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Von Paris nach Peking in 45 Minuten: Plakat der Weltausstellung 1900.

© Sammlung Jürgen Klein, Mönchengladbach

Eisenbahngeschichte: Georges Nagelmackers erfand den Orient-Express

Gerhard J. Rekel erzählt in einer romanhaften Biografie, wie ein belgischer Ingenieur und Unternehmer mit Luxuszügen Welten verband.

Von Paris nach Peking mit der Eisenbahn? Auf der Weltausstellung im April 1900 dauerte das nur 45 Minuten. Die Besucher nahmen in einem Original-Luxus-Wagon der „Compagnie Internationale des Wagon-Lits“ Platz, Kellner in Tatarentracht servierten Kaviar und Champagner, und am Fenster flog die russische Landschaft vorbei, auf vorbeiziehenden Panorama-Leinwänden.

Wer dieses Spektakel erlebt hatte, so hoffte Impresario Georges Nagelmackers, würde sein neuestes Projekt, den „Train Transsibérien“, unterstützen. Hatte er nicht schon bewiesen, dass er fähig war, Welten zu verbinden?

Es ist eine faszinierende Geschichte, die der Roman- und Drehbuchautor Gerhard J. Rekel aufgetan hat: Wer kennt schon Georges Nagelmackers, den belgischen Unternehmer und Erfinder des Orient-Express, 1845 als Sohn eines Bankiers bei Lüttich geboren? Als junger Mann lernte er bei einer USA-Reise die Pullman-Schlafwagen kennen und beschloss, Europa mit einem Netz von Schlafwagenlinien zu überziehen.  

Tüftler, Visionär, Perfektionist: Georges Nagelmackers.

© Sammlung Jürgen Klein, Mönchengladbach

In seiner Biografie, der ersten, die es von Nagelmackers gibt, beschreibt Rekel auf romanhafte Weise das höchst wechselvolle Leben des perfektionistischen Ingenieurs und Unternehmers als eine Abfolge von schlimmen Pannen und grandiosen Erfolgen. Rekel hat Nagelmackers‘ Geschichte auch schon für die ZDF-Dokumentationsreihe Terra X filmisch dargestellt und für das Buch mit zeitgenössischen Fotos und Werbeplakaten attraktiv bebildert.

Georges Nagelmackers‘ berühmtestes Projekt, nachdem er 1873 mit einem einzigen angehängten Wagen zwischen Wien und München begonnen und danach Schlafwagenlinien zwischen Paris und Wien und anderen europäischen Städten aufgebaut hatte, war der Orient-Express.

Abendland und Morgenland zu verbinden, ohne dass man Züge wechseln und in Hotels übernachten musste, und das bei größtem Luxus und in bester Gesellschaft: Das war sein Ziel.

Dinieren und Sinnieren im Speisewagon.

© Wagons-Lits Diffusion, Paris

Atemberaubend die Geschichte der Premierenfahrt nach Konstantinopel, zu der Nagelmackers 1883 einen ganzen Schwung Journalisten einlud. Sie sollten den Orient-Express in der Welt bekannt machen, es durfte nichts schiefgehen. Und ja, die kritischen Begleiter von der „Times“ und der „Münchner Allgemeinen Zeitung“ ließen sich sehr gerne von der exquisiten Küche verwöhnen – alles wurde frisch gekocht, die Hühner in Straßburg lebend zugeladen.

Dass die Herren und zwei Damen zwischendurch, ungeplant, durchnässt zum Schloss des Königs von Rumänien stiefeln und im bulgarischen Hafen von Varda zwischen Bettlern und Schafen warten mussten, ließ Nagelmackers das Schlimmste fürchten.

Aber die Reisenden waren vom Luxus der von Nagelmackers designten Wagons und der neuartigen Erfahrung begeistert. „Der Orient-Express ist eine Revolution in der Kunst des Reisens“, titelte die Times. Ab 1889 dauerte die Fahrt von Paris nach Konstantinopel nur noch 67 Stunden, anfangs um die 80.

Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs betrieb die „Compagnie Internationale des Wagon-Lits“ 180 Schlafwagenlinien in ganz Europa und darüber hinaus, mit 6250 Mitarbeitern. Nagelmackers eröffnete dazu noch Reiseagenturen – eine davon übrigens Unter den Linden 67 - und Grand Hotels in Konstantinopel, Kairo und Paris, lud großzügig Politiker und Geschäftsleute zu Festen auf sein Schloss ein.

Nagelmackers eröffnete auch Luxushotels an den Zielorten - etwa das Pera in Konstantinopel.

© Sammlung Jürgen Klein, Mönchengladbach

Damit übernahm er sich jedoch. Die Firma fuhr ab 1896 immer mehr Verluste ein, Aufsichtsrat und Banken setzten ihn unter Druck. Schließlich wurde ihm die Prokura entzogen, er bekam gesundheitliche Probleme und starb mit 60 Jahren.

Heute würde man sich ein solches Netz von Schlafwagenlinien wünschen. Nagelmackers‘ Projekt vom transsibirischen Zug Paris-Peking war übrigens zu Lebzeiten nicht von Erfolg gekrönt; der Boxeraufstand destabilisierte China und machte das Land für Reisende unattraktiv. Welten zu verbinden ist eben, das zeigt sich auch heute wieder, eine sehr wackelige Angelegenheit.

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