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Elfriede Selbdritt. Susanne Wolff, Fritzi Haberlandt und Linn Reusse (von links) in Jossi Wielers Inszenierung am Deutschen Theater Berlin.

© imago/Martin Müller / IMAGO/MARTIN MÜLLER

Elfriede Jelinek: Symphonie der Stimmen am Deutschen Theater

Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin brilliert in Berlin mit der Uraufführung ihres jüngsten Stücks „Angabe zur Person“.

Leibhaftig besucht Elfriede Jelinek schon lange nicht mehr die Aufführungen ihrer ungeheuer vielen, den Ungeheuerlichkeiten der Welt gewidmeten Theatertexte. Die heute 76-jährige Literaturnobelpreisträgerin ist so veröffentlichungssüchtig (und -tüchtig) wie zugleich menschenscheu. Doch wirkt sie in der Uraufführung ihrer jüngsten „Angabe zur Person“ am Deutschen Theater Berlin ganz geisterhaft anwesend.

Das liegt schon am Titel des auch als Rowohlt-Buch erschienenen Textes. Denn die Person, die hier im Doppelsinn angibt, ist sie selbst. Seit langem spricht Jelinek zwar in Ich-Form und verbindet allgemeine Verheerungen, von Kriegen, Judenmord, deutsch-österreichischem Neonazismus oder dem Einsturz der New Yorker Twin Towers, mit ihren persönlichen, familiären Versehrungen.

Aber diesmal wird es in ihrem Redefluss trotz aller Verbrämungen, Abschweifungen und kataraktischen Themensprünge immer wieder: fast intim. Dazu gibt hier Jelinek einen genialischen Selbstkommentar: „Ich lasse nichts aus, ich bin eine Art Windel für die Welt.“

Vampirhaft geschminkt

Solche Sätze tragen in Jossi Wiehlers Inszenierung drei furiose Schauspielerinnen vor, nachdem sie beim ersten Auftritt jeweils einen Aktenordner an die Rampe geschmissen haben. Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff sind dabei vampirhaft weiß geschminkt, tragen graublonde Toupets, haben rote Lider und Lippen und geben drei Elfrieden in einer schönen Mischung aus Porträt und (zärtlicher) Karikatur.

Die Akten hingegen symbolisieren die „Angaben“ in einem Verfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung, mit dem die in Wien und München lebende Österreicherin E. J. tatsächlich von Bayerns Behörden überzogen wurde.

Das Verfahren wurde als grundlos eingestellt. Doch für die Autorin öffnet es neben der Abrechnung mit der Bürokratie auch sinnbildlich alle Abgründe der Zeitgeschichte: ob Naziraub einst an den Juden (und die Verfolgung von Jelineks eigener Familie) oder die Flucht aus jedermanns Steuerwüsten in die Steueroasen des Großkapitals, hin zu all den Caymans und Bermudas, den Eilanden für die richtig „goldenen Eier“.

Ans Schandholz genagelt

Weil da auch mal von einem „Tennisspieler“ die Rede ist (aktueller Lachanlass bei der Premiere), kann man die titelgebende „Angabe“ gewiss auch als Aufschlag nehmen. Im Übrigen lässt Jelinek mit derlei Wortspielen einmal mehr keine Anspielung aus, bis hin ins mal Alberne, mal wieder ins Mehrsinnige, wenn sie wegen Hohn und Spott, statt ans Kreuz genagelt, ans Schandholz geklebt werde.

Mit Komponentenkleber, „wo ich so viele Komponenten habe“. Da ist sie, die Humor und Homer paart, eine Nichte von Samuel Beckett, der mal gesagt hat „Im Anfang war der Kalauer“.

Die Berliner Szene der Bühnenbildnerin Anja Rabe zeigt vor einem schwarzen Rundhorizont die Andeutung eines sich drehenden Wohnwagens mit einer Toilettenschüssel neben einem Mülleiner, aus dem einmal der zu vermutende Abfall der Geschichte qualmt.

In der Schwebe

Im Hintergrund sitzt der Schauspieler Bernd Moss vor einem Rechner und technischen Apparaturen und mahnt gelegentlich: „Elfi, lass die dummen Witze!“. So ist immer auch ein Hauch melancholischer, melankomischer Selbstironie im Spiel. Ein Grundton, den Jossi Wielers Regie feinfühlig in der Schwebe hält.

Eigentlich ist „Angabe der Person“ nur wieder eine durchgeschriebene Prosa-Suada, ohne andere Personen als die vielsprechende Autorin. Doch Jossi Wieler, der seit seiner triumphalen Inszenierung von Jelineks „Wolken. Heim“ vor 30 Jahren in Hamburg (gleichfalls mit drei fabelhaften Schauspielerinnen) einer der erfahrensten Inszenatoren solch antidramatischer Un-Stücke ist, er bringt auch seine ganze Musikalität ein, als einstiger Stuttgarter Opernintendant und gefragter Musiktheaterregisseur zwischen Berlin und jüngst wieder Salzburg.

30
Jahre liegt Jossi Wielers triumphale Inszenierung von „Wolken.Heim“ in Haburg bereits zurück.

Keine „Textfläche“, wie es sonst heißt. Im Deutschen Theater vielmehr ein Stimm-Sinnspiel, eine Symphonie fast ohne Musik (trotz einiger Klaviereinsätze von PC Nackt). Erst treten die Spielerinnen nur einzeln an die Rampe, machen eine monologische Conférence, bei der vor allem Fritzi Haberlandt das zwischenzeitlich etwas hindämmernde Haus mit einem Feuerwerk an gestischen Gags und Wimpernschlägen wie Blitzen weckt.

Später indes finden Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff zum virtuosen Wechselgesang zusammen. Ein großer, poetischer Chor. Bis am Ende plötzlich Bernd Moss, der Mann im Hintergrund, nach vorne tritt. Er liest aus dem Textbuch eine kleine Passage, die Elfriede Jelinek ihrem Anfang September verstorbenen Ehemann gewidmet hat. Diskret, aber stark berührend.

Am Vorabend wurde in Zürich Jelineks „Los jetzt, Sonne!“ uraufgeführt. Ein Monolog des Gestirns („fruchtbar und furchtbar“) zum Klimawandel, zum Weltuntergang. In Berlin dagegen war die Sonnenkönigin des Theaters ganz irdisch, am Ende sehr menschlich zu erleben. Als Überlebende.

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