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Entertainerin Jade Pearl Baker und The Pearls.

© Jörn Hartmann

Die Musikrevue „Drag.Glam.Berlin“ am BKA Theater: Glitzer ist eine Rüstung

Mit einer neuen Glam-Revue feiert das BKA sein 35-jähriges Bestehen. Für die junge Dragkünstlerin Jade Pearl Baker ist es die erste große, abendfüllende Show.

Eigentlich keine schlechte Idee, eine Berlin-Revue mit einer Reflexion zum Thema Sumpf und Morast zu beginnen. Auf solchen ist die Stadt bekanntlich gegründet, der Name selbst bedeutet „Ort in sumpfigem Gelände“, und Moore haben in Zeiten der Erderwärmung sowieso einen Imagewandel erlebt, als bedeutender CO2-Speicher und Hotspot der Artenvielfalt.

Kein Zweifel, dass auch Berlin ein solcher ist: „Hier hängt der Himmel unten, nicht oben“, ruft Jade Pearl Baker gleich zu Beginn ins Publikum, wo nicht wenige ihre Wochenenden in Dancefloors oder Darkrooms verbringen dürften und ihr aus vollem Herzen zustimmen.

„Drag.Glam.Berlin“ heißt die neue Show, mit der das BKA Theater am Mehringdamm seinen Partysommer zum 35-jährigen Bestehen fulminant beschließen und zugleich seiner Tradition treu bleiben möchte, aufstrebende Drag-Künstler zu fördern. Es ist die erste abendfüllende Produktion, bei der Jade Pearl Baker im Mittelpunkt steht – nach Kräften unterstützt von Aniello Saggiomo, Benedikt Peters und Christopher Tim Schmidt als Backgroundsängerinnen. Bekannt wurde Baker durch ihren Auftritt bei „The Voice of Germany“ 2017, am Deutschen Theater war sie 2019 in „Ugly Duckling“ zu sehen.

Jade Pearl Baker nimmt nicht den leichten Weg

Berlin also, ein dankbares Thema. Jade Pearl Baker aber nimmt nicht den leichten Weg, liefert erstmal eine Kritik der Mythen dieser Stadt: „Immer wieder die 20er Jahre, die 90er Jahre – und lässt sich die Geschichte West-Berlins eigentlich nicht erzählen, ohne dass nach wenigen Augenblicken David Bowie auftaucht?“ Ihre Botschaft: Berlin ist heute, 2023, Berlin ist jetzt – „was Besseres gibt es nämlich nicht!“ Viele interessante Thesen bietet sie an, dazu Musik: ikonische Berlin-Songs von Hildegard Knef und Christiane Rösinger, eine lässig-rotzige Version von Peter Fox „Schwarz zu Blau“, und auch Marlene Dietrich „Left one little suitcase in Berlin“ (Arrangements: Martin Rosengarten).

Der frühere Malediva-Pianist Florian Ludwig steuert neue Songs bei, die Texte dafür – etwa „Im Keller von Tom‘s Bar“ („Nur im Dunkeln sieht man richtig“) – stammen vom kernigen Regisseur Johannes Kram, der im BKA Theater mit der „Operette für schwule Tenöre“ einen großen Erfolg feiern konnte.

Womit wir bei den Schwierigkeiten des Abends wären: Anders als in der Operette hat „Drag.Glam.Berlin“ keine durchgehende Handlung, muss es auch nicht, ist ja schließlich eine Revue. Aber Bakers intelligentes Sinnieren und die musikalischen Nummern stehen häufig recht locker nebeneinander, wirken streckenweise wie addiert. Auch kann sie nicht die gleiche Gravitationskraft als Zentralfigur entfalten wie der selbstverständlich im Publikum anwesende Ades Zabel. Anfangs klingt vieles wie aufgesagt, es fließt nicht selbstverständlich, erst in der zweiten Hälfte spielt sie sich frei. Dann gewinnt die Stimme an Substanz und Fundament, in Philip Glass‘ „Streets of Berlin“ hebt sie sogar in überraschende countertenorale Höhen ab.

Ein Schlüsselbegriff dieses Berlin-Hommage-Abends ist „Rettung“ – wird die so oft gebashte Hauptstadt doch chronisch unterschätzt als ein Ort, der tatsächlich viele gerettet hat, die hier endlich zu Freiheit und Unabhängigkeit, zu sich selbst gefunden haben, die etwa aus dem Rheinland kommen und einen Satz wie „Kölner lassen keinen allein“ eher als Bedrohung empfinden.

Bedrohlich sind die Zeiten sowieso, die Zeichen stehen auf Rollback, die liberale Gesellschaft ist in der Defensive, in Polen und Ungarn, aber auch in den USA, Stichwort Florida oder Supreme Court. Und wenn die AfD in Deutschland mitregieren sollte, wird sie sich wohl dafür einsetzen, dass als erstes undeutsche Shows wie „Drag.Glam.Berlin“ vom Spielplan verschwinden.

Rassismus, Antisemitismus, Homophobie schwellen überall an, und Jade Pearl Baker erinnert daran, dass Glamour nicht nur schön glitzert, sondern zugleich Rüstung ist: „Als Tunten eignen wir uns hervorragend für Empörung“. Sie stellt sich in eine (für Berliner Verhältnisse) lange Tradition, beruft sich auf verstorbene Vorgängerinnen wie Melitta Sundström, Ovo Maltine, Pepsi Boston, für die Tunte-Sein immer gleichbedeutend war mit politischem Kampf.

Das Premierenpublikum ist begeistert, klar. Doch das alte strukturelle Problem, im Theater vor allem zu den Bekehrten zu predigen, die eigene Blase zu stärken, wird auch hier nicht gelöst. Sieben Vorstellungen gibt es noch, mal sehen, ob die Stimmung an normalen Repertoire-Abenden hält. Zu wünschen wäre es dem Team auf jeden Fall.

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