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Die Depesche-Mode-Gründungsmitglieder Martin Gore (links) und Dave Gahan denken nicht ans Aufhören.

© Artist

„Memento Mori“: Depeche Mode arbeiten mit ihrem neuen Album die Pandemie auf

Nach dem Tod ihres Keyboarders Andrew Fletcher machen Martin Gore und Dave Gahan zu zweit weiter und kommen im Sommer auch in deutsche Olympiastadien.

Der 1975 leider viel zu früh ums Leben gekommene Popdichter Rolf Dieter Brinkmann wusste als einer der Ersten: Alles macht immer weiter, von den Geschichtenerzählern über die Arbeiter bis zu Tag und Nacht. Wen er in seiner Aufzählung weitsichtigerweise nicht vergaß: die Rock’n‘ Roll-Sänger, von denen es damals naturgemäß nicht so viele gab wie heutzutage.

Nun würde man Dave Gahan und Martin Gore von Depeche Mode nicht unbedingt dem Rock’n‘ Roll zuordnen, eher dem Pop, dem Synthie-Pop, dem Stadion-Pop. Doch immer weitermachen tun auch sie, was allerdings in dieser Bruchlosigkeit nicht vorherzusehen war.

Im Mai des vergangenen Jahres starb der Keyboarder der Band, der Depeche Mode nicht nur Anfang der Achtzigerjahre mit Gahan und Gore gegründet, sondern den Bandladen stets zusammengehalten und zwischen den beiden Diven vermittelt hatte: Andrew Fletcher.

Fletcher kannte alle Songs

Dass das ein mehr als schwerer Schlag war, bewiesen die Trauerbekundungen von Gahan und Gore. Doch Gedanken ans Aufhören gab es wohl nie. Zumal das neue Depeche-Mode-Album, das nächsten Freitag veröffentlicht wird, zwar von Fletcher nicht mehr final mit eingespielt und produziert werden konnte, er die Songs aber alle kannte und für gut befand.

Auch der Albumtitel „Memento Mori“ ist von ihm mit ausgewählt worden: Bedenke, dass du sterben musst. Das riefen seinerzeit im alten Rom die Sklaven, die einen Gold- oder Lorbeerkranz über dem Kopf des siegreichen Feldherrn halten mussten.

Nun sind Depeche Mode keine Feldherren, aber doch eine der größten, erfolgreichsten, lorbeerumkränzten Bands der Welt, nicht weit hinter den Stones platziert. Während der Pandemie scheint Bescheidenheit und Demut auf ihrer Agenda gestanden zu haben, die Erkenntnis, dass im Angesicht des Todes alles nichts ist.

Bescheidenheit und Demut

„Memento Mori“ ist demnach das Pandemie-Album von Depeche Mode, ihr inzwischen 15. Studioalbum. Mit dem Tod von Fletcher trägt es nolens volens requiemhafte Züge, da hat sich womöglich nachträglich eine zusätzliche Grunddüsternis eingestellt. Tatsächlich beginnt das Album mit einem bedrohlich-dräuenden Song, der von bohrenden Drumsounds und Gahans waberndem Gesang bestimmt wird.

„The Cosmos is Mine“ ist eine Art Antikriegs- und Klimahymne, die Beschwörung, dass es so nicht weitergehen kann, Rolf Dieter Brinkmann hin, die eigene Karriere her: „No war, no war, no war, no war“, skandiert Gahan, „no more, no more, no more, no more/No fear, no fear, no fear, no fear/Not here, not here, not here, not here/No rain, no clouds/No pain, no shrouds/No final breaths/No senseless death“. Dass Schlussstück „Speak To Me“ macht die Düsterklammer zu, und die zehn Songs dazwischen sind im Grunde die elaboriertere Fortschreibung des letzten, 2017 veröffentlichten Depeche-Mode-Albums „Spirit“.

Produziert abermals von dem Simian-Mobile-Disco-Musiker James Ford und abgemischt von der Italienierin Marta Salogni, gibt es auf „Memento Mori“ mit dem Grätschgitarrenstück „My Favorite Stranger“, dem Drogensong „Caroline´s Monkey“ und dem schmachtend-stampfenden „Never Let Me Go“ einige gute Songs, die es in die Tour-Setlist der Band schaffen könnten.

Die Welt in ihren Augen

Der Rest aber, insbesondere die von Gore gesungenen Balladen, ist schlapp, auch das neben „The Cosmic is Mine“ vorab veröffentlichte, trotz der Friedhofs- und Schachbebilderung harmlose Stück „Ghosts Again“. Arg kalkuliert zielt dieser Song ab auf ein Lichtermeer aus Feuerzeugen und Smartphones.

Brinkmann sah ja am Ende seines Gedichts Augen aufschlagend auf ein weißes Blatt Papier – Gahan und Gore werden demnächst wieder in Zehntausende leuchtende Augen blicken und die Rufe nach Ewighits wie „World In My Eyes“ hören.

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