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Kendrick Lamar.

© Greg Noire

Kendrick Lamar live in Berlin: Der König des Rap zelebriert ein Hochamt

US-Star Kendrick Lamar demonstriert mit seinem Auftritt der Big Steppers World Tour in der Mercedes Benz Arena seine Ausnahmestellung im Hip-Hop.

Er will wirklich nicht unser Heiland sein. Wirklich, wirklich, wirklich nicht. Es steht auf T-Shirts, die zum Verkauf stehen, er rappt es uns ins Gesicht, er zeigt es uns mit jeder Geste. Und posiert dann trotzdem mit einer Dornenkrone auf seinem Albumcover. Kendrick Lamar ist ein widersprüchlicher Mensch und er hadert mit seinem Status als Heilsbringer des Hip-Hop – das hat er mit vor einigen Monaten mit „Mr. Morale & The Big Steppers“ auf Doppelalbumlänge schon zum Ausdruck gebracht.

Aber es hilft ja nichts, er ist wie verflucht: Er wird nur umso frenetischer gefeiert, auch oder gerade wenn er uns all seine Makel offenlegt (im letzten Album etwa: Sucht, Traumata und Trauer, Selbstzweifel und uneindeutige Positionierungen zum Thema Pandemiemanagement). Es hat etwas von König Midas: Alles was er berührt wird Gold.

Lamar hat ein höchst gespaltenes Verhältnis dazu. Denn was mehr kann sich ein Junge aus Compton wünschen, als die ganz großen Bühnen der Welt zu spielen und zum Gott des Gegenwartraps ausgerufen zu werden? Aber wer will diese Last mit sich herumtragen? Und vor allem: Wie geht man damit um? So viel sei gesagt: Der Abend wird einige Hinweise darauf geben.

Ein Kendrick-Lamar-Konzert ist auch so etwas wie ein Hochamt des Raps, die wartenden Massen auf dem seelenlosen Mercedes-Benz-Platz beweisen es. Im Pulk der Leute finden sich gleich mehrere hoffnungsvolle Rapper, die um die Gunst der Wartenden buhlen, im Schatten eines Fast-Food-Lokals bricht eine spontane Danceparty aus.

Zwei Frauen erzählen, dass sie mittlerweile eigentlich privat gar nicht mehr so viel Rap hören, aber Kendrick, Kendrick sei eine Ausnahme, seine Poetik und seine lyrische Kraft. Anderswo tragen Jugendliche schon bevor das Konzert begonnen hat die aktuellen Merch-Produkte: 85 Euro für einen Kapuzenpullover, daneben gibt es noch Jutebeutel, T-Shirts, alles, was das Hip-Hop-Herz begehrt. Drinnen spielt der erste Support-Act, Tanna Leone, vor einem halbleeren Saal, beim zweiten Supportkünstler, Lamars Cousin Baby Keem, sieht es schon besser aus.

Die beiden wurden nicht zufällig ausgewählt: Tanna Leone ist Lamars jüngster Neuzugang auf seinem eigenen Label „pglang“, wo auch Baby Keem unter Vertrag steht. Der ganze Abend steht im Zeichen der 2019 gegründeten Produktionsfirma, die sich auch für die visuelle Ästhetik des Abends verantwortlich zeichnet.

Kendrick Lamar bei seiner Show.

© Greg Noire

So steht Keem etwa ganz in Schwarz gekleidet auf einer fast vollkommen leeren Bühne, nur von verfremdeten Live-Videoaufnahmen seiner selbst und wechselnden Licht- und Videoelementen begleitet, während er mit viel Verve seine Songs präsentiert, die in den USA allesamt Hits sind. In der Mercedes-Benz-Arena kommt natürlich „Praise God“, eine Zusammenarbeit mit Kanye West von dessen letztem Album „Donda“ am besten an.

Der Minimalismus bleibt der rote Faden des Abends, als Kendrick Lamars Show beginnt: der Steg ins Publikum, der für Baby Keem nur zu einem kleinen Teil enthüllt war, wird komplett freigelegt, Performer*innen in uniformartigen schwarzen Outfits marschieren zu einem Instrumental über den Steg zurück auf die Bühne, wo er im Dunklen wartet, der Held des Abends: Kendrick Lamar.

Am Klavier, begleitet von einer Bauchrednerpuppe, steigt er in „United in Grief“, dem ersten Stück auf „Mr. Morale“, ein, einem intensiven Stück über Trauer, Trauma, Therapie und fragwürdige Bewältigungsmechanismen. Und überwältigt das Publikum mit einer Performance, die an Intensität und aggressiver Rapdelivery sogar die Albumaufnahmen übertrifft.

Therapie ist wohl auch das Motto der Show: Immer wieder kommentiert eine Stimme aus dem Off Lamars Fortschritte, oder besser gesagt, die seines Alter Egos „Mr. Morale“, jedes Detail ist symbolisch aufgeladen: von seinem Outfit, das zu einer Art goldenem, hypermaskulinen Boxweltmeistergürtel feminine Diamantohrringe kombiniert, zu den Bühnenvorhängen, die heruntergelassen werden, um darauf Schattenspiele zu projizieren und Sinnsprüche darüber, dass Masken das Innere eines Menschen nicht verbergen. Der Verweis an Carl Gustav Jung, seine Theorie der Masken und der Archetyp des „Schattens“ liegt da nicht weit.

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Die Tänzer*innen tauchen in verschiedenen Konstellationen auf, mal nur die weiblichen in einer Art Täuferkleid, mal als gesamtes Ensemble in uniformhaften Outfits. An einer Stelle steckt ein Teil der Tänzer*innen sogar in Schutzanzügen und nimmt Lamar in einem herabgeschwebten Isolationszelt einen Coronatest ab, wonach er im Zelt stehend einige seiner größten Hits, etwa „Money Trees“, darbietet. Corona-Kritik, Schwurbel, Provokation? Vielleicht von allem ein bisschen.

Auch wenn Kendrick Lamar Megastar-Status erreicht hat, entzieht er sich den Konventionen des Pops: Er interagiert mit dem Publikum nur minimal, er spielt keine Authentizität oder Spontaneität vor, wie es etwa Harry Styles oder Beyoncé bei ihren Auftritten einkalkulieren.

Im Gegenteil, die gesamte Show von fast 30 Songs von seinen vier Alben und drei Kollaborationen mit Baby Keem – der dafür auch auf die Bühne zurückkehrt – wirkt wie ein perfekt durchchoreografiertes Musikvideo, immer wieder wendet sich Lamar direkt an die Kamera, die ihn dann wieder an die Videowände an der Bühne projiziert.

In der zweiten Hälfte der Show kommen immer mehr auch Gesangs- und Rapelemente vom Band, die Hymne „Swimming Pools (Drank)“ aus dem ersten Album wird sogar nur vom Band abgespielt, es ist klar, dass der Rapper keine Lust hat, sie immer noch und immer wieder zu performen.

Wenn er dann wieder als Rapper einsteigt, wird klar, warum dieser Mann gerade zu mythischen Status innerhalb der gegenwärtigen Rapszene eingenommen hat: Kaum jemand kann es mit seinen technischen Fähigkeiten aufnehmen, mit seinem emotional intensiven Vortrag und mit der Tiefe seiner Texte. Und kaum jemand würde eine Show auf die Bühne bringen, die sein Publikum so begeistert, wie auch fragend zurücklässt: Was war das gerade?

Kendrick Lamar will nicht unser Heiland sein. Aber ein König des Raps, das ist er allemal.

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