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Störfaktor im Getriebe. Charlie Chaplin in seinem Film „Moderne Zeiten“ (1936)

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Fundstücke: Lob und Lust des Unsinns

Mit seinem Plädoyer für das zunächst Verwirrende bewegt sich Wilhelm Vossenkuhl wie ein Fisch im Gedankenmeer.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Bei Samuel Beckett gibt es irgendwo die Bemerkung: „Im Anfang war der Kalauer.“ Also nicht das biblisch ernste Wort, sondern der höhere oder tiefere Unernst. Dieser kann dann wohl Sinn wie Unsinn ergeben. Eine Ambivalenz, der sich auch der Münchner Philosoph Wilhelm Vossenkuhl gewidmet hat mit seinem Buch „Unsinn. Eine kleine Philosophie für Kinder und Erwachsene“ (Claudius Verlag, München 2021, 144 Seiten, 16 €).

Der handliche Band, mit zarten Strichen illustriert von Sophie Weiss, zeigt auf dem Umschlag einen Fisch, der ganz sommerlich eine Limo mit Strohhalm schlürft – warum sollten nicht auch Fische mal Durst auf mehr als nur (Meer-)Wasser haben?

Im Ton richtet sich Wilhelm Vossenkuhl, der mit seinem Münchner Uni-Kollegen Freund Harald Lesch unter anderem schon im Fernsehen philosophische Dialoge auf wohltuend allgemeinverständliche Weise geführt hat, durchaus an junge Leser (wie seine eigenen Enkel). Aber wenn in unserem Sprachgebrauch ältere Leser meist jünger sind als alte Leser, während ein „jüngerer Mensch“ für älter gilt als ein junger, dann dürfte dieser „Unsinn“ doch eher etwas für schon ältere Kinder, also zumindest alle Erwachsenen sein.

Wobei „Unsinn“ sophisticated mit Sprache und deren Hintersinn spielt. So bedeuten ja Unkosten nicht keine Kosten, sondern sinn- und unsinngemäß meist eine Steigerung der gewöhnlichen Kosten. Dies nur ein bekanntes Beispiel, wie leicht sich die Kategorien vermischen und verkehren oder wie wenig eindeutig sich viele Sinnfragen stellen lassen.

Derlei Paradoxien oder Mehrsinnigkeiten geht Vossenkuhl seinerseits nicht systematisch nach, sondern so originell wie subjektiv: gemäß den eigenen Lektürevorlieben – weshalb das „Unsinns“-Büchlein sich tatsächlich wie ein Fisch im Gedankenmeer bewegt. Vossenkuhls Leuchttürme sind darin Satiren von Swift oder Gedichte von Goethe und Gernhardt, der große Nonsens-Poet Edward Lear blitzt ebenso auf wie Lewis Carroll und die Dadaisten, Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ erhält hier eine religiöse Erleuchtung, und dem vom Stalinismus verfolgten tragischen Humoristen Daniil Charms gilt ein Epitaph.

Es sind Gedankensprünge und -flüge, oft überraschend und immer anregend. Vossenkuhl verführt beispielsweise zur Wiederentdeckung von Wilhelm Buschs ziemlich vergessener Erzählung „Eduards Traum“ oder schlägt Brücken zum „sehenden Herzen“ in Saint-Exupérys „Kleinem Prinzen“. Und er sagt mit Wittgenstein, dass am Anfang Sinn und Unsinn nebeneinander stehen. Nicht nacheinander.

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