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Weltall Erde Mensch
Eine unwahrscheinliche Reise von Alexander Eisenach und Ensemble
 
Regie: Alexander Eisenach
Bühne: Daniel Wollenzin
Kostüme: Claudia Irro
Musik: Sven Michelson, Niklas Kraft
Live-Video: Oliver Rossol
Dramaturgie: Karla Mäder, Johann Otten
Auf dem Bild: Florian Köhler, Lorena Handschin, Felix Goeser
 

 
Copyright: Thomas Aurin
post@thomas-aurin.de
www.thomas-aurin.de

© Thomas Aurin

Havarie im Kosmos: Start der neuen Intendanz am Deutschen Theater

„Weltall Erde Mensch“: Zur Saisoneröffnung gibt es ein utopistisches Märchen am DT. Das verliert sich in einer bunten Zeitschleife.

Auch das Theater hat seine Relativitätstheorie. Sie besagt, dass Intendanzeröffnungen nie einfach sind, schon gar nicht im ungeduldigen Berlin. Weil es gleich einmal besonders gut werden soll, zupackend, programmatisch. Doch die Erfahrung lehrt: Dabei wird die Bühne schnell zu einem Raumschiff, das jeglichen Kontakt zur Erde verliert.

Und man kann schon sagen: Die wollen hoch hinaus am Deutschen Theater Berlin. Im Programm steht für die Premiere zum Auftakt eine Spieldauer von drei Stunden, am Ende werden es fast vier. Das sind für diese Kosmos-Chaos-Klamotte wiederum reichlich zwei Stunden zu viel.

Die neue Intendantin Iris Laufenberg startet mit „Weltall Erde Mensch“ in ihre erste Saison. Regisseur Alexander Eisenach und sein Ensemble driften mit großen Augen durch die Weiten der Science-Fiction-Popkultur und Gender-Philosophie. Der Titel erinnert einen populärwissenschaftlichen Band, das die Heranwachsenden in der DDR zur Jugendweihe überreicht bekamen.

Träume vom Frühsozialismus

Jetzt bitte anschnallen: Lichtjahre später entdeckt Alexander Eisenach darin emanzipatorische Ideen aus der Frühphase des Sozialismus, die auch heute wieder eine bessere Zukunft versprechen. Für die Zukunft des DT ist „Weltall Erde Mensch“ jedenfalls kein gutes Omen. Eisenachs Raumträumer tollen völlig abgekoppelt von der Kontrollstation auf ihrem Abenteuerspielplatz herum.

Das Bühnenbild von Daniel Wollenzin bietet ein Café Moskau, flauschige Riesenbälle, Sternencomics und sehr viel Video-Projektion. Da hat Eisenach im Unterricht beim Genossen General Frank Castorf gut aufgepasst; der kann ja auch nie einen Schluss finden in seinen Inszenierungen. Rücksturz zur Volksbühne – in einer Version für geschichtsvergessene Erdlinge.

Beutel statt Beute

Schwer zu sagen, worum es auf dieser utopistischen Pauschalreise in parallele Welten geht. Es gibt da irgendwo auf dem Planten Whileaway eine Welt ohne Männer, niemand isst mehr Tiere, und trotzdem herrscht Krieg, weil noch nicht alle Typen erledigt sind. Die überlebt haben, tragen feminine Plastikklamotten und lackieren ihre Fingernägel (Kostüme: Claudia Irro). Schließlich wird ein neues Narrativ angesteuert, eine Erzählung ohne Helden. Sammler statt Jäger. Beutel statt Beute. Aber so richtig glücklich und zufrieden wirken die Sternsinger nicht.

Endlose Dispute drehen sich um Wahrscheinlichkeit und Privateigentum, Besitzende und Besitzlose, Ausbeutung und – Unsterblichkeit. Das auch noch. Man ahnt, dass hier Romane von Stanislaw Lem herangezogen wurden, sozialistische Science Fiction. Wobei man heute wissen kann, dass dies eine Tautologie bedeutet: Sozialismus und Science Fiction. Und eine real existierende Bedrohung. Putin ist nicht Stalin. Aber es steckt viel Stalin in Putin. Die meisten der jungen sowjetischen Künstler und Schriftsteller, die Eisenach sicher auch gelesen hat, starben im Gulag oder mussten verstummen.

Krieg im Sandkasten

Wenn man den Ansatz von „Weltall Erde Mensch“ auch nur halbwegs ernst nimmt, vergeht einem der ohnehin sehr spärlich bemessene Spaß. Und wäre nicht die Live-Musik aus dem Graben, gäbe es gar keine Spannung. Die zehn Space-Fetischisten schwadronieren mit einer Naivität und Penetranz, dass man das Weltall nicht mehr versteht. Sie reden vom Krieg, als wäre es ein Sandkastenspaß. Um Himmelswillen, wie kommt ein solches Konstrukt ans Licht? Hast niemand bemerkt bei den Proben, dass sich diese Expedition dramaturgisch verballert?

Irgendwie ahnen sie doch, dass sich eine Havarie anbahnt. Schließlich fallen Sätze wie „Was ist das für ein völlig formloses Zeug? Keine Ahnung, was ich hier sage“. Oder auch: „Es ist wie ein Sprechen ohne Sprache hier.“ Besser kann man es nicht ausdrücken. Kommandant Eisenach und seine Crew schalten in den ironischen Selbstzerstörungsmodus.

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