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Christian Bale (links) spielt den Detektiv Augustus Landor, Harry Melling den Schriftsteller Edgar Allan Poe.

© SCOTT GARFIELD/NETFLIX © 2022 / SCOTT GARFIELD/NETFLIX © 2022

Netflix-Film mit Christian Bale : Gefangene der Vergangenheit

Im Kostüm-Thriller „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ ermittelt ein Detektiv zusammen mit dem Schriftsteller Edgar Allan Poe.

Gleich in der ersten Einstellung, als der Blick in eine nebelverhangene Schneelandschaft fällt, krächzt aus dem Hintergrund ein Rabe. Raben kommen noch öfter vor im Mystery-Thriller „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“, genauso wie schwarze Katzen, die immer wieder durchs Bild huschen.

Raben und Katzen symbolisieren das Unheimliche, und Edgar Allan Poe hat zwei seiner berühmtesten Werke nach ihnen benannt: das Gedicht „Der Rabe“ und die Erzählung „Der schwarze Kater“.

„Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ spielt im eisigen Winter des Jahres 1830 an der amerikanischen Militärakademie West Point. Ein Kadett hat sich erhängt, und jemand hat das Herz aus der Brust der Leiche herausgeschnitten.

Der ehemalige Polizist Augustus Landor, den Christian Bale mit Rauschebart und zerknautschtem Zylinder spielt, soll den Fall aufklären. Bald begegnet er dem jungen Rekruten Edgar Allan Poe, der zwar unbeholfen auftritt, sich aber bei den Ermittlungen als hilfreich erweist.

Blasses Gesicht, hohe Denkerstirn

Der britische Schauspieler Harry Melling verkörpert den Schriftsteller, und seine Ähnlichkeit mit den Bildern, die von Poe überliefert sind, ist frappierend: blasses Gesicht mit hoher Denkerstirn und tiefliegenden Augen, die geradezu glühen, wenn er eigene Verse deklamiert.

Kurz darauf hängt wieder ein toter Soldat ohne sein herausgenommenes Herz an einem Baum. Der Täter, davon ist der schwärmerische Poe überzeugt, „muss ein Poet sein“. Warum? Weil Poeten schon immer das Herz als Sinnbild des Lebens gefeiert haben.

Edgar Allan Poe gilt als Erfinder der Detektivgeschichte. Seine Erzählungen wurden häufig verfilmt, wobei vor allem die Adaptionen des B-Film-Königs Roger Corman von Stoffen wie „Die Grube und das Pendel“ oder „Lebendig begraben“ stilprägend wirkten.

Atmosphäre statt Suspense

Vom grellen Horror dieser Trash-Klassiker ist „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ weit entfernt. Regisseur Scott Cooper, der für sein Drehbuch auf den Kriminalroman „The Pale Blue Eye“ von Louis Bayard zurückgriff, setzt mehr auf Atmosphäre und Ausstattung als auf Suspense.

Immer wieder streift die Kamera durch schneebedeckte Wälder, hinaus auf den Hudson River. Das Blockhaus, in das sich der Landor zurückgezogen hat, könnte einem Western entstammen, es wirkt wie ein Außenposten der Zivilisation. Seine Frau ist gestorben, die Tochter verschwunden, der Detektiv erscheint wie ein Gefangener seiner Vergangenheit.

Gefangene der Vergangenheit

Flashbacks bedrücken ihn, die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit zerfließen. Landor trinkt zu viel, und in seinem Bücherregal finden sich, wie der angehende Schriftsteller bei einem Besuch feststellt, die Gedichte von Poes Vorbild Lord Byron. Poe und Landor sind Außenseiter mit eingeschränkter Alltagstauglichkeit. Poe ist davon überzeugt, dass seine tote Mutter noch immer mit ihm kommuniziert. Mitunter diktiert sie ihm sogar Gedichte.

Scott Cooper, der mit dem Oscar-prämierten Country-Drama „Crazy Heart“ debütierte und zuletzt den Horrorfilm „Antlers“ ins Kino brachte, hat ein klassisches Whodunit-Rätsel inszeniert. Poe selbst bezeichnete seine Geschichten als „tales of ratiocination“. Bei aller vermeintlichen Magie steckt in ihnen ein Geheimnis, das mit rationalen Mitteln aufgeklärt werden muss.

Der Offizier, der die Akademie von West Point leitet (Timothy Spall), glaubt, dass nur ein Verrückter hinter den Todesfällen stecken kann. Bei den Politikern ist die elitäre Offiziersschule umstritten, der zuständige Senator wartet nur auf einen Anlass, um sie zu schließen. Deshalb soll Landor diskret ermitteln und schnell den Mörder fassen.

In die Falle gelockt

In einer Hand des ersten Opfers hatte der abgerissene Teil eines Zettels gesteckt, auf dem sich nur wenige Buchstaben entziffern lassen. Poe gelingt es mit philologischem Gespür, daraus die Verabredung zu einem nächtlichen Treffen zu rekonstruieren.

Der Soldat hatte gehofft, eine Frau zu treffen, und war in eine tödliche Falle gelockt worden. Geheimschriften und okkulte Zeichen tauchen auf, offenbar existiert in der Garnison ein Kreis von Satanisten, die Pierre de Lancre verehren, einen Hexenjäger des 17. Jahrhunderts.

„Die Toten verfolgen uns, weil wir sie zu wenig lieben“, sagt Poe. Der Dichter sollte später in seinem Aufsatz „Philosophy of Composition“ den Tod einer schönen Frau als „unzweifelhaft poetischsten Gegenstand auf der Welt“ feiern.

In „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ verliebt sich Poe tatsächlich in eine todkranke junge Frau (Lucy Boynton), doch der mühsam in Gang kommende Thriller macht aus dieser Liaison nur wenig.

Charlotte Gainsbourg spielt die Wirtin der Garnisons-Spelunke, Robert Duvall einen greisen Theologen. Die Besetzung ist beeindruckend. Aber spannend wird der Film leider erst, als er fast vorbei ist.

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