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Gastspiel mariia&magdalyna + krkrk, Kyjiw | Ukraine human? Eine theatralisch-musikalische Messe von mariia&magdalyna und der Musikerin Khrystyna Kirik (krkrk)

© Dmytro Tomson/Dmytro Tomson

Festival Radar Ost mit Ukraine-Schwerpunkt: Kann Kunst vom Krieg erzählen?

Zu „Radar Ost“ am Deutschen Theater sind auch mehrere Produktionen aus der Ukraine eingeladen. Einige sind im Luftschutzkeller entstanden.

Am 33. Tag des großen Krieges in der Ukraine haben sich drei Künstler:innen in einem Luftschutzkeller getroffen und begonnen, an einem Stück zu arbeiten, das von Liebe und Hass handeln sollte, von Sünde und Vergebung. Ihre Inspiration waren unter anderem Tagebücher, geführt während der russischen Angriffe – und Bibelzitate.

Marusia Ionova und Nadiia Golubtsova, auch bekannt als Performance-Duo mariia&magdalyna, haben sich zusammen mit der Musikerin Khrystyna Kirik existenzielle Fragen gestellt – den Umständen entsprechend. Welche Bedeutung haben Worte im Krieg? Woran kann ich glauben in solchen Zeiten? Entstanden ist eine Produktion, die ans Menschsein als solches rühren will: „Human?“.

Raus aus dem Keller

Es wird spannend zu erleben sein, welche Bedeutung die Worte und die Musik jetzt in der Box des Deutschen Theaters entfalten. Eben nicht mehr unter Bombenkeller-Bedingungen, sondern vor Berliner Publikum.

„Human?“ zählt zu den sechs Produktionen, die in diesem Jahr zum Festival „Radar Ost“ am DT eingeladen sind. Die vorherige Ausgabe – „Art(ists) at Risk“ betitelt – fand 2021 noch vor der russischen Invasion statt und widmete sich hauptsächlich dem Schaffen von belarussischen Künstler*innen, die überwiegend vor den Repressionen des Lukaschenko-Regimes geflohen waren. Diesmal liegt der Länderschwerpunkt auf der Ukraine. Und „Radar Ost“-Kuratorin Birgit Lengers stellt die berechtigte Frage zur Diskussion: Kann Kunst vom Krieg erzählen? Die Antwort wird den Betrachter:innen überlassen sein.

Keine Zeit für Grautöne

„In Deutschland haben wir ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Pathos und zum Plakativen, wir suchen die Grautöne“, sagt Lengers. In den Augen der ukrainischen Künstler:innen sei es aber gegenwärtig „nicht die Zeit für differenziertes Abwägen“. Zum einen suchten viele in der Kunst die Katharsis: ein Mittel, mit dem Schmerz und der Hilflosigkeit umzugehen, sich zu empowern.

Zum anderen zielten sie darauf, mit ihrer Arbeit eine Empathie beim Publikum erzeugen, die Nachrichtenbilder nach einem Jahr Krieg oft nicht mehr zu wecken vermögen. Im Grunde also die Fortsetzung von Selenskij auf dem Theater: Ein Appell an die Emotionen, verbunden mit der dringenden Forderung nach Solidarität. Und auch ein Ringen um Aufmerksamkeit in einer leicht abzulenkenden Welt. Schon deshalb wollen die Produktionen in jeder Hinsicht mitreißen.

Kunst als Waffe

Kooperation mit dem Left Bank Theatre, Kyjiw. Die Produktion heißt „Ha*l*t“.

© Arno Declair

Für viele der ukrainischen Theaterschaffenden bedeutet Kunst aktuell Kampf. Die Journalistin Anastasia Magazova hat im Vorfeld des Festivals ein Interview mit Tamara Trunova geführt – der Leiterin des Left Bank Theatres in Kyiv – sowie mit Vlad Troitskyi, dem Gründer des unabhängigen DAKH-Theaters. Trunova erzählt von den mehr als zehn Mitarbeiter:innen ihres Hauses, die mittlerweile in den Krieg gegen die russischen Aggressoren gezogen sind und sagt: „Sie halten die Frontlinie, wir halten das Theater“. Troitskyi spricht davon, „Kunst als Waffe einzusetzen“.

Dabei spielt gewiss eine Rolle, dass beide aktuell im Exil leben. Schon eine Produktion wie „Sich waffnend gegen eine See von Plagen“ von Stas Zhyrkov an der Schaubühne hat die Zerrissenheit derer vermittelt, die nicht ihr Leben riskieren, aber dennoch ihrem Land dienen wollen. Bei den meisten breche sich dieses Schuldgefühl in rastlosem Tatendrang Bahn, beobachtet Lengers, auf und abseits der Bühne. Als im vergangenen Jahr die Künstler:innen Ionova und Golubtsova in Berlin waren, gelang es ihr nicht, die beiden zu treffen – sie waren unentwegt am Hauptbahnhof, um Ankommende aus der Ukraine zu unterstützen.

Der Tanz und die Töchter

Die ukrainischen Arbeiten beim Festival „Radar Ost“ eint, dass sie geradezu fiebernd Gegenwart atmen. Tamara Trunova zeigt „Ha*l*t“, einen Hamlet, dem das „me“ abhanden gekommen ist. Die Shakespeare-Proben hätten am 24. Februar 2022 in Kyiv starten sollen – jetzt feiert die Produktion Uraufführung in Berlin.

Vlad Troitsky wiederum gastiert mit seiner in Paris entstandenen, bildwuchtigen Revue „Danse Macabre“, erarbeitet zusammen mit den DAKH Daughters, einer Performancegruppe, die es mit ihrem aggressiv-musikalischen Crossover immer wieder auf die Straße zieht. Auch beim Euromaidan waren sie mitten im Geschehen.

Das Festival wird den Blick aber auch über die Ukraine hinaus weiten. Mit einer sehr zeitgenössischen georgischen „Medea“. Einer slowenischen Weltbeschau („Crises“). Und der Produktion „Dogs of Europe“ des in der Heimat verbotenen Belarus Free Theatre (BFT). Die entwirft nach einem Roman von Alhierd Bacharevič den Zukunftskrimi eines autoritären Superstaats, der sich über Belarus und Russland erstreckt. Die Premiere fand in London statt, die belarussischen Künstler:innen, erzählt Birgit Lengers, entrollten eine ukrainische Flagge, um ihre Solidarität zu demonstrieren. Auch der Kulturkampf braucht Verbündete.

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