen, sagte Jacklin in einem Interview. Denn darin könne es sich „sehr eng und erstickend anfühlen“.

Dokument der Befreiung

So ist ihr vor kurzem erschienenes drittes Studioalbum „Pre Pleasure“ das Dokument einer Befreiung. Die Sängerin hat sich nicht nur von fremden, sondern auch von ihren eigenen Erwartungen befreit. Ein Aufbruch, der sich auch im opulenteren, mit Streichern und Bläsern bereicherten Klangbild zeigt.

Ganz in der Folktradition ging es Jacklin schon immer darum, in ihren Songs aufrichtig und ehrlich zu sein. Die zehn Titel von „Pre Pleasure“ wirken wie autobiografische Puzzleteile, bei einigen würden die Lyrics auch als Kurzgeschichten funktionieren.

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So wie beim herausragenden Auftaktstück „Lydia Wears a Cross“, in dem sich die Sängerin zum Pluckern einer Drum Machine an ihre kindliche Verwirrung erinnert, als sie im katholischen Religionsunterricht für Prinzessin Diana betete, die gerade tödlich verunglückt war. Und während die Schüler dachten, beim Glauben gehe es vor allem um das gemeinsame Singen, forderte die Lehrerin Unterwerfung unter die Dogmen der Kirche: „Eyes to the board / Thoughts to our Lord.“

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Julia Jacklin wurde vor 32 Jahren in Sydney geboren. Sie wuchs in einer Familie von Lehrern in den Blue Mountains auf, einem 50 Kilometer entfernten Nationalpark. Heute lebt sie in Melbourne. Mit zehn Jahren war sie von Britney Spears begeistert und nahm Gesangsunterricht. Sie fand auch Doris Day toll, eine Zeit lang wollte sie Fiona Apple sein. Parallel zu ihrem Studium der Sozialpolitik trieb sie ihre Musikkarriere voran, zunächst in der Indieband Phantastic Ferniture.

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Um die Aufnahmen für ihr Debütalbum „Don’t Let the Kids Win“ (2016) finanzieren zu können, jobbte Jacklin in einer Fabrik für ätherische Öle. Ihre noch recht puristischen Folksongs schafften den Sprung ins Programm von BBC Radio 6, australische Medien feierten die Sängerin als „Next Big Thing“, sie trat beim britischen Glastonbury Festival auf. Mit ihrem musikalisch vertrackteren Album „Crushing“ (2019) verarbeitete Jacklin eine Trennung und feierte die Wiedergewinnung ihrer persönlichen und körperlichen Autonomie. Die Platte brachte ihr die Einladung von Lana Del Rey ein, gemeinsam auf der Bühne einen Song daraus – „Don’t Know How to Keep Loving You“ – zu singen. Manchmal, wenn sie ihre Stimme in eine höhere Tonlage bringt, klingt Jacklin tatsächlich ein wenig wie Del Rey.

Vereinigung verweigern

Das Scheitern zwischenmenschlicher Kommunikation sowie die Wonnen und Abgründe der Liebe sind auch auf „Pre Pleasure“ wiederkehrende Themen. Während Jacklin im gleißend hellen Indie-Disco-Kracher „I Was Neon“ mantraartig zu Post-Punk-E-Gitarren die Vereinigungs-Verweigerungs-Zeile „Am I gonna lose myself again“ wiederholt, bekennt sie in der Pianoballade „Love, Try Not To Let Go“, dass sie nichts so sehr herbeisehnt wie die Liebe – und gleichzeitig nichts mehr fürchtet.

Das allertraurigste unter den bittersüßen Liedern des Albums heißt „Less Of A Stranger“ und handelt von der Beziehung der Sängerin zu ihrer Mutter, die ihr immer vorkam wie eine Fremde. Begleitet nur von einer Akustikgitarre singt sie „Never gonna know you“, mit einer matten und schrundigen Stimme, die von langen vergeblichen Kämpfen zu künden scheint.

Aufgenommen wurde „Pre Pleasure“ im September 2021 in Montreal, produziert von Marcus Paquin, der unter anderem für The National gearbeitet hat. Owen Pallett von Arcade Fire lieferte Streicherarrangements, die von einem Orchester in Prag eingespielt wurden. Die Mitglieder von Jacklins Tourband sind in Kanada ansässig, einige spielen hauptberuflich bei Indie-Großbands wie The Weather Station oder Arcade Fire. Montreal ist übrigens auch die Stadt, in der Céline Dion aufwuchs, Jacklins inzwischen gar nicht mehr so heimliches Idol.

[„Pre Pleasure“ von Julia Jacklin ist bei Transgressive/Pias erschienen]

Früher sei sie unzufrieden mit sich gewesen, hat Julia Jacklin erzählt, habe sich für musikalisch limitiert gehalten. „Heute weiß ich, dass ich Fähigkeiten besitze und mich nicht unzureichend fühlen muss, weil ich nicht über alle Fähigkeiten verfüge.“ Mit einem Orchester zu arbeiten sei ein Traum gewesen, den sie sich früher wohl nicht zu verwirklichen getraut hätte.

Auf „Pre Pleasure“ stehen nun Songs, für die Jacklin nur ihre Stimme und eine Gitarre oder ein Klavier benötigt, neben Stücken, die sich zu ganz großem, weltumarmenden Pop aufschwingen. Fehlt nur noch eine Coverversion von „My Heart Will Go On“.

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