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Die britische Sängerin Beth Gibbons wurde in den neunziger Jahren mit der Band Portishead bekannt.

© Netti Habel

Neues Album „Lives Outgrown“ von Beth Gibbons: Zurück im folkigen Nachtschattenland

Portishead-Sängerin Beth Gibbons bringt nach 20 Jahren ihr zweites Album unter eigenem Namen heraus. Darauf treffen sich Wohlklang und Melancholie.

Es gäbe so vieles, was man Beth Gibbons gerne fragen würde, wenn man denn die Möglichkeit dazu hätte. Warum, zum Beispiel, hat es mehr als 20 Jahre gedauert, bis nun ihr zweites Album unter ihrem eigenen Namen erscheint, warum macht sie sich so rar?

Zu der Band, mit der sie bekannt und weltberühmt wurde, Portishead, würde man dann analog dazu wissen wollen, warum genau diese es in den letzten 30 Jahren auf nicht mehr als drei Studioalben gebracht hat. Und natürlich: Wird da noch jemals etwas kommen von Portishead?

Doch Beth Gibbons gibt keine Interviews und so hat sie es ihre ganze Karriere über gehalten. Warum sie sich dazu entschlossen hat, nicht wie im Popgeschäft üblich an von der Plattenfirma anberaumten Presseterminen über sich und ihre Arbeit zu reden, das würde man sie auch fragen, wenn man denn könnte.

Aber vielleicht ist es auch ganz gut so, dass man nun nicht überall nachlesen kann, wie die Sängerin über ihre neue Platte mit dem Titel „Lives Outgrown“ denkt und damit deren Interpretation beeinflusst. Denn so bleibt man ein autonomer Hörer, der sich ein komplexes und vielschichtiges Album, wie es „Lives Outgrown“ zweifelsohne ist, selbst erarbeiten muss oder auch darf.

Das Werk löst sich so ein wenig von der Person, der verschwiegenen und geheimnisvollen Beth Gibbons. Von ihm aus versucht man dessen Autorin näherzukommen, auch wenn das am Ende nur Projektionen sein werden und nicht umgekehrt, wie sonst üblich in der Popmusik.

Mutterschaft, Angst und Wechseljahre

Es ist aber auch nicht so, dass Gibbons ganz nach kauziger Bob-Dylan-Manier ihre Platte ohne jede Erklärung dargereicht hätte, damit dann jeder selbst schauen möge, wie er sie rezipiert. Anfang des Jahres gab sie via X bekannt, dass bald ein neues Album erscheinen werde. Sie verkündete außerdem, dass es um Themen wie das Älterwerden aus der Sicht einer Frau Ende 50 gehe. Und um Abschiede von Familie, Freunden und sogar in gewisser Weise von sich selbst.

Themen ihrer Songs seien Mutterschaft, Angst und die Wechseljahre, teilt Gibbons Plattenfirma außerdem mit und diese selbst lässt sich von dieser damit zitieren, dass sie sich in den zehn Jahren, in denen sie an ihrem neuen Album saß, ausgiebig mit dem Tod beschäftigt habe. Es mag also kein Wortlautinterview mit ihr zu ihrer Platte geben, aber sie gibt auf andere Weise überdeutlich preis, dass sie es in der jüngsten Zeit nicht so leicht hatte.

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Dass „Lives Outgrown“ eine ziemlich melancholisch klingende Angelegenheit geworden ist, muss somit niemanden verwundern. Andererseits: Eine himmelhoch jauchzende Beth Gibbons konnte man auch in den 30 Jahren vor ihrem neuen Album nicht erleben. Bereits auf „Dummy“, dem im englischen Bristol entstandenen epochalen Debüt von Portishead aus dem Jahr 1994, sang sie mit ihrer klaren, aber auch zerbrechlich klingenden Stimme, die die ewige Verzweiflung und Traurigkeit im Jazzgesang Billie Holidays in einer ganz eigenen Weise nachempfand.

Der nachtschattige Trip Hop des Trios fühlte sich dadurch noch ein Stückchen kälter an. Und ihr vor 22 Jahren erschienenes Album „Out Of Season“, das sie gemeinsam mit dem Bassisten und Produzenten Rustin Man herausbrachte, war ebenfalls eine durchgehend ruhige Platte, die einen schlagartig grenzenlos wehmütig stimmte.

Dass sie vor ein paar Jahren die Klagelieder der berühmten 3. Symphonie des polnischen Komponisten Henryk Górecki einsang, die sich um den Holocaust drehen, stärkt den Eindruck, dass man von ihr ein auch nur halbwegs fröhlich klingendes Album wohl einfach nicht erwarten sollte.

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Von ihrer Plattenfirma wird „Lives Outgrown“ als ihr erstes Soloalbum überhaupt beworben. Das mag formal stimmen, da auf dem Cover von „Out of Season“ neben ihrem Namen auch der von Rustin Man steht. Aber so ähnlich, wie sie sich damals dabei helfen ließ, aufwendige und streichersatte Arrangements für ihre zarten Songs zu schneidern, tut sie das auch nun wieder.

Nur dass die entsprechenden Credits jetzt im Kleingedruckten zu finden sind. Unter anderem wird dieses Mal als Co-Produzent ein gewisser Lee Harris genannt. Der war einst Drummer der britischen Band Talk Talk, also in genau der Combo, in der Rustin Man einst den Job als Bassist innehatte.

Dass Beth Gibbons den späten Talk-Talk-Sound schätzt, Pop an der Grenze zur klassischen Kammermusik, exzentrisch und ungemein betörend, das hört man beiden Platten auch an. Auf den Songs von „Lives Outgrown“ werden die Drums sachte betupft, Flötentöne erklingen, dazwischen, nur für kurze Momente, jazzige Bläser.

Man hört, dass in den letzten zehn Jahren wirklich sehr viel an den Songs herumgetüftelt worden sein muss. Dass versucht wurde, außergewöhnliche Klänge zu erzeugen, und sei es dadurch, dass die Saiten eines Pianos an einer Stelle mit Löffeln bearbeitet wurden. Und doch, dank der folkig klingenden Akustikgitarre, die das dominierende Instrument auf diesem Album ist, muss hier niemand ein etwas angestrengt wirkendes Avantgarde-Album befürchten, sondern man bekommt eine Platte voller Wohlklang.

An deren Ende fröhliches Vogelgezwitscher zu hören ist. Und die damit verbundene zuversichtliche Message: Auch nach all den Abschieden, die man hinter sich hat, werden die Vögel weiterhin von den Bäumen pfeifen.

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