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Juno Temple als Dorothy “Dot” Lyon in „Fargo 5“.

© Michelle Faye

„Fargo“ und kein Ende: Im Stahlbad einer bizarren Bildgewalt

Zwischen „Kill Bill“ und Foxy Brown: Fast 30 Jahre nach dem Original geht „Fargo“ in die fünfte Serienstaffel und schafft es trotz bekannter Coen-Codes die Thriller-Spannung zehn Folgen lang hochzuhalten.

Stille Wasser sind tief. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Des einen Glück, des anderen Leid und vor allem: Viel Feind’, viel Ehr‘ – wer Film- und Fernsehformate namens „Fargo“ durchforstet, findet darin seit 1996 ein Sammelsurium geflügelter Worte, das die Hauptfiguren präzise beschreibt. Selten aber trafen sie besser zu als auf die neue Antiheldin der Brüder Coen im Mikrokosmos Minnesota: Dorothy „Dot“ Lyon.

Zu Beginn der fünften „Fargo“-Staffel (ab Mittwoch bei MagentaTV) gerät die zierliche Mutter in eine Schulschlägerei unter Eltern und wird festgenommen, bis sie ihr ebenso fragiler Mann (David Rysdahl) ins Eigenheim aus der Hölle amerikanischer Spießigkeit heimholt. Ein reaktionäres Rudel Trump-Fans, das Messingverschläge für geschmackvoll hält und mit Schnellfeuerwaffen unterm Weihnachtsbaum posiert wie der reale Republikaner Thomas Massie.

Doch selbst große Kaliber deuten nicht darauf hin, dass die Wasser von Dot tiefer sind als jenes ihrer Feinde, von denen bald einige ihren Willen zum Weg vom Glück ins Leid durchsetzen, wie es nur Ethan & Joel Coen vermögen – obwohl diese hier nur produzieren, nicht inszenieren. Schließlich hätten beide Noah Hawley kaum Label, Drehbuch, Regie anvertraut, würde es der „Fargo“-Showrunner nicht in ihrem Sinne mit Leben, besser: mit Tod füllen.

Wie im Original vor 27 Jahren taucht auch das neue Seriensequel den Heimatstaat der Coens ins Stahlbad einer bizarren Bildgewalt. Das All-American-Girl dürfte daher keinesfalls so harmlos sein, wie Juno Temple (bekannt als Ted Lassos PR-Beraterin Keeley) es mit ulkigem Akzent spielt. Schon als zwei Freaks Dot Fargo-typisch entschleunigt, aber brutal entführen, sehen beide danach aus wie Unfallopfer im Bärengehege.

Als Dot in einer Highschool-Keilerei zwei Männer unschädlich macht, bekommt man Gewissheit: Bevor Dot in die Sippe der mächtigen Unternehmerin Lorraine Lyon (Jennifer Jason Leigh) eingeheiratet hat, war sie jemand ganz anderes. Was offenbar mit Sheriff Roy Tillman (Jon Hamm) und dessen Killer Munch (Sam Spruell) zu tun hat, gegen die selbst der skrupellose Lyon-Clan ein linksliberales Friedenscorps ist.

Die strikte Ernsthaftigkeit Coen’scher Pointen

Alles weitere? Kann man sich angesichts der 41 „Fargo“-Folgen zuvor denken, sollte die nächsten zehn Folgen aber trotzdem nicht verpassen. Auch sie werden auf derart sonderbare Art kurzweilig, dass die Wiederholung tradierter Coen-Codes kaum stört. Im Gegenteil: Der blutige Mix aus ekliger Oberschicht, desperater Mittelschicht und fatalistischer Unterschicht mit dem gewohnten Link in die lokale Verkehrsinfrastruktur (Autohandel oder Parkplätze) trägt über zehn Serienstunden.

Der Nihilismus latent lustloser, leicht bräsiger und trotzdem zielstrebiger Opfer, Täter, Ermittler nutzt sich noch immer nicht ab. Ebenso wenig wie die strikte Ernsthaftigkeit Coen’scher Pointen, gepaart mit einer Detailversessenheit, die jeder Kippe bereits dann Handlungsrelevanz verleiht, wenn sie zuvor ewig im Close-up glüht. Als Showrunner von Coens Gnaden spielt Noah Hawley virtuos mit der Stilistik seiner Produzenten.

Und nach William H. Macy, Martin Freeman, Kirsten Dunst oder Ewan McGregor hat Hawley in Juno Temple eine Hauptdarstellerin seiner Rachefantasien gecastet, die „Fargo 5“ kunstfertig zwischen „Kill Bill“ und der Rapperin Foxy Brown mäandern lässt. Oder wie es ein Objekt ihrer oft schmerzhaften Stressresilienz beschreibt: zwischen „Rambo und McGyver“. Mit Richa Moorjani als grundsedierter Polizistin Indira hat Hawley zudem eine würdige Nachfolgerin von Frances McDormands verschneitem Cop Marge gefunden, die dafür 1996 den Oscar bekam – und das Fundament einer Serie grub, die nie langweilig wird. Viel Blut, viel mehr…

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