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Geschichte für Leser. Der Berliner Autor Bruno Preisendörfer.

© Mike Wolff TSP

Fundstücke: Satz für Satz ein Geistesblitz

Peter von Becker erfährt Gelehrtes und Amüsantes aus Bruno Preisendörfers jüngster Gedankenreise

Ein Kommentar von Peter von Becker

Dieses Buch ist weit mehr als ein Fundstück, es ist eine literarische Fundgrube. Bruno Preisendörfer, der durch seine Reisen in die Zeiten von Luther, Goethe, Bach oder Bismarck ausgewiesene Berliner Kulturhistoriker und unterhaltsam gelehrte Erzähler, hat sich ein Dutzend weltberühmte Zitate und ihre Verfasser näher angesehen. Daraus ist die zwölfteilige Essaysammlung „Sätze, die die Welt verändern“ entstanden, „Eine Gedankenreise von Sokrates bis Nietzsche“ (Verlag Galiani, Berlin 2023, 330 Seiten, 25,- Euro).

Tatsächlich endet die Gedankenfahrt nicht mit Nietzsche und dem Anbruch des letzten Jahrhunderts. Denn Bruno Preisendörfer assoziiert und aktualisiert den überwiegend philosophischen Fundus von der europäischen Antike an mit oft überraschenden, argumentativ schlagenden Volten und beglaubigt das indikativische Wort „verändern“ ganz in dem Sinne der immer neuen Vergegenwärtigung. So gerät etwa die „unsichtbare Hand“, die der britische Ökonom und Ethiker Adam Smith in seinem Werk über den „Wohlstand der Nationen“ formulierte, vom ideal lenkenden Moment der freien Märkte zum kapitalistisch entfesselten Marktliberalismus der Neuzeit, bis heute.

Hinzukommt, dass Preisendörfer – anders eine Sprüchesammlung à la Büchmann – seine ausgewählten Zitate kritisch erforscht: von ihren Ursprüngen bis zu den Nachwirkungen. Sokrates habe statt „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ wohl eher gesagt, dass er „nicht weiß“, worauf Preisendörfer auf die viel weitere Dimension der Aussage hinweist. Zwar sei Sokrates vermutlich auch ein pädagogisch nervender Schwätzer gewesen, aber der in der präzisierten Version gerät der Satz von der bloß koketten Bescheidenheit zur fundamental erkenntniskritischen Aussage.

Es geht so um die Grenzen aller Wissenschaft. Ähnlich erhellend, wie man in einem glanzvollen Kapitel zu Segen und Abgründen der Aufklärung erfährt, dass Rousseau die superberühmte Formel „Zurück zur Natur“ niemals verwendet hat.

Die Aufforderung stammt von späteren Feind von Rousseau, der selbst keineswegs für einen Rückschritt oder gar Austritt aus Kultur und Zivilisation plädierte. Ob es um Kant und den Geschmack geht, über den sich nicht streiten lässt, um Marx‘ „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ oder Nietzsches „Gott ist tot“, immer macht diese Lektüre der Sentenzen und ihrer Folgen ein wenig schlauer als zuvor. Sogar zur Geschichte beispielsweise der Tattoos findet sich hier ein wunderbarer gedanklicher Nadelstich.

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