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Kultur: Keimfrei lernen

Brandlöcher, beschmierte Wände, überfüllte Hörsäle – so erinnern sich viele an die Rostlaube der FU. Das ist vorbei. Die Inspektion des aufgemöbelten Gebäudes

Die FU ist eines der wichtigsten Gebäude des zwanzigsten Jahrhunderts“, war kürzlich in der einflussreichsten deutschen Architekturzeitschrift zu lesen. Tatsächlich? Nach den wichtigsten Gebäuden des zwanzigsten Jahrhunderts gefragt, hätte ich viele andere aufgezählt, bevor ich auf die Rostlaube gekommen wäre. Obwohl ich selbst ein paar Jahre dort verbracht habe. Oder liegt es vielleicht gerade daran? Zeit also, wieder einmal nach Dahlem zu fahren und die gute alte Freie Universität zu besuchen, die gerade mit einer neuen Bibliothek von sich reden macht.

Wer die Rostlaube heute betritt, sieht sie wie neu. Träume ich? Habe ich das alles nicht viel heruntergekommener gekannt? Was ist geschehen?

Die Rostlaube, wenn auch noch nicht alle Gebäudeteile, ist wieder auferstanden. Reichstagsarchitekt Sir Norman Foster hat sie grundsaniert. Hat sie demontiert und ohne ihre berühmte Rostfassade wieder aufgebaut. Nun hat sie eine Außenhaut aus dunkler Baubronze, wie sie in Westdeutschland an vielen älteren Commerzbank-Bauten zu sehen ist. Mit der Zeit wird sie sich verfärben. Natürlich patinieren, wie es heißt, aber nicht rosten, wie der Cor-Ten-Stahl davor.

Eigentlich war der Entwurf der Architekten Georg Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods von 1963 ein architektonisches Versprechen, das sich gegen die wuchtigen, in die Höhe stapelnden Großstrukturen der 60er Jahre richtete. Die FU sollte flach sein und offen, mit vielen „Durchwegungen“. Das Gebäude hat sanft ansteigende Rampen und überall Glas. Immer bewundert: die gebogenen, über Eck reichenden Fenster. Shadrach Woods, der führende Architekt der Gruppe, wollte ein polyzentrisches Gebilde. Die Struktur aus Instituten, Hörsälen, Seminarräumen, Straßen, Gängen und Wegen soll Studenten und Professoren in einen permanenten Austausch bringen.

Einen „wirkungsgierigen Grundriss“ nennt das die „Bauwelt“. Einen Grundriss, der eine offene, horizontal organisierte Stadtgesellschaft symbolisieren soll. Die romantischen Vorbilder waren die arabische Kasbah, das rechteckige Raster der Stadt Aigues-Mortes in der Camargue und der noch mittelalterlich geprägte Straßenzug von Paris, in denen sich das Büro der Architekten befand.

Es war eine internationale Sensation, als das Land Berlin beschloss, diesen Entwurf zu bauen. Der Universitäts-Teppich, wie das Großgebilde damals genannt wurde, sollte sich tatsächlich über das „Dahlemer Obstbaugelände“ legen. Im Juni 1967 wurden die ersten Bäume gefällt. Im Februar 1973, nach fünfjähriger Bauzeit, fast zehn Jahre nach dem Entwurf, war der erste Abschnitt fertig. Und wurde schon „Rostlaube“ genannt. „Cor-Ten Stahl hat die Eigenschaft, eine wartungsfreie Rostschicht zu bilden. Reparaturen entfallen für immer“, hieß es damals. „Nach etwa drei Jahren – das wird 1974 der Fall sein – ist der Korrosionsprozess beendet und auch der gewünschte Farbton vorhanden. So jedenfalls wird es von den Architekten behauptet.“ Die leichte Skepsis, die da mitklingt, scheint im Nachhinein berechtigt. Denn der Korrosionsprozess war 1974 keineswegs beendet. Der Korrosionsprozess hat nie aufgehört. Die Cor-Ten Stahlplatten haben nicht, wie gedacht, Jahrhunderte gehalten, sondern sind einfach durchgerostet. Und wo heute Gebäudeteile noch das alte, originale Fassadenkleid tragen, rosten sie weiter vor sich hin und werden von silbernem Klebeband zusammengehalten.

Dabei war die Idee so gut. Die feingliedrige Fassade, von dem französischen Konstrukteur Jean Prouvé in einem separaten Wettbewerb entwickelt – er hielt sich an das Modulor-Raster von Le Corbusier –, konnte mit variablen Füllungen versehen werden. Neben Fenstern, Glaseinsätzen auch mit den berühmten „Bücherbuchten“. Das sind auf der Innenseite in die Fassadenelemente eingelassene Regale. Die Dienstzimmer der Professoren wirkten deshalb oft wie kleine Raumstationen, was manche mit Biedermeiersofas zu konterkarieren versuchten. Theoretisch hätte jeder zur Ratsche greifen können und Wandelemente nach seinen Wünschen de- oder montieren können. Alles war flexibel, offen für Veränderung. Theoretisch. Theoretisch war es ein tolles Gebäude. Bis die Fassade durchrostete, angeblich, weil das Geheimrezept, nach dem Thyssen den Spezialstahl kochen sollte, nicht stimmte. Und bis festgestellt wurde, dass in dem gesamten Komplex einige Tonnen Asbest verbaut worden waren.

Ende 1990 wurden Rost- und Silberlaube für Monate geschlossen, die Decken wurden abgeklebt, und plötzlich standen überall an Märklin-Metallbau erinnernde Lochblechstützen im Weg. Der erste „Dahlemer Fenstersturz“ lag da schon fast eineinhalb Jahrzehnte zurück: Beim Öffnen eines Fensterflügels war ein ganzes Fenster mit Rahmen aus der Halterung gebrochen. Interne Rundschreiben der FU gaben von da an Anweisungen zur „Vermeidung von Unfällen beim Öffnen der Fenster“. Bereits im Oktober 1976 wies ein Gutachten der Bundesanstalt für Materialprüfung darauf hin, dass eine neue Fassade nötig sei. Und schwupps, schon heute, nur 29 Jahre später, hängt sie da, die neue Fassade. Teilweise wenigstens. Immerhin.

Ich schreite auf dem neuen, flammenroten Teppich durch den K-Gang. Alles wirkt erleuchtet. Und ich möchte mich gar nicht daran erinnern, dass es während der frühen 90er Jahre Konsens war, ja, zum guten Ton gehörte, dieses Gebäude grausam, ja misslungen zu finden. Jeden Müdigkeitsanfall schob man auf diese gebaute Unmenschlichkeit, jedes Husten auf Asbest. Das Gebäude war an allem schuld. Dabei bot es ein realistisches Abbild der Zustände an deutschen Universitäten: heruntergekommen, unterfinanziert, überlastet, überfüllt. Verziert oder verunstaltet, das konnte jeder für sich entscheiden, durch die während der Streiksemester angebrachten Wandmalereien. Abgenutzt. Und eines Morgens, als wieder einmal eine Besetzung befürchtet worden war, hatte man an der Tür zum K-Gang die originalen Türgriffe, die sich mit Fahrradschlössern so leicht verbarrikadieren ließen, durch billigste Baumarkt-Plastikgriffe ersetzt. Das sah entsetzlich aus. Und beleidigte von da an jeden Tag aufs Neue.

Auch der von den Architekten eigentlich erhoffte Austausch mit den Dahlemer Ureinwohnern fand nicht statt. Die Nachbarn in ihren Villen deuteten die vielen Türen in der Stahlfassade nicht als romantische Seiteneingänge einer südfranzösischen Stadtumfriedung. Sie kamen nicht zum Wissensbummel auf die J-, K-, oder L-Straße. Die Anziehungskraft der „rues corridors“ wurde überschätzt, dem künstlichen Straßennetz fehlt eine zusätzliche Funktion. Es gibt da auch heute keine Geschäfte. Erst die von den Studenten selbst betriebenen Cafés – darunter der berühmte „Rosa Salon“ oder das Frauen- und Lesbencafé „Furiosa“ – brachten Belebung. Dahlemer Witwen waren da eher selten zu sehen. Stattdessen hatte sich bereits 1975 eine Initiative namens „Bürger gegen die Zerstörung Dahlems“ gegründet, die gegen einen weiteren Ausbau der Universität protestierte, das heißt gegen die weitere Villenzweckentfremdung durch universitäre Nutzer.

Mit der Idee, die Umgebung einzubeziehen, ist Shadrach Woods gescheitert. Für den geforderten „permanenten Austausch“ sorgt das Haus jedoch. Man begegnet sich immer wieder. Spatzen fliegen herein und picken die Kuchenkrümel auf. Und auf dem Gang vor den Cafés, die es vielleicht bald wieder gibt, auf dem Teppichboden oder auf den ungemütlichen Drahtgitterbänken sitzend, haben wir am meisten gelernt. Sagen viele, die sich daran erinnern. Damals war dieses gar nicht so unangenehme Gefühl dabei, in der Ruine einer Utopie unterrichtet zu werden. Die war hier und da schon halb überwuchert. So versinken Städte, wurde da sinniert, so sah Rom im siebten Jahrhundert aus. Und es war da, auf dem abgeschabten, von Brandflecken übersähten Teppichboden am Ende immer noch angenehmer und vor allem wärmer als in einer herbstwinterfeuchtkalten Ofenheizungswohnung, irgendwo im richtigen Berlin.

Wieder in der Gegenwart, wieder im K-Gang sehe ich ein großes Gewächshaus, ein sanft, silbrig-weißes Etwas wölbt sich über die Flachdächer. Das ist die neue Bibliothek. Das Büro des Meisters Foster hat nicht nur die denkmalpflegerische Sanierung geleitet, sondern hier, mitten in den Universitäts-Teppich von Shadrach Woods auch ein großes Ei gelegt, in dem nun elf ehemals getrennte Fachbereichsbibliotheken vereinigt sind.

Während die Architekten einen außen, auf dem Parkplatz neben der Rostlaube liegenden Bau bevorzugten, wollte die FU eine Variante innerhalb der bestehenden Bebauung. Nun liegt sie da in einem der Höfe, zwischen den Erschließungsstraßen, ungefähr dort, wo sich einmal die Bibliothek der Historiker befand. Der Neubau sollte nicht zu weit über die bestehende Bebauung hinausragen, also begann das Büro zu „morphen“. Die Gebäudehöhe wurde reduziert, die Lufträume minimiert. Aus dem ursprünglich passgenau und rechteckig eingesetzten, hochaufragenden Entwurf wurde dieses große, wie angelutscht und ausgespuckt daliegende Bonbon. Andere kursierende Architekturmetaphern: Käfer, Ei, Kellerassel. Der FU-Präsident spricht am liebsten vom Gehirn der FU, neudeutsch Brain.

Innen ist der Wille zur Kompaktheit deutlich spürbar. Es ist schön, ja, schön neu, aber auch sehr eng. Die Hülle ist eben keine luftige und leere Kuppel, sondern bis an den Rand vollgepackt mit Regalen und Leseplätzen. 700 000 Bücher stehen hier wie unter weißer Frischhaltefolie. Noch arbeitet das Hirn nur im Testbetrieb, aber ich laufe schon mal vorbei an Properz und Vergil bis zu den Dilthey-Jahrbüchern. Und wie fast immer in geisteswissenschaftlichen Bibliotheken, das fällt gleich auf, sind sieben von zehn Lesern Frauen. Die Sprinkleranlage hängt frei unter der Sichtbetondecke, die tragenden Säulen sind aus glattem, geschliffenem, sich ganz weich anfassenden Beton. Die Farbtöne Hellgrau, Grau, Rauchgrau und Grauweiß herrschen vor. Kaum einer ist ohne Computer hier, ein Tastenwispern durchzieht den Raum und in der so genannten Leselounge, ganz oben, dem Folienhimmel ganz nah, liegen die ausgezogenen Schuhe malerisch neben den roten Retro-Sesseln. Und was sagen die Nutzer? Die zukünftigen Philologinnen, Deutschlehrerinnen und Übersetzer? Sie sagen „ja, aber“. „Wo ist der gebäudepsychologische Dienst?“, fragt Detlev Rüdiger. „Es sieht aus wie ein Parkhaus, ziemlich kalt“, hat eine andere Hand in das ausliegende Gästebuch geschrieben. Eine junge Frau, sie promoviert über mittellateinische Heiligenviten, bemängelt die Anordnung der Leseplätze: „Sieht zwar schön aus, aber immer sitzt man mit dem Rücken zum Raum und zur Bewegung. Wer viel in Bibliotheken sitzt, weiß, wie sehr das stören kann.“ „Ein paar Pflanzen wären schön“, sagt eine andere, ältere Leserin. „Wieso Pflanzen, Pflanzen wachsen doch draußen“, widerspricht ein männlicher Student.

Die praktischen Beschwerden überwiegen die ästhetischen Bedenken. Das Gebäude ist schlicht zu laut. Es gibt keine Schleuse zum K-Gang. Immer wenn die Tür zu dieser Hauptstraße der Rostlaube aufgeht, kommt der Lärm herein. „Das Lichtwunder ist auch ein Lärmwunder“, sagt eine Komparatistin, die der verlorenen Institutsvilla am Hüttenweg hinterhertrauert. Und meint, im Keller sei es unaushaltbar kalt, während es oben, unter dem Dach, stickig sei. Tja. Vielleicht funktioniert es noch nicht so gut, das Super-Energiesparprogramm dieses Bücherkäfers, der sich halb eingegraben hat. Man darf gespannt sein, wie das von Termitenbauten abgeschaute Lüftungs-, Kühl- und Heizungssystem – im Sommer soll die kühle Luft von der Schattenseite durchs Gebäude wehen – dann tatsächlich arbeitet. Die Bibliothek, obwohl vor Semesterbeginn nur schwach besucht, wurde jedenfalls auch schon Sauna genannt.

In den 90er Jahren hätte man über den Satz, die Rostlaube sei eines der wichtigsten Gebäude des Jahrhunderts, vielleicht gelacht. Dabei war sie, wenn nicht gerade wegen Asbest gesperrt, das immer symphatisch-unpathetische Gebäude. Bin ich drinnen oder schon wieder draußen? Das Kommen und Gehen ging und geht immer ganz unauffällig. Und sie liegt so hübsch zwischen den verbliebenen Obstbäumen, umwuchert von Brombeerranken. Von denen sich, das ist jedes Jahr so, kurz vor Wintersemesterbeginn die reifen Beeren pflücken lassen.

Und wie geht es weiter? Die Vision von der Wissenschaftsstadt, die bald 100 Jahre alt ist, gibt es immer noch. Schon 1911 träumte man von einer „Stadt der Wissenschaft“ auf dem Gebiet der Königlichen Domäne Dahlem. Und es wird weitergebaut. Nun für die „Kleinen Fächer – 3. Bauabschnitt Obstbaugelände“. Nach Rost- und Silberlaube kommt die Holzlaube auf uns zu. Den Wettbewerb gewann der Architekt Florian Nagler, dessen Entwurf das Gewebe von Rost- (respektive Bronze-) und Silberlaube fortsetzen will, was keineswegs eine Bedingung war. Es geht aber eben darum, so der Berliner Architekt Volker Staab, Vorsitzender des Preisgerichts, „die vorhandene Identität der Freien Universität und ihrer baulichen Anlagen zu stärken“. Der Teppich wird weitergeknüpft, die FU muss sich mit keiner Schaufront schmücken. Ihr Labyrinth, ihr „wirkungsgieriger Grundriss“, das gebaute Denkmodell, macht sie zu einem so besonderen Gebäude. Zu einem, das es nirgendwo nötig hat, anzugeben oder einzuschüchtern. Vielleicht sogar, wer will das heute schon wissen, zu einem der wichtigsten des zwanzigsten Jahrhunderts.

Wieder draußen auf dem K-Gang. Alles wie immer, nur noch nicht benutzt. Keine Kritzeleien, und die festgeschraubten Drahtgitterbänke sind frisch lackiert. Alles aufgeräumt, keine wilde Plakatierung. Und alle scheinen sich ans Rauchverbot zu halten. Brav sieht es aus. Und gleichzeitig sehr trendy. Sind hier nicht kürzlich ein paar Modestrecken produziert worden? Es wäre an der Zeit.

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