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Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin

© Jörg Brüggemann

Klang von Rang: Die sieben großen Orchester Berlins im Porträt

Kunst und Musik spielen in Berlin immer noch die erste Geige – ein Segen. Derzeit fördert das Land sieben große Orchester, die Hörenswertes bieten. Was Klassikfans erwartet.

Berlin hat heute keine große Industrie mehr, aufgrund von Krieg und Teilung sind andere Wirtschaftsstandorte in Deutschland ziemlich uneinholbar an der Stadt vorbeigezogen. Doch immer noch ist Berlin mit einem einzigartig reichen Kulturangebot gesegnet – Erbe der Kaiserzeit und der 1920er Jahre, Berlins „Weltaugenblick“ (Jens Bisky), den die Nationalsozialisten brutal abgeschnitten haben. Musik und Kunst haben überlebt, sie spielen in Berlin immer noch eine tragende Rolle.

Fast wirkt es so, als müsse jeder, der seine Karriere voranbringen will, hier mindestens einmal Station gemacht haben. Vier große staatlich unterstützte Symphonieorchester gibt es heute, einst waren es sogar fünf, doch die Berliner Symphoniker fielen 2004 aus der Förderung. Dazu kommen die Orchester der drei Opernhäuser. Wir stellen alle sieben Klangkörper in Kurzporträts vor und erzählen, was von ihnen in diesem Frühjahr und Sommer an spannenden Konzerten und Aufführungen zu erwarten ist.


Berliner Philharmoniker

Es gibt einige Fragen, über die wohl ewig gestritten werden wird: Ist der Nil der längste Fluss der Erde oder der Amazonas? Sind die Berliner Philharmoniker das führende Orchester der Welt oder doch die Wiener? Oder das Concertgebouworkest? Das berühmteste Berliner Orchester sind die Philharmoniker auf jeden Fall – und das, obwohl sie gar nicht mal das traditionsreichste sind: Die Staatskapelle ist satte 300 Jahre früher entstanden.

Es waren und sind immer wieder auch die Chefdirigenten, die den Ruhm der Philharmoniker geprägt haben: Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler – der mit dem NS-Regime anbandelte –, nach dem Krieg kurzzeitig Sergiu Celibidache, wieder Furtwängler und dann, natürlich, die glanzvolle Ära Herbert von Karajans, der Perfektionist und Technik-Afficionado, der die Schallplattenaufnahmen stark forcierte, die Salzburger Osterfestspiele der Philharmoniker gründete und erstmals Musikerinnen aufnahm.

Unter Claudio Abbado verjüngte sich das Orchester stark, Simon Rattle machte zur Bedingung, dass die komplizierte Trägerschaft vereinfacht wird. Seit 2002 sind die Berliner Philharmoniker eine Stiftung Öffentlichen Rechts, die 128 Musiker und Musikerinnen wählen – das macht sie einzigartig – ihre Chefdirigenten selbst, weshalb sie auch als „Orchesterrepublik“ bezeichnet werden. Beim bisher letzten derartigen Konklave 2015 machte Kirill Petrenko das Rennen. Heimstatt der Berliner Philharmoniker war bis zur Zerstörung im Krieg die alte Philharmonie in der Bernburger Straße, seit 1963 ist es Hans Scharouns Neubau am Kulturforum, der auch schon wieder 60 Jahre auf dem Buckel hat – aber gute Architektur wird ja bekanntlich mit den Jahren immer besser. Traditionell beendet das Orchester seine Saison in der Waldbühne, dieses Jahr am 24. Juni mit Tenor Klaus Florian Vogt und Auszügen aus „Lohengrin“. Am 25. August wird die neue Spielzeit eröffnet, unter anderem mit Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart.


Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB)

Die Radioanstalten sind klassischerweise wichtige Träger von Orchestern in Deutschland. In Berlin existieren gleich zwei solcher Rundfunkorchester, eines davon ist das RSB. Dieses Jahr feiert es seinen 100. Geburtstag, seine Gründung fällt quasi mit dem Beginn des Rundfunks in Deutschland zusammen. Am 23. Oktober 1923 um 20 Uhr sendete erstmals die „Funk-Stunde Berlin“ aus dem Vox-Haus am Potsdamer Platz, das heute nicht mehr existiert, die nahgelegene Voxstraße erinnert an das Haus. Anfangs lud sich Cellist, Pianist und Komponist Otto Urack verschiedene Musiker ins Studio, daraus entstand schnell ein vollgültiges Symphonieorchester, das bis heute regelmäßig mit zeitgenössischen Komponisten zusammenarbeitet.

Die Trägerschaft des RSB ist komplex, es gehört zur 1994 gegründeten „Rundfunk-Orchester und -Chöre gGmbH“ (ROC), an der Deutschlandradio, Bund, Land und RBB beteiligt sind. Die 16 Jahre mit Marek Janowski als Chefdirigent haben das Orchester geprägt, unter anderem ließ Janowski alle zehn kanonischen Wagner-Opern konzertant in der Philharmonie aufführen.

Sein Nachfolger heißt fast genauso, nur zwei Buchstaben sind anders: Vladimir Jurowski führt das RSB in die Zukunft, der Russe hat seinen Vertrag bis 2027 verlängert. Anlässlich seines Jubiläums thematisiert das RSB mit dem neuen Format der „Funkkonzerte“ die Geschichte des Radios, das nächste Mal am 2. Juni. Am 23. Juni eröffnet das RSB den Choriner Musiksommer, am 8. Juli tritt es mit Jonas Kaufmann in der Waldbühne auf. Und natürlich wird der Geburtstag selbst mit einem Konzert am 23. Oktober in der Philharmonie gefeiert.


Staatskapelle Berlin

Es wirkt wie ein Treppenwitz, dass ausgerechnet aus Berlin – einer Stadt, deren historisches Gedächtnis bekanntlich eher schwach ausgeprägt ist – eines der ältesten noch existierenden Orchester Deutschlands stammt. Für hiesige Verhältnisse blickt die Staatskapelle auf eine spektakulär lange Tradition zurück: Mindestens seit 1570 existiert ein Ensemble am Hof, die anfangs „Kurfürstliche“, später „Königliche Hofkapelle“. 1742 spielte sie zur Eröffnung der Lindenoper, wo sie seither angesiedelt ist, 1829 waren ihre Musiker an der legendären Wiederentdeckung von Bachs Matthäus-Passion durch Felix Mendelssohn Bartholdy beteiligt. Giacomo Meyerbeer war Generalmusikdirektor, im 20. Jahrhundert Richard Strauss, Erich Kleiber, Otmar Suitner.

Die Staatskapelle vor ihrer künstlerischen Heimat, der Staatsoper Unter den Linden

© Peter Adamik

Heute assoziiert man die Staatskapelle aber ausschließlich mit einem Namen: Daniel Barenboim, der sein Amt vor über 30 Jahren antrat und auf Lebenszeit gewählt wurde. Er hat aus der Staatskapelle einen weltberühmten Klangkörper geformt, der mit den Philharmonikern um den Titel des bedeutendsten Berliner Orchesters wetteifert. Obwohl die barocke Staatsoper baulich dafür nicht wirklich geeignet ist, war es Barenboim immer wichtig, die Opern Richard Wagners aufzuführen.

Aus gesundheitlichen Gründen trat er im Januar 2023 als GMD zurück, die Nachfolge ist offen. Am 9. Juni wird die Staatskapelle wieder live und umsonst auf dem Bebelplatz zu hören sein, das Programm steht noch nicht fest, nur der Dirigent: Nicht Barenboim, sondern sein langjähriger Freund Zubin Mehta. Mit Daniel Barenboim sind dennoch weitere Konzerte geplant, so das Jubiläum zu 25 Jahren Orchesterakademie am 21. Mai oder eine USA-Tournee im November.


Konzerthausorchester

Jaja, die Sache mit dem Namen: „Berliner Sinfonie-Orchester“, abgekürzt BSO, hieß das Ensemble bei seiner Gründung 1925 und seiner Wiedergründung 1952. Da es aber auch ein DSO in Berlin gibt, entschied man sich 2006 unter Chefdirigent Lothar Zagrosek für diesen Namen, der auch neue Nöte mit sich bringt – zumindest für Rezensenten, die Formulierungsmonster wie „Ein Konzert mit dem Konzerthausorchester im Konzerthaus“ vermeiden wollen.

Das wunderschöne Gebäude am Gendarmenmarkt, einst von Schinkel als Schauspielhaus errichtet und selbst mit bewegter Geschichte, ist Spielstätte des Ensembles – und zurzeit nur unter Mühen erreichbar. Denn der Platz wurde verbarrikadiert und aufgerissen, er soll zwei Jahre (übersetzt in Berliner Verhältnisse entspricht das bekanntlich mindestens sechs Jahren) klimafreundlich umgebaut werden.

Joana Mallwitz wird das JKonzerthausorchester ab 2023/24 leiten

© Martin Walz

Legendär war die Ära von Kurt Sanderling 1960 bis 1977, ihm folgten unter anderem die Chefdirigenten Iván Fischer und Christoph Eschenbach, der sich am 17. und 18. Juni verabschiedet mit Schuberts Unvollendeter und Mozarts Requiem. Ab Herbst schreibt das Konzerthausorchester dann Geschichte: Erstmals wird eine Chefdirigentin eines der staatlichen Berliner Orchester leiten. Die 36-Jährige Joana Mallwitz wurde bereits 2019 von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur Dirigentin des Jahres gekürt; sie reist mit viel Vorschusslorbeeren aus Nürnberg an, wo sie zuletzt Chefdirigentin der Staatsphilharmonie war.


Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO)

Das DSO ist das zweite Berliner Rundfunkorchester, es wird – wie auch die zwei Berliner Profichöre – ebenfalls getragen von der ROC. Entstanden ist es kurz nach dem Krieg 1946 als Rias-Symphonie-Orchester. Zwei Mal hat es seither seinen Namen geändert: 1956 in Radio-Symphonie-Orchester (RSO) und 1993 dann, um Verwechslungen mit dem RSB zu vermeiden, in Deutsches Symphonie-Orchester, ein kühner Schritt. Ferenc Fricsay war Chefdirigent des in der Philharmonie beheimateten Ensembles, auch Kent Nagano oder Ingo Metzmacher.

Seit 2017 ist es der Schotte Robin Ticciati, der die traditionellen Bemühungen des Orchesters, neue Formate für die Vermittlung von Musik zu finden, weiterentwickelt. Moderierte Casual Concerts – bei denen es, wie der Name sagt, eher ungezwungen zugeht – mit anschließendem Drink in einer Lounge setzen die Hemmschwelle bewusst niedrig. Zum „Symphonic Mob“ kommen jedes Jahr rund 1000 Musikbegeisterte Berliner und Berlinerinnen an einem öffentlichen Ort zusammen.

Während der Pandemie, als das Orchester zur Untätigkeit verdammt war, griff Ticciati zum Mittel der Musikfilme, die online präsentiert wurden, etwa eine Verfilmung von Richard Strauss‘ „Alpensinfonie“ mit Kommentaren von Reinhold Messner. Am 4. Juni wird DSO-Soloklarinettist Stephan Mörth Mozarts Klarinettenkonzert spielen, zum Saisonabschluss am 23. und 24. Juni Kent Nagano Gustav Mahlers 6. Symphonie in der Philharmonie dirigieren. Für die neue Spielzeit ab 30. August hat sich Ticciati vorgenommen: „Kein Konzert ohne Komponistin!“: Das gesamte Programm soll den Schwerpunkt auf Rechte, Repräsentanz und Ressourcenausstattung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen legen.


Orchester der Deutschen Oper Berlin

Einst gab es in Berlin nur ein Opernhaus, Unter den Linden, das war zu Zeiten Friedrichs II. In der explosionsartig wachsenden Reichshauptstadt genügte das längst nicht mehr, das Charlottenburger Bildungsbürgertum wagte 1912 (noch vor der Fusion zu Groß-Berlin 1920) eine Kulturrevolution – und gründete eine eigene Oper an der Bismarckstraße. Aus ihr entwickelte sich nach katastrophaler Kriegszerstörung und Vertreibung jüdischer Musiker die heutige Deutsche Oper Berlin, mit 1860 Plätzen das größte Musiktheater der Hauptstadt.

Passend dazu setzt das hauseigene Orchester seit jeher auf die Pflege der beiden Richards, Wagner und Strauss, die die größten Besetzungen erfordern. Ab 1984 lief hier eine der eindrücklichsten Inszenierungen des „Ring des Nibelungen“ überhaupt: Der langjährige Intendant Götz Friedrich und Bühnenbilder Peter Sykora hatten einen schier unendlich tiefen Zeittunnel gebaut, der bis heute schmerzlich vermisst wird.

Donald Runnicles, Generalmusikdirektor des Orchesters der Deutschen Oper Berlin

© Leo Seidel

Der Nachfolger, die neue „Ring“-Inszenierung von Stefan Herheim, kam mitten in der Corona-Pandemie auf die Bühne und setzt vor allem auf die Ästhetik von Koffergebirgen. Ein Richard-Strauss-Zyklus von Regisseur Tobias Kratzer startete im März 2023 mit „Arabella“, es folgen noch „Intermezzo“ und „Die Frau ohne Schatten“. Seit 2009 ist der Schotte Donald Runnicles Chefdirigent, er hat seinen Vertrag gerade bis 2027 verlängert. Ein weiterer Schwerpunkt des Orchesters ist die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten, vor allem dem Berliner Aribert Reimann, aber auch mit Detlev Glanert oder dem Italiener Girogio Battistelli, der aus Pasolinis Film und Roman „Teorema“ eine Oper gemacht hat. Uraufführung ist am 9. Juni.


Orchester der Komischen Oper Berlin

Besuchern entlockt der in prächtigem Neorokoko-Stuck verzierte Saal der Komischen Oper oft ein „Oho“ – weil die Fassade an der Behrenstraße so ganz anderes erwarten lässt. Nüchtern ist sie und schmucklos, denn sie stammt aus den 1960er Jahren, der Saal hingegen, Herzstück des Hauses, hat eine längere Geschichte. 1892 wurde er von dem berühmten Wiener Architektenduo Fellner & Helmer entworfen, 1947 zog die Komische Oper ein, frisch gegründet vom österreichischen Regisseur Walter Felsenstein. Er blieb Intendant und Chefregisseur bis zu seinem Tod 1975. Kurt Masur hat das Orchester geleitet, später der mit 51 Jahren verstorbene Jakov Kreizberg oder Kirill Petrenko, inzwischen Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Aktuell ist Einars Rubikis Generalmusikdirektor.

Wie die beiden anderen Opernorchester schärft das Orchester der Komischen Oper regelmäßig mit Symphoniekonzerten sein Profil. Nach der enorm erfolgreichen Intendantenära von Barrie Kosky, der an die verschüttete Berliner Operettentradition anknüpfte, stehen der Komischen Oper jetzt erstmal harte Jahre bevor: Das Haus muss saniert werden, ab Oktober ist das Schillertheater Ausweichspielstätte, letzte Premiere (am 27. Mai) und letzte Aufführung im Stammhaus (am 10. Juni) wird Händels Oratorium „Saul“ sein. Sollte das Drama um die Sanierung der Staatsoper Maßstab sein, kann so ein Exil durchaus lange dauern. Bis zur Rückkehr werden auch andere Orte in Berlin bespielt, bereits am 16. September etwa der Flughafen Tempelhof mit Henzes „Das Floß der Medusa“.


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