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Der wilde Westen will leben - jedenfalls an der Volksbühne.

© Luna Zscharnt

Ein Underdog schwingt sich aufs Pferd: „Karl May“ an der Volksbühne

Was ist Heimat, wo kommt sie her, wie kommt man hin? Ein seltsamer Abend am Rosa-Luxemburg-Platz

Da ist er wieder. War er nicht erledigt als weißer Mann, abgedrängt in die ewigen Jagdgründe des Klischees? Überraschung zum Jahresende: Karl May reitet für die Volksbühne. Zwar nur im kleinen Format, in den Prater Studios, wo das Publikum mit den Akteuren auf der Bühne sitzt. Aber doch eben: „Karl May“.

So schlicht und einfach ist der Titel des Stücks von Enis Maci und Mazlum Nergiz. Die beiden haben ihren Text auch inszeniert in der Westernkulisse von Leonard Neumann. Weite Landschaft, wilde Felsformationen und in der Mitte, wie ein Heiligtum, ein Electric Bull, wie man das vom Jahrmarkt kennt. Rodeo für Arme. Ein Ritt auf der Stelle, Absturz garantiert.

Bestseller aus dem Knast

Enis Maci und Mazlum Negiz sind zu jung, um mit Karl May und seinen Abenteuergeschichten aufgewachsen zu sein. Ihre Familien stammen aus Albanien und der Türkei, aus dem Land der Skipetaren und dem wilden Kurdistan, wie das bei Karl May heißt. Wo er bekanntlich niemals war, wohin seine unbezähmbare Sehnsucht und Fantasie ihn trug. Ein starker Ansatz: Wie entsteht Identität, was gehört zur deutschen Kultur und Tradition, wenn es das überhaupt gibt?

Mit Kara Ben Nemsi nach Amerika

Volksbühnentypisch versuchen drei Typen erst einmal die Lage zu klären. Ann Göbel, Oscar Olive und Martin Wuttke betrachten die Reiseroute von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, die in Amerika zu Old Shatterhand und Winnetou mutieren. Wobei Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand Inkarnationen ihres Schöpfers sind, der in Sachsen eine mehrjährige Gefängniskarriere durchläuft, aus der er sich mit unfassbarer Energie hochschreibt zum Bestseller für Millionen und Generationen.

Das war es eigentlich schon. Zum Finale gibt es noch einmal Karl May im nachholenden Schnelldurchlauf auf der Rodeomaschine, die Martin Wuttke aber nicht zu doll aufdreht, sonst würde Ann Göbel auf die Hinterbühne fliegen. Das war es mit Karl May, dem größten aller Heimatschriftsteller, der Weihnachten so liebte, dass er dem Fest einen ganzen Roman widmete.

Wo Trucker träumen

Der literarische Hochstapler spielt die längste Zeit hier überhaupt keine Rolle. Es geht vielmehr irgendwie um Trucker auf einem Rastplatz, um einen Psychiater und einen Typ namens Frank (immer noch das Übervatertrauma an der Volksbühne?!) und unbezahlte Rechnungen. Im weitesten Sinn drehen sich die verwirbelten Texte um gestörte Wahrnehmung der Realität, wer bin ich? Sind wir vielleicht alle Karl, Karl May, arme Schlucker, grandiose Spinner?

„Es ist eine maximal peinliche Veranstaltung“. Dieser ehrliche Satz lässt aufhorchen. Eintönig ziehen Reflexionen über Buffalo Bill, Pierre Brice und „Das Schweigen der Lämmer“ vorüber, die Zusammenhänge sind klar, aber auch nur so dahingestellt. Länglich erzählen sie von einem gewissen Kowalski, der in den USA zu Mr. Smith wird. Ein zauseliger Wuttke kämpft mit Geistern, die sich nicht identifizieren lassen. Wuttke legt sich ins Geschirr, während die beiden andern phlegmatisch zuschauen und kommentieren.

Daten der kolonialen Weltgeschichte laufen über die Leinwand. USA, Frankreich, Vietnam, Türkei, der schlesische Weberaufstand und „Apocalypse Now“, darin eingeschrieben die Angaben zu Karl May: geboren 1842 am Erzgebirge, gestorben 1912 in Radebeul. In der Powerpoint-Präsentation ist keine Rede davon, dass er sich als Pazifist gegen den wilhelminischen Militarismus stellte.

Karl May hat eine Welt erfunden, die besser sein wollte und sollte als die Wirklichkeit. Er hat seine Wirklichkeit durchgesetzt, gegen die Mächte des Bösen. Auch seine Religiosität wäre ein Thema, wenn man sich schon mit ihm beschäftigen will. Es muss ja nicht sein. Karl May wird heute weniger gelesen. Auch an der Volksbühne ist er bloß ein Stichwortgeber, ein blasser Mythos. Mayday, Mayday: Da kann man schon mal Notruf funken.

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