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Auf Goliaths Kopf: Aryeh Nussbaum Cohen als David, Luca Tittoto als Saul und Tansel Akzeybek als Hohepriester (oben, v.l.), davor der Opernchor .

© IMAGO/Martin Müller

Letzte Premiere im Stammhaus der Komischen Oper: Held wider Willen

Hilfe, die Leute mögen meinen Nachfolger lieber: Axel Ranisch inszeniert Händels „Saul“ an der Komischen Oper Berlin

Neid, Rache, Familienzwist, Machtmissbrauch, Populismus, Krieg – und die Liebe natürlich, auch zwischen Männern: Georg Friedrich Händels englischsprachiges, immens opernhaftes Oratorium „Saul“, nach der Uraufführung 1739 kurzzeitig ein Hit (der die Finanzprobleme des Komponisten allerdings nicht lösen konnte), enthält die volle Dröhnung all dessen, was Menschen seit biblischen Zeiten einander anzutun in der Lage sind. Und es verspricht einen satten Barock-Abend als letzte Premiere im Stammhaus der Komischen Oper vor der Renovierung.

Vor der schwungvoll von David Bates dirigierten Ouvertüre führt eine Trickfilm-Skizze in den alttestamentarischen Plot ein, quasi per Flüsterpropaganda, mit der Stimme von Regisseur Axel Ranisch. Psst, nicht weitersagen: König Saul hat Gott nicht gehorcht und bei seinen Feldzügen die Amalekiter verschont, deshalb fehlt ihm nun auch im Kampf gegen die Philister der himmlische Beistand. Aber der kleine David kann es richten, er tötet den Riesenfeind Goliath mit seiner Steinschleuder.

Jonathan liebt David: eine biblische Coming-Out-Story

Prompt himmelt das fahnenschwenkende Volk der Israeliten nicht mehr den auf Goliaths bühnenfüllendem XXL-Kopf thronenden Saul an (Bühnenbild: Falko Herold), sondern den Hirtenjungen. Auch Sauls Kinder, die schöne Michal, der ungestüme Jonathan und nach anfänglicher Ablehnung sogar seine Älteste, Merab, verfallen dem reinen Tor. Weshalb Saul seinem Konkurrenten den Tod wünscht. Klappt aber nicht: Speere verfehlen ihn, Jonathan bändelt lieber mit David an, statt ihn auftragsgemäß zu meucheln, und aus der nächsten Schlacht kehrt Saul nicht als Leiche zurück, sondern erneut als siegreicher Held.

Axel Ranisch, der nach seinem Karrierebeginn als queerer Filmemacher und Publikumsliebling mit witzigen Nobudget-Improvisationen wie „Dicke Mädchen“ und „Ich fühl mich Disco“ inzwischen vor allem Musiktheaterstücke inszeniert, fokussiert sich zunächst auf Jonathans Coming out (mal lyrisch, mal aufmüpfig Nein sagend: Tenor Rupert Charlesworth). Und auf David als Held wider Willen. Eine Projektionsfigur: Der Hirtenjunge steigt mit jedem ins Himmelbett, der oder die scharf auf ihn ist, und fügt sich dem Personenkult, mit dem das Volk ihn auch dann noch bedrängt, als Goliaths Kopf als Totenschädel zu verwesen beginnt.

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Seltsam nur, dass er im dritten Akt den Amalekiter-Boten so tatkräftig wie gnadenlos niedersticht. Helden sind eben doch Mörder? Oder wird David vom Hohepriester (Tansel Akzeybek) fremdgesteuert, der zuvor Sauls Einflüsterer war? Die Vielschichtigkeit von Davids Psyche ergründet Ranisch nicht, auch nicht die Zerrissenheit und den Wahn Sauls, der wie ein Tier unter seinem Niedergang leidet. Luca Tittotos Bass-Bariton lässt allerdings auch von Anfang an jene sonore Autorität vermissen, die seiner Figur im Verlauf der Handlung eigentlich erst abhandenkommt.

Ranischs Personenführung und die Auftritte des vorzüglich intonierten Opernchors erschöpfen sich in oft hilfloser, überdeutlicher Gestik, samt Händeringen auf nicht sonderlich hohem Niveau.

Man braucht sich nur ein paar Youtube-Ausschnitte aus Barrie Koksys Glyndebourner „Saul“-Inszenierung von 2015 anzuschauen, um den Unterschied zu begreifen. Dort die chiffrenhafte Überzeichnung zur Groteske und die präzise aus der Partitur entwickelten Massen-Choreografien, hier der Trend zum Kasperletheater, zur Witzelei (die missgünstige Merab tritt bis zum Schluss mit verschmiertem Lippenstift auf), zum Eigenzitat. Als der von David verschmähte Jonathan sich gar nicht mehr gut fühlt, hockt er mit Kopfhören vor Lautsprecherboxen – unter einer Discokugel.  

Der energisch-sportive Drive des Orchesters der Komischen Oper und Händels ungewöhnliche Instrumentierung mit Carillon zum Zwischenspiel, Orgelbegleitung und tief gestimmten Kesselpauken tragen zwar über manche Albernheit hinweg, dennoch wünschte man sich den Abend auch musikalisch differenzierter.

Bestenfalls bebildert die Regie Händels Schmerzens-, Herzens- und Wutarien sowie die Jubel- und Klagechöre. Daran ändert auch der vor düsteren Kriegsruinen ins Dramatische umschlagende zweite Teil mitsamt dem berühmten Trauermarsch nichts. Einzige Ausnahme: der bestürzend fahl intonierte Totengesang des Chors auf dem Schlachtfeld.

Ein Ereignis: der Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen als David

Penny Sofroniadou als Merab mit spritzigen Spitzentönen und Nadja Mchantaf als Michal mit warmem Timbre machen ihre Sache gut. Das Ereignis des Abends ist jedoch Aryeh Nussbaum Cohens David. Der Countertenor aus New York singt lupenrein, mühelos, dennoch innig, nie flach: Kein Wunder, denkt man sofort, dass diesem Knaben alle zu Füßen liegen. Am Ende, als König Saul und Prinz Jonathan tot sind und David zu ahnen beginnt, dass ihm und seinem neugeborenen Sohn ein ähnliches Schicksal bevorsteht, stimmt er einen melancholischen „King David“-Song von Herbert Howells an, ein 100 Jahre altes Kunstlied. Der Thronfolger lauscht der Nachtigall, jetzt seinerseits einsam und verloren – Ranischs bester Regieeinfall.

Ein Oratorium über einen Abgang und Abgesang, eingebettet ins pfingstliche Händel-Festival mit Wiederaufnahmen von Stefan Herheims „Xerxes“ und Koskys „Semele“, es passt zur Stimmung an der Behrenstraße. Was die Zukunft wohl bringt, wenn die Komische Oper auf Reisen geht, ins Schillertheater und an andere Berliner Spielstätten? Der Jubel im Saal ist mit Wehmut gewürzt. Er gilt auch einer Ära, die hier in wenigen Tagen zu Ende geht.

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