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Schuldig oder unschuldig? Die tatverdächtige Song (Tang Wei) umgibt ein Geheimnis.

© youngukjeon/Plaion Pictures

Südkoreanischer Noir: Der Polizist und die Mörderin

Park Chan-wook kehrt mit dem Krimidrama „Die Frau im Nebel“ in sein Heimatland zurück. Sein meisterhaftes Filmrätsel entzieht sich allen Genrekonventionen.

Die Verdächtige gibt eine Speichelprobe. Der Kommissar (Park Hae-il) erhascht ihren Blick. Die Augen wandern hinunter zu seinem Ehering. Man spürt seine leichte Nervosität, die Frau (Tang Wei) hat es ihm angetan. Im Verhör lachen beide eindeutig zu häufig, lange verharren ihre Blicke auf den Augen des Gegenübers. Zu dieser Frau sollte sich Jang Hae-joon nicht hingezogen fühlen. Nicht nur, weil er verheiratet ist. Sondern auch, weil Song Seo-rae eventuell gerade ihren Mann (Yoo Seung-mok) umgebracht hat.

Am Anfang von „Die Frau im Nebel“ wird viel und schnell geredet, doch auch die Blicke sprechen eine Sprache. Die Kamera zeichnet ihre Wege nach und erzählt, was die Figuren in Worten nicht auszudrücken wagen. Park Chan-wooks Inszenierung dieser Momente – wie das Begehren sich beinahe materialisiert und am Tisch des Verhörzimmers mit Platz nimmt – ist schlicht meisterhaft. Im vergangenen Jahr wurde er in Cannes dafür mit dem Regiepreis ausgezeichnet.

Grelle Gewalt und großer Stilwille sind Parks Markenzeichen

Zwanzig Jahre sind vergangen, seit der südkoreanische Filmemacher mit dem Rache-Thriller „Old Boy“ die Arthouse-Welt aufmischte. Grelle Gewalt, mit großem Stilwillen inszeniert – das wurde zu seinem Markenzeichen. Auch mit intensiven Sexszenen arbeitet Park gern, besonders in „Die Taschendiebin“ (2016), seinem bislang jüngsten Film.

Danach verfilmte Park Chan-wook in London den John-le-Carré-Thriller „Die Libelle“ als Miniserie. Eine erschöpfende Erfahrung, wie er heute in Interviews erklärt. Den Regisseur plagte das Heimweh, da kam der London-Besuch seiner langjährigen Wegbegleiterin Chung Seo-kyung gerade recht. Sie hatten gemeinsam bereits vier Filme geschrieben, nun holte sie ihn aus seinem Tief heraus. 

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Mit „Die Frau im Nebel“ wollte Park Chan-wook wieder einen entschieden südkoreanischen Film drehen. Die Filmindustrie in Südkorea erlebt aktuell einen Boom. Vor drei Jahren gewann „Parasite“ als erster fremdsprachiger Film den Hauptpreis bei den Oscars, 2021 wurde „Squid Game“ zur meistgesehenen Serie der Welt. Auf den Festivals und im Arthousekino macht Südkorea aber schon weit länger auf sich aufmerksam, auch Park hat daran seinen Anteil.

Vorlieben für abseitige Details

In dem Film Noir „Die Frau im Nebel“ hat er den Grad an Sex und Gewalt deutlich zurückgefahren. Der Blick auf die Liebesgeschichte im Zentrum bleibt unverstellt. Der Film übernimmt für kurze Momente sogar die Perspektive der Figuren, sie wird zu der des Publikums – auf der Suche nach tieferliegenden Wahrheiten. Hinsehen, verstehen, durchschauen oder eben gerade nicht, dieses Thema durchzieht „Die Frau im Nebel“. Ein Bild, das sich im Film wiederholt: Der Ermittler tropft sich ständig die Augen. 

Unterdrückte Gefühle: Song (Tang Wei) und Jang (Park Hae-il).

© youngukjeon/Plaion Pictures

Park und Chung zeichnen die beiden Hauptfiguren mit einer Vorliebe für abseitige Details und unterwandern so alle Noir-Klischees. Auf der einen Seite Jang Hae-joon, der aufrichtige Polizist, der Ordnung und Reinheit liebt und immer Desinfektionstücher, Lippenbalsam und Erfrischungspastillen mit sich herumträgt. Auf der anderen Song Seo-rae, die Eiscreme zum Abendbrot isst und immer wieder mit dem Tod in Berührung kommt. Sie werden als Figuren greifbar.

„Die Frau im Nebel“ spielt mit den Regeln des Genres. Er verdreht sie, weitet sie, sodass der Film unerwartet humorvoll, vor allem aber melodramatisch gerät. Ähnliches ist Park zuvor schon mit anderen Genres geglückt: dem Science-Fiction-Märchen „I’m a Cyborg, But That’s OK“ (2006) und dem Vampir-Horror „Durst“ (2009).

Alfred Hitchcock stand Pate

Aus den Bildern von „Die Frau im Nebel“ spricht gleichzeitig seine Liebe zum visuellen Erzählen, besonders zum Kino Alfred Hitchcocks. Parks Film lässt sich auch als „Vertigo“-Variante verstehen. Er zitiert Motive aus dem Höhenangst-Klassiker von 1958, auch die Musik seines Hauskomponisten Cho Young-wuk erinnert an Bernard Herrmanns berühmten Score.

Selbst den Bruch in der Mitte des Films übernimmt er von seinem Vorbild. Wie „Vertigo“ besteht „Die Frau im Nebel“ aus zwei Teilen mit unterschiedlichen Handlungsschwerpunkten. Zunächst geht es um die Ermittlungen und die Annäherung von Kommissar und Verdächtiger. Die zweite Hälfte siedeln Park und Chung ein Jahr später an, als die Figuren erneut aufeinandertreffen.

„Die Frau im Nebel“ ist ein geheimnisumwitterter Traum, manche Szenen funktionieren wie kleine Rätsel innerhalb eines großen Vexierbilds. Entscheidende Informationen lässt Park erst zeitversetzt einfließen, manche Geheimnisse gibt der Film nur in beiläufigen Details preis. Wie viel Femme fatale steckt in Song Seo-rae? Wie aufrichtig sind die Gefühle, die sie Jang Hae-joon in ihren stummen Blicken signalisiert? Diese zentrale Frage beantwortet der Film erst ganz am Schluss in einer tieftraurigen Auflösung. Ein letztes, ewigwährendes Rätsel.

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