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„Bacchus und Ariadne“ (um 1614-16).

© Städel

Guido Reni im Frankfurter Städel: Karrieresprünge eines „Göttlichen“

Die meisten kennen ihn nur vom Kreuzworträtsel. Das Frankfurter Städel zeigt, wie ungerecht das ist, und entdeckt Reni in einer große Retrospektive wieder.

Guido Reni hatte den Dreh raus. Lucretia, Kleopatra, Jesus, Petrus – sie alle richten den Blick so barmend gen Himmel, dass man sogleich Mitleid für sie empfindet. Die eine ist im Begriff, sich zu erdolchen, die andere hält sich die züngelnde Schlange an den Busen, der Gekreuzigte haucht gleich sein Leben aus, sein ältester Jünger kann es nicht fassen, dass er wie geweissagt aus Feigheit noch vor dem dritten Hahnenschrei zum Lügner geworden ist.

Reni (1575 - 1642) hat ihnen allen die perfekte Bühne bereitet, ob antike oder biblische Helden, und sie fulminant zur Geltung gebracht: leidend, bittend, in Schönheit vergehend. Das hat ihm schon zu Lebzeiten den Beinamen „il Divino“ eingebracht, so göttlich gelang dem Bologneser Barockmeister die Inszenierung seiner Figuren.

„Guido Reni, der Göttliche“ ist auch die Ausstellung im Städel überschrieben, mit der nach über dreißig Jahren zum ersten Mal wieder der große Italiener in Deutschland gewürdigt wird. Schon damals waren es die Frankfurter, die dem „gefallenen Engel der Kunstgeschichte“, wie Direktor Philipp Demandt ihn nennt, mit einer großen Schau – damals noch in der Schirn - wieder aufzuhelfen suchten.

Seitdem hat das Städel einen monumentalen Neuzugang aufzuweisen, eine „Himmelfahrt Mariens“ (um 1598/99) als Jubiläumsgeschenk des Fördervereins 2014 zum 200-jährigen Bestehen des Museums, dazu eine bislang Carracci zugeordnete Zeichnung nun als ein authentisches Werk des Meisters und die Entdeckung, dass sich zahlreiche seiner Papierarbeiten in den Beständen des eigenen Kupferstichkabinetts befinden.

David mit dem Haupt des Goliath (um 1605/06).

© Orléans, Musée des Beaux-Arts

Verkannte Genies lassen sich problemlos mit jeder Generation wieder neu entdecken, nur macht es Guido Reni dem Publikum nicht unbedingt leicht. Die „Himmelfahrt Mariens“ vom Museumsverein im ersten Saal wird flankiert von drei weiteren Versionen in Kleinformat, bei denen die Madonna - stets im roten Kleid mit blauem Übergewand - die Hände erst andächtig faltet, dann die Arme ausbreitet und schließlich zum Himmel hebt. So viel Inbrunst wirkt heute nicht mehr erhebend, sondern schreckt eher ab.

Das war schon einmal Guido Renis Verhängnis, als seine Madonnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Form frömmelnder Einlegebildchen in den Gesangsbüchern katholischer Kirchgänger landeten. Dieser Niedergang zum Devotionalisten war nicht Renis Schuld, widerfuhr er ihm doch posthum. Der Zeitgeschmack änderte sich eben. Anders als bei seinen Zeitgenossen Caravaggio und Rubens blieb von der Popularität des einstigen Superstars nicht viel mehr übrig als die Kreuzwort-Rätselfrage: „Barockmaler mit vier Buchstaben, Vorname Guido“.

Tagsüber malte er, nachts verspielte er seine Honorare

Natürlich ist das ungerecht. Und so gehört es zur Ehrenrettung des Künstlers erst einmal das Narrativ, dass Reni ein toller Typ war. Glücklicherweise gibt es den Biographen Carlo Cesare Malvaria, auch der Vasari Bolognas genannt, der laut Kurator Bastian Eclercy 1678 ziemlich korrekt den Lebenslauf des Künstlers wiedergab. So muss der Maler sowohl tiefreligiös als auch abergläubig gewesen sein, tat sich mit Frauen schwer, war aber umso mehr seiner Mutter zugetan, für die er aus Rom in die Heimatstadt wieder zurückkehrte. Tagsüber strich er für seine Werke enorme Honorare ein, die er dann nachts in Spelunken wieder verspielte.

Von seiner Geschäftstüchtigkeit am Tage zeugt ein eigenhändiger Brief von 1628 noch im ersten Ausstellungssaal, in dem er einem „sehr verehrten Herrn“ mitteilt, warum er so viel für seine Bilder zahlen muss. Der Künstler zählte sich als „pittore un poco straordinario“ zu jener dritten Kategorie, die entsprechend mehr verlangen darf. Clever ließ er seine Auftraggeber – wohlhabende Familien in Bologna, die Borghese in Rom, der Herzog von Mantua - selbst das Honorar festlegen und zwang sie damit, den üblichen Marktpreis zu übersteigen, um die eigene Kennerschaft zu demonstrieren.

Allegorie der Eintracht von Zeichnung und Malerei (um 1625).

© bpk | RMN - Grand Palais | Franc

Wie berechtigt dieses Selbstbewusstsein ist, erweist sich mit jedem weiteren Saal, und man verlässt bekehrt das Städel. Neben Caravaggio als Darling des heutigen Ausstellungsbetriebs erwächst Reni zum gleichberechtigten Protagonisten. In Bologna wird sein Talent früh erkannt. Annibale Carracci passt es gar nicht, als der junge Künstler in die Werkstatt seines Cousins Ludovico kommt. Noch sind die Formate klein, Renis tastende Schritte zum ersten großen Act, einer Himmelfahrt Mariens, lassen sich an einer Kreidezeichnung studieren, in der die Figuren auf dem Papier immer wieder verschoben werden.

Der nächste Karriereschritt ist der Umzug nach Rom, wo Reni zeitweilig mit Caravaggios Chiaroscuro-Malerei kokettiert. Schönstes Beispiel ist der frisch restaurierte „Christus an der Geißelsäule“ (um 1604) aus Städel-Bestand. Der muskulöse Jesus, dessen Sixpack das Licht schmeichelhaft moduliert, tritt wie eine Erscheinung aus dem Dunkel hervor.

Mal ist David ein Schnösel, mal ein unschuldiger Bub

Wäre da nicht die Leidensmiene, würde man sich an seinem makellosen Körper delektieren. Der Besuch einer Reni-Ausstellung ließe sich allein entlang lauter fabelhaften Männerbeine choreografieren, die wohlgeformt den unteren Bildraum dominieren.

Reni besticht immer wieder durch seine Bildideen. Mal ist David ein junger Schnösel, der lässig an einer Säule lehnt und seine Hand auf das abgeschlagene Haupt Goliaths wie eine Trophäe legt. Mal ist er ein Bübchen, das mit Unschuldsgesicht zum tödlichen Schwerthieb ausholt, während sein Knie auf dem bäuchlings liegenden Giganten ruht.

Eine besonders extravagante Erfindung stellt seine Darstellung von Samson nach dem Sieg über die Philister dar (um 1615-17). Während rundum Leichen liegen, erhebt sich der Beau mit flatterndem Tuch um die Hüften gegen den bewölkten Himmel und trinkt Wasser aus einem Eselkiefer. Das ungewöhnliche Werk hing einst über einem Kamin im Bologneser Palazzo der Familie Zambeccari. Kurz zuvor war der Künstler in seine Heimatstadt zurückgekehrt und musste sich erneut positionieren.

Reni ist ein fulminanter Maler, das steht außer Frage. Die Ausstellung würdigt ihn darüber hinaus als Zeichner und Grafiker. Er selbst sah die verschiedenen Medien als gleichberechtigt an. Emblematisch steht dafür sein Gemälde „Allegorie der Eintracht von Zeichnung und Malerei“ (um 1625) aus dem Louvre.

Die Zeichnung ist als Figur männlich personifiziert, die ersten Rötelstriche auf Papier sind bereits gemacht. Ermutigend legt der Mann seine Hand auf die Schulter der als Frau dargestellten Malerei. Sie schaut dagegen noch verhalten, hebt zögerlich die eine Hand zur Brust, während sie in der anderen die Palette mit den Farben hält, aus denen das Bild selbst besteht: Braun, Rot, Gelb und Weiß. Rötelstift und Ölfarbe stehen für den Anfang aller Kunst. Reni, der Göttliche, beherrschte alle Mittel.

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