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Selbstreflexion erfordert einen wachsamen Blick. Den hat sich Elif erkämpft.

© Edgar Berg

Endlich tut es wieder weh: Immer dem Schmerz hinterher

Die 30-jährige Berliner Popsängerin Elif hat ein neues Album rausgebracht, das weh tut. Nicht aber beim Zuhören.

Es ist Nacht, die Gefühle halten wach, der Schlaf will einfach nicht kommen. Die Gedankenwelt nimmt zu viel Raum ein. So viel Platz ist zuhause nicht, da hilft nur der Weg nach draußen. Ein Spaziergang durch die Nacht, „lauf alleine durch die Stadt“ – so wird das Chaos im Kopf entwirrt, Zeile für Zeile aufgewickelt.

Genauso fühlt sich das neue Album der Berliner Sängerin Elif Demirezer an. „Endlich tut es wieder weh“ heißt es. Sowohl Album- als auch Songtitel sind in Großbuchstaben gehalten gleich einem lauten Schrei, in dem sich Aufgestautes entlädt. Endlich tut es wieder weh. Die Erlösung.

Drei Jahre lang hat sich offenbar viel aufgestaut: der Schmerz, die Angst davor, die Konfrontation damit, die Emotion darin. Drei Jahre ist ihr letztes Album „Nacht“ her. Da sah sie die Probleme, wusste zu benennen, was sie belastet; eine toxische Beziehung, die erdrückenden Normen, die eigene Entfaltung.

Ein mutiger Sprung auf die nächste Stufe

Vielleicht machen zu viele Erkenntnisse taub, lassen abstumpfen. Vielleicht wird dann eine Weile nichts mehr gefühlt, nicht einmal Schmerz. Elif scheint sich auf die nächste Ebene begeben zu haben. Die 30-jährige sucht nicht mehr, sie geht ihren Bedürfnissen unbeirrt nach, aber auch jenen Abrechnungen für all das, was sie ihren Bedürfnissen vorgezogen hat.

„Trage meine Uniform und sie ist für immer schwarz“, singt Elif im neuen Album. Schwarze Kleidung ist ihr Markenzeichen.

© Edgar Berg

Beim Hören ist jede der 16 Songs wie eine Straße, in die man einbiegt. Die Hände in den Taschen, mal schlendernd, mal schnellen Schrittes, aber immer im Takt. Während die Stadt sich schon längst in die Stille der Nacht verabschiedet hat, singt Elif lautstark hinein.

Ein schmerzhafter, aber heilsamer Prozess

Ihr viertes Album ist nicht das Ergebnis nach einer Phase der Selbstfindung, es ist der Prozess selbst. Das Album lässt nämlich denken: So klingt also der Mut, für sich selbst einzustehen.

„Jeder Teil dieser Stadt tut noch weh“. Dieser Prozess dürfte nicht ganz schmerzfrei gewesen sein, jedenfalls klingt er nicht so an. Doch vom Albumnamen ausgehend, scheint es ein Segen zu sein, dass es endlich weh tut.

„Hab‘ das Gefühl, dass mich ein Schatten verfolgt“, singt Elif im zweiten Song des Albums „Beifahrersitz“. Doch Angst vor dem Schatten scheint sie nicht zu haben. Sie singt freimütig, frei von der Leber weg, immer dem Schmerz hinterher.

Schon im viel gefeierten Song „Alles helal“ aus ihrem letzten Album „Nacht“ riss Elif 2020 ihre anerzogenen Mauern mit fester Stimme und starken Texten nieder, die sie von sich selbst entfremdeten.

Familie und ihre Erwartungen

Die Annäherung an sich selbst führte zu einer Entfremdung des Umfeldes. Der Konflikt in ihrer Familie wegen ihres für sie unkonventionellen Lebensstils hat Elif und ihre Musik geprägt. Für sie scheint es aber keinen Konflikt geben zu müssen, denn sie singt von Gott und zeichnet trotzdem einen individuellen Weg. Das Problem ist nicht ihres, das Problem wird ihr bereitet, aber sie nimmt esan.

Sie wollen sich streiten, nur weil ich sage, was ich fühl’ und wer ich bin.

Elif im Song „HIMMEL“

„Hörst du meine Gebete“ singt sie in „Himmel“, ein Song über den Verlust eines geliebten Menschen und mittendrin der Umgang mit ihrem Glauben. Sie pflegt einen, aber keinen, den man ihr vorgesetzt hat. Denn spätestens nach diesem Album sollte allen Hörer:innen klar sein: Elif hat ihren eigenen Kopf und mit dem läuft sie gegen einengende Wände.

Sie will sein, wer sie ist

„Sie wollen sich streiten, nur weil ich sage, was ich fühl’ und wer ich bin“, ist wohl eine der stärksten Zeilen in diesem Album. An ihr prallen toxische Einflüsse und Bevormundung ab, sie stellt klar: Ich habe ein Recht darauf, ich zu sein.

Dabei bittet sie Gott um Hilfe, der ihr oft abgesprochen wurde: „Lass mich nicht alleine, Bismillahirrahmanirrahim (arabischsprachiger Leitsatz im Islam, auf Deutsch: Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes).“

„Endlich tut es weh“ bietet weder schnelles Kopfnicken zum Beat-Gemenge, noch ein schwerfälliges Hin-und-Her-Schaukeln im düsteren Klangrausch. Songs wie „Bomberjacke“ und „Lonely“ sind schnippisch und schnell, aber trotzdem wohlüberlegt und besonnen.

„Himmel“ und „Wenn ich sterbe“ sind tieftraurig grundiert und trotzdem aufgeweckt und schnelllebig. Wahrhaftig eine Achterbahn der Gefühle - nur mit weniger Pathos und Klischee als diese Analogie.

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