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Die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen

© IMAGO/TT/IMAGO/Amanda Lindgren

Hannah-Arendt-Preis: Scharfe Kritik wegen der Auszeichnung an Masha Gessen in Bremen

Nach einem Essay von Masha Gessen im „New Yorker“ über den Gaza-Krieg wurde die Verleihung des Hannah-Arendts-Preises an Gessen verschoben. Der Bremer Senat und die Heinrich-Böll-Stiftung distanzierten sich.

Als Masha Gessen im August dieses Jahres den mit 10.000 Euro dotierten Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken zugesprochen bekam, urteilte die Jury, dass Gessen „zu den mutigsten Chronistinnen und Chronisten der Zeit“ gehöre. Gessens Bücher, Essays und öffentliches Wirken würden „neue Sichtweisen“ öffnen, auf dass „eine beschleunigte Welt im beschleunigten Wandel“ besser zu verstehen sei.

Nun hat die 1967 in Moskau geborene und in New York lebende Gessen vor ein paar Tagen in einem Essay im „New Yorker“ ihre Sichtweise zum Terror der Hamas und zum Gaza-Krieg kundgetan, und es mehrt sich die Kritik an der Vergabe des Preises an Gessen und der Preisverleihung, die eigentlich am Freitag in Bremen über die Bühne gehen sollte.

Shibli, Otoo, Gessen

Nach einer verschobenen Preisverleihung an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli auf der Frankfurter Buchmesse und der Debatte um den Peter-Weiß-Preis an Sharon Dodua Otoo ist dieses schon die dritte von Turbulenzen begleitete Auszeichnung in diesem Jahr.

Gessen hatte in dem mit „Im Schatten des Holocaust“ betitelten Essay irrige BDS-Einschätzungen vorgenommen und geschrieben, dass rechtspopulistische Parteien in Polen wie in Deutschland die Erinnerungspolitik entscheidend mitbestimmen würden. Überdies suggeriert der Essay, Israel handele mit seiner Gaza-Politik und jetzt dem Krieg ähnlich wie die Nazis.

Gaza ist nicht wie ein jüdisches Getto in Venedig oder wie ein innerhalb einer Stadt gelegenes Getto in Amerika, sondern wie ein jüdisches Getto in einem von Nazi-Deutschland besetzten osteuropäischen Land.

Masha Gessen im „New Yorker“

Gaza sei, so Gessen, „nicht wie ein jüdisches Getto in Venedig oder wie ein innerhalb einer Stadt gelegenes Getto in Amerika, sondern wie ein jüdisches Getto in einem von Nazi-Deutschland besetzten osteuropäischen Land.“ Obwohl Gessen Unterschiede zugesteht, ist sie der Meinung beide – Nazis wie Israelis – behaupteten, „dass eine Besatzungsmacht im Namen des Schutzes der eigenen Bevölkerung eine ganze Bevölkerungsgruppe isolieren, verelenden – und jetzt auch noch tödlich gefährden – kann“.

Nachdem zunächst die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) in Bremen die Äußerungen Gessens in einem Offenen Brief heftig kritisiert und die Aussetzung der Preisverleihung am Freitag gefordert hatte, („eine Ehrung würde dem notwendigen entschlossenen Auftreten gegen den Antisemitismus entgegenstehen“), schlossen sich dieser Kritik und der Preisverschiebung die Heinrich-Böll-Stiftungen in Bremen und Berlin sowie der Bremer Senat an. Zusammen mit einem Trägerverein sind diese für die Preisvergabe verantwortlich.

Das ist ein unsäglicher Vergleich, der eine rote Linie überschreitet.

Björn Fecker, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bremer Rathaus

Bremens stellvertretender Bürgermeister und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rathaus, Björn Fecker sagte, Gessens Vergleiche seien „unsäglich“, damit würde „eine rote Linie“ überschritten werden und die Veranstaltung könne nicht wie geplant im Bremer Rathaus stattfinden.

Der Trägerverein hätte an der Preisverleihung am Freitag festgehalten und schreibt auf seiner Website: „Wir finden es bemerkenswert, dass der öffentliche Streit um das Verstehen und das Be- und Verurteilen der Terrorangriffe der Hamas auf Israel und der Bombardierung Gazas durch Israel dadurch blockiert wird, dass eine politische Denkerin boykottiert wird, die darum bemüht ist, Kenntnis, Einsicht und ein scharfes Denkvermögen in diesen Streit einzubringen.“

Der Hannah-Arendt-Preis stehe für „eine offene Streitkultur“, „für das Zulassen und das Aushalten von Kontroversen“, „für unangenehme Einsichten“. Ob dazu auch die Israel-Nazi-Vergleiche Gessens gehören? Gessens zwar richtiger Verweis auf die vielen unschuldig getöteten Kinder in Gaza, der aber durchweg ohne die von der Hamas am 7. Oktober hingerichteten Babys und Kinder auskommt? In einer Zeit, in der die Solidarität mit Israel nach den Mordattacken des 7. Oktober immer kleiner und kleiner zu werden scheint?

Dass Gessen jetzt „boykottiert“ werde – eine Formulierung, die selbst über das Ziel hinausschießt, die Welt sieht nach dem 7. Oktober nun einmal anders aus als im August noch – das will der Trägerverein zumindest vermeiden: In einem kleineren Rahmen sollen die Preisverleihung und das Symposium zu Ehren Masha Gessens nun am Samstagvormittag stattfinden.

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