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Szene aus „Rehearsals for Peace“ .

© n.b.k./Jens Ziehe

Militärische Trainingscamps : Üben für den Frieden. Oder für den Krieg?

Der Neue Berliner Kunstverein zeigt die wirkmächtige Videoinstallation „Rehearsals for Peace“ des rumänischen Künstlerduos Anca Benera & Arnold Estefán.

Der Showroom im ersten Obergeschoss des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) ist klein und besteht nur aus einem einzigen Raum. Doch die Videoinstallation, die momentan darin läuft, hat eine Strahlkraft in die große Welt: die 16-minütige Videoarbeit „Rehearsals for Peace“ von Anca Benera und Arnold Estefán.

Das aus Rumänien stammende, in Wien lebende Künstlerduo setzt sich seit einigen Jahren mit der Frage auseinander, welche Auswirkungen militärische Trainingslager auf Anwohner und Umwelt haben. „Rehearsals for Peace“ Videoarbeit spielt auf dem Combat Training Center in der Nähe des Dorfes Cincu im rumänischen Siebenbürgen.

Eine Frau im getarnten Zottelkostüm streift durch die Wälder, versteckt sich in den Schützengräben oder kommuniziert mit einer Schafsherde. Auf einer Lichtung fängt sie an zu tanzen, einen modernen, fast hypnotischen Tanz mit Bewegungen, die teils an Kampfkunst, teils an Ritualtanz erinnern. Das Ganze wird von Musik und Sounds begleitet, doch es wird kein Wort gesprochen. Auf einem Felsvorsprung erscheint die Frau in einer Fellmaske, die an einen Hundekopf erinnert. Von Kopf bis Fuß maskiert und kostümiert, schwingt sie eine schwarze Lederpeitsche und lässt sie immer wieder laut knallen.

Es ist die erste Schau des Künstlerpaars Anca Benera & Arnold Estefán in Deutschland.

© n.b.k./Victoria Tomaschko

Auch wenn alles zunächst befremdlich erscheint, wirkt das Video an keiner Stelle lächerlich. Im Gegenteil, die Kameraführung, der Schnitt, die Musik, das Kostüm und der Tanz sind in höchstem Maße ästhetisch und professionell hergestellt, sie ziehen einen sofort in Bann. Benera & Estefán erzählen, dass das Kostüm und das Gebaren der Frau inspiriert sind vom alten Brauch des Urzelnlaufens (rumänisch: Fuga Lolelor), der noch heute in ländlichen Gegenden um Siebenbürgen praktiziert wird.

Der Brauch geht auf eine Legende um eine junge Frau namens Ursula zurück. Im 16. Jahrhundert wurde ihr Dorf Agnetheln von osmanischen Truppen belagert. Die Männer des Dorfes waren bereits minimiert, doch Ursula wollte sich nicht kampflos ergeben. Sie zog sich Lumpen an, warf sich Tierfelle über Körper und Kopf, band sich Schellen um und rannte Peitschen knallend und lärmend den Osmanen entgegen. Diese dachten, der leibhaftige Teufel sei ihnen erschienen. Voller Entsetzen und Panik ergriffen sie die Flucht. Seitdem wird das Ritual des Urzelns jedes Jahr am Ende des Winters vollführt, um böse Wintergeister zu vertreiben und den Frühling einzuläuten.

In der Videoarbeit begegnet die moderne Ursula Panzerfahrzeugen mit der Peitsche, treibt sie mit dem einheimischen Ritual zurück. Nachdem Russland 2014 die Krim annektiert hatte, wurde das Gebiet um Cincu militarisiert und zu einem der größten Truppenübungsplätze der Nato in Osteuropa umfunktioniert. Deutsche, französische, amerikanische Truppen wechseln sich ab. Sie trainieren für den Verteidigungsfall an der Ostflanke.

Proben für den Frieden: Mit ihrem Titel verweist die Videoarbeit auf das Paradox, militärische Präsenz zu zeigen, um den Frieden zu bewahren. Heiligt der Zweck die Mittel? Das Künstlerduo Benera & Estefán zeigt die Komplexität und die Folgen solcher Combat-Trainingsgebiete für Landwirtschaft und Natur. Felder und Weideflächen wurden zu Schießplätzen, 21 Prozent der auf den Übungsplätzen lebenden Tierarten sind gefährdet. Einheimische arrangieren sich im Alltag mit den militärischen Gerätschaften und Schießübungen. Aber über das Gesehene sprechen sie lieber nicht.

Deshalb handelt es sich auch um eine nonverbale Videoarbeit. Die bohrenden Fragen, die sich dem Duo gestellt haben, werden auf einem kleineren Screen gegenüber der großen Videoarbeit gestellt: „Is peace a mere utopia?“ „Can a leopard graze?“ „Sheep power or horse power?”: Das Künstlerpaar versteht die Fragen sie als Fußnoten zur Videoarbeit, die zum Nachdenken anregen sollen. 

Umso einprägsamer die Körper- und Zeichensprache, etwa die Hände der Frau im Close-up: Ein rotes Tape zeichnet die Umrisslinie der Hand nach. Über eine lange Sequenz gestikulieren die Hände kunstvoll, sie scheinen einen eigenen Tanz zu vollführen, geben aber auch Befehle. Benera erklärt, dass sie taktische Handsignale aus dem Militär wie etwa „Feuer“, „Stop“, „Rückzug“ übernommen und sie mit fiktiven Gesten kombiniert haben. Vermag die neue Zeichensprache zwischen den Waffen und der Natur zu vermitteln?

An der Außenwand des Showrooms sind sieben geflochtene Skulpturen aus Stroh und Weizenähren angebracht. Sie sind als eigenständiges Werk zu betrachten, gehören thematisch jedoch zur Videoinstallation, haben sie doch die Form ballistischer Raketen. Im Krieg werden Lebensmittel und deren Verknappung immer wieder als Waffe eingesetzt, auch im seit Februar 2022 andauernden russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Lieferengpässe von Getreide aus der Ukraine haben Auswirkungen auf die ganze Welt.

So gelingt es Benera & Estefán, die vielschichtigen und weitgreifenden Verstrickungen militärischen Engagements aufzuzeigen. Ihre Kunstinstallationen kommen ohne Tamtam aus und spiegeln das Wesen der beiden zurückhaltenden, feinsinnigen Künstler:innen wider. Kaum zu glauben, dass diese Präsentation im Showroom des n.b.k. ihre erste Einzelausstellung in Deutschland ist.

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