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Vamp, Diva, Berliner Göre: Katharine Mehrling beim Liederabend „...und mit morgen könnt ihr mich!“, szenisch eingerichtet von Barrie Kosky.

© Barbara Braun

Katharine Mehrling an der Komischen Oper: Das Leben, angekratzt

Bei ihrem furiosen Berliner Kurt-Weill-Liederabend besticht die Sängerin Katharine Mehrling in ständig wechselnden Rollen.

Die Geigen weben zittrige Spinnwebfäden, und schon zerschneidet Katharine Mehrling mit ihrer Stimme die Luft. Leicht angeraut, rissig wie Berlin, knallhart und lasziv, der Dreck und der Glamour der Großstadt paaren sich in ihren Songs.

Erster Auftritt durch eine der Türen in der gefältelten Kulissenwand, klapp rein, klapp raus. Schnell tauscht die Sängerin das züchtige braune Kostüm gegen einen knallroten Plüschmantel samt roter Perücke ein, um wenig später als Vamp zu erscheinen, als Berliner Göre, als Vamp, als Diva, als Luder, Rockröhre, Chansonette, Seeräuber-Jenny. Von ihrem stummen Bühnenpartner Michael Fernandez lässt sie sich willig befingern, zwingt ihn aber alsbald in die Knie. Mehrlings naturgewaltiges Organ fegt alle hinweg.

Kurt-Weill-Liederabend an der Komischen Oper, „... und mit morgen könnt ihr mich!“, eingerichtet von Ex-Intendant Barrie Kosky, der damit zu seinen Fans zurückkehrt: Zum tosenden Schlussapplaus geht auch er vor Mehrling in die Knie.

2019 hatten die beiden einen Weill-Exillieder-Abend im Haus an der Behrenstraße ausgerichtet, mit Kosky am Klavier. Diesmal, bei Weills Berlin-Songs vor allem aus der „Dreigroschenoper“ und aus „Happy End“, ist das große Orchester dabei. Kai Tietje, der die Songs arrangiert hat, sorgt am Pult für schmissige Tanzrhythmen, mit Saxofon, E-Gitarre und opulentem Bigband-Sound. Ob orientalische Oboe mit Trommel, Slowmotion-Tango mit Flamenco-Einsprengseln bei der „Zuhälterballade“, Rumba oder Swing: Die Damen in der Reihe vor uns katapultiert es fast aus den Sitzen.

Weimarer Republik, die Goldenen Zwanziger, Katharine Mehrling tanzt auf dem Vulkan, ob als Amüsierdame im verrauchten Nachtklub (das nächste, von allerlei Statisten bevölkerte Bühnenbild) oder als Femme fatale vor scherenschnittiger Häusermeersilhouette. Beim Mackie-Messer-Song wechselt sie mit jeder Strophe die Sprache, gibt jazzige Trompetensoli zum Besten, brilliert mit explizitem wie exquisitem Sexappeal, mit kreisendem Becken und rollendem R.

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Brecht’sches Parlando, vom Leben angekratzte Verführungskunst, jeder Spitzenton ein Racheakt: Katherine Mehrling braucht den Männern nur „Schatz“ zuzurufen, Vorsicht, Verletzungsgefahr! Tänzer Fernandez, mal Dragqueen, mal Liebesdiener, mal haariger Affe, mal schwarz verschleierte Witwe, versucht es trotzdem immer wieder bei ihr.

Der Metropolen-Blues kommt auch nicht zu kurz, in Weills Vertonung der rotzfrech-melancholischen Verse von Erich Kästners „Abschiedsbrief“ der Erna Schmidt an ihren treulosen Galan. Mehrling heitert den Song mit der ironischen Aufzählung sämtlicher U8-Stationen von Hermannstraße bis Wittenau auf: Wäre doch gelacht, wenn sich das mit dem Liebeskummer nicht spätestens auf der Rückfahrt in der U-Bahn erledigen ließe.

Barrie Kosky wäre nicht Barrie Kosky, wenn er dem unterhaltsamen Abend – der sich mit seiner so effektvollen wie simpel konstruierten Szenerie nach der Sommerpause problemlos ins renovierungsbedingte Ausweichquartier des Schillertheaters verfrachten lässt – nicht auch Politisches beigemischt hätte. In den wilden Zwanzigern klingen schon die Dissonanzen des Nationalsozialismus an. Erst füllt Mehrling den plötzlich leeren Bühnenraum mit Sehnsucht- und Klagetönen, in dem von Weill arrangierten hebräischen Volkslied „Ba’a M’nucha“. Später herrscht Krieg: Zu „Und was bekam des Soldaten Weib“ trotten und marschieren die mit Riesen-Pappmachéköpfen ausstaffierten Statisten; in Weills wenig bekanntem „Lied vom blinden Mädchen“ beschwört Mehrling gleich anschließend die Gefahren blinden Gehorsams.

Die 47-jährige Sängerin, die als Piaf, Evita, Eliza Doolittle und seit Koskys „Ball im Savoy“ nicht zuletzt auch an der Komischen Oper Furore machte, kann mit diesem Liederabend einen weiteren Berliner Triumph verzeichnen. Ein wenig enttäuschend fällt lediglich das Finale aus. Der Abend endet nicht etwa mit der die pure Gegenwart feiernden „Ballade von der Höllen-Lili“, sondern mit dem „Wie lange noch?“-Lamento einer Frau, die sich partout nicht von ihrem Kerl trennen kann. Wo bleibt der Trotz, wo die Power und die Kanonenschüsse der männermordenden Seeräuber-Jenny?

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