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Ein bisschen Grand Guignol muss sein. Szene aus „Der Auftrag - Psyche 17“ im Deutschen Theater

© Armin Smailovic

Heiner Müller, oder was?: „Der Auftrag“ und ein Kommentar am Deutschen Theater Berlin

Jan-Christoph Gockel inszeniert einen fulminanten Doppelabend - mit Hilfe des togoischen Autors Elemawusi Agbédjidji.

Die Welt ist am Ende im Deutschen Theater Berlin, und dieses Ende ist verdammt laut. Dabei kann man gar nicht genau erkennen, welches Ensemblemitglied eingangs hinter dem Gazevorhang „The End“ von den Doors covert. Denn von der Dezibelstärke abgesehen, geht der große Abgesang auch mit einem inszenatorischen Ideenüberschuss einher, den man lange nicht gesehen hat auf einer Berliner Bühne.

Da durchschreiten skurril-gruselige Totenkopffiguren mit schwer deformierten Knochengerüsten, aber umso bissfreudigeren Zahnreihen, die wir getrost als unsere Alter Egos verstehen dürfen, Wüsten- und Mondlandschaften.

Auf der Drehbühne fahren wechselweise ein sandverstaubter Jeep oder ein charmant, aber deutlich abgerocktes „Revolutionstheater“ am Publikum vorbei, tolle Kreationen der Bühnenbildnerin Julia Kurzweg. Der „Engel der Verzweiflung“ öffnet seine blutigen Flügel und intoniert mit dem strengen Ernst einer Opernarie den Schlager „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ – und das ist bestenfalls ein Fünfzigstel dessen, was sich an diesem dreistündigen Abend im DT ereignet.

Die Befürchtung, ins populäre Feld des Überwältigungstheaters geraten zu sein, das inhaltliche Unschärfe mit hochtouriger Bilderproduktion kompensiert, verfliegt allerdings schnell. Denn der Regisseur Jan-Christoph Gockel hat mit dem Ensemble auch eine Textarbeit geleistet, die ihresgleichen sucht. Und das bei einer Vorlage, deren Durchdringung wirklich gedanklichen Hochleistungssport erfordert: Heiner Müllers „Auftrag“, jene „Erinnerung an eine Revolution“, die der großen Menschheitsvision von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ mit deprimierender Dialektik eine gegen Null tendierende Realisierungschance attestiert.

Sohn der Sklaverei

Drei Abgesandte der Französischen Revolution – der Bauer Galloudec, der „Sohn der Sklaverei“ Sasportas und der Sklavenhalterspross Debuisson erhalten den Auftrag, auf Jamaika einen Sklavenaufstand zu organisieren. Bevor sie ihn erfüllen können, übernimmt Napoleon in Frankreich die Macht, und parallel zur Mission zerbröckeln die Visionen der Emissäre.

Julia Gräfner als Debuisson, Florian Köhler als Galloudec und Komi Mizraijm Togbonou als Sasportas gelingt hier tatsächlich das seltene Kunststück, Heiner Müller für die Gegenwart aufzuschließen, indem sie ihn im besten Sinne alltagsdurchlässig klingen lassen und so, ohne ihn zu denunzieren, anschlussfähig machen für rezeptionskritische Gegenwartsdiskurse: Wieso, fragt Togbonous Sasportas, ist es ausgerechnet der eigentliche Protagonist des „Auftrags“ – der „Sklave“ – der im Stück kein Wort sagt und im bloßen Objektstatus verbleibt?

Hier, bei der Frage nach den Perspektiven auf Historie und Erzählungen, setzt nach der Pause der Müller-Kommentar „Psyche 17“ des togoischen Autors Elemawusi Agbédjidji an. Er greift dabei vor allem das Motiv des „Mannes im Fahrstuhl“ auf: Den rätselhaften Trip eines biederen Angestellten, der in Erwartung eines Arbeitsauftrags zu seinem Chef unterwegs ist, dabei eines fundamentalen Kontrollverlustes über Zeiten und Etagen gewärtig wird und von Müller schließlich aus dem Fahrstuhl heraus auf eine Dorfstraße in Peru statt zum Boss entlassen wird.

Bei Elemawusi Agbédjidji und Jan-Christoph Gockel ist es die Schauspielerin Isabelle Redfern, die – auf der Suche nach ihrer abhanden gekommenen Brille aka der „richtigen“ Perspektive auf die Welt – in einem Fahrstuhl, der seine besten Tage hinter sich hat, aufwärts und abwärts fährt.

Bizarre Repräsentanten der Geschichte

Sie spannt dabei Bögen von Müller bis in entlegene Weltraumwinkel, begegnet unterwegs mit einer großartigen Gelassenheit, die nicht mit Abgeklärtheit zu verwechseln ist, den bizarrsten Repräsentanten der Geschichte und Gegenwart, deren Brillen-Angebote ihr nachvollziehbarerweise sämtlich nicht taugen.

Und gelangt letztlich, anders als Müllers Personal, zumindest zu Momenten von Optimismus. Aber auch das ist wieder nur ein Bruchteil dessen, was an diesem Abend im DT stattfindet.

Wieder am 5., 9., 26. und 30. November   

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