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Kevin Kuhn (Schlagzeug), Julian Knoth (Bass und Gesang) und Max Rieger (Gitarre und Gesang) sind Die Nerven.

© picture alliance/dpa/Glitterhouse

Neues Album von Die Nerven: Schutt und Asche

Die Nerven zählen zu den aufregendsten deutschen Bands. Ihr neues Album feiert die Lust am Krach.

Ein schwarzer Hund vor schwarzem Hintergrund schmückt das Cover des neuen Albums von Die Nerven. Und gleich im ersten Song geht es ums Sterben, während ganz am Ende erneut der Tod thematisiert wird und die Vergänglichkeit der Dinge. Düster oder zumindest melancholisch klang die Band aus Stuttgart, die inzwischen zu zwei Dritteln in Berlin angesiedelt ist, schon immer. Aber so mächtig und opulent und auch mal mit Streichern zwischen turmhohen Gitarrenwänden, hat man sie noch nicht vernehmen können bei ihren Grübeleien über den Zustand der Welt.

Und wenn man Tocotronic, deren letztes Album “Nie wieder Krieg” hieß, bereits attestieren konnte, ein Thema vorausgeahnt zu haben, das erst nach dessen Veröffentlichung wieder so richtig dringlich wurde, kann man nun auch den Nerven zugestehen, ein gutes Sensorium für sich anbahnende Stimmungen zu haben.

„Europa“, so der Titel der Einstiegsnummer in das neue Album, lässt gleich mit der Textzeile im Refrain aufhorchen: „Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie.“ Man kann gar nicht anders, als diese Worte als Kommentar zum Krieg in der Ukraine zu deuten. Die Band, die man zum Gespräch in einer Kneipe in Friedrichshain trifft, versichert jedoch, das Stück bereits 2019 geschrieben zu haben, also sogar noch vor Corona.

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Max Rieger, Sänger und Gitarrist der Band, betont, „Putins Angriffskrieg“ hätte man sich thematisch auch sicherlich anders genähert als in der Form, die nun auf „Europa“ zu hören ist. Der Song würde eher die Eindrücke verhandeln, die der islamistische Terroranschlag 2015 auf die Konzerthalle Bataclan in Paris bei ihm hinterlassen hat.

„Es ist ja nicht so, dass das Sterben neu in der Welt wäre“, sagt er, „aber der Anschlag auf das Bataclan war der erste, der uns so richtig in unserer Lebensrealität getroffen hat. Das war ein Terroranschlag in einer Venue, in der wie auch spielen könnten, was die Größe angeht. Und das, während da eine Band auftrat, die nicht einmal besonders politisch, sondern einfach nur eine Rockband war.“

Die Nerven machen also klar, dass sie keine Propheten sind. Tod und Vernichtung waren schon vor dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine an anderen Orten dieser Erde zu finden. Auch die Textzeile „verbrannte Erde, verbrannte Städte, verbranntes Geld“ in der Nummer „Alles reguliert sich selbst“ mag sich wie die passende Zusammenfassung der aktuellen Lage im Donbass anhören, ist demnach aber viel universeller zu interpretieren.

Die Nerven – Achtung, blödes Wortspiel! - treffen einen Nerv. Von Beginn an, als sich 2010 zuerst Max Rieger mit Bassist und Co-Sänger Julian Knoth zusammentat, bevor dann zwei Jahre später Drummer Kevin Kuhn hinzustieß und die erste Platte veröffentlicht wurde. Es brauchte nicht lange, bis sich selbst bis ins ewig skeptische Berlin herumsprach, dass die aufregendste neue junge Rockband nicht etwa aus Kreuzberg oder wenigstens St. Pauli, sondern aus Stuttgart kam, der Stadt der Kehrwoche und der nervigen Schwaben, die im Prenzlauer Berg beim Bäcker nicht Schrippen, sondern Wecken verlangen.

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Die Nerven schlugen bald überall ein, bei der Popkritik, die aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam, dass eine Band, die so erruptiven Noiserock mit Anleihen an Punk, Hardcore, Grunge und Metal zusammenzubasteln vermag, ausgerechnet aus Benztown stammt. Und bei einem Konzertpublikum, das der Band attestiert, live alles in Schutt und Asche legen zu können.

Jedes ihrer bisherigen vier Alben war dann ein weiterer Schritt nach vorne. Jedes war noch ein Stück fetter produziert als das vorherige und inzwischen ist die Band ein Fall für die Top Ten der Charts und genießt gleichzeitig immer noch den Ruf, hundertprozentig indie und kompromisslos zu sein wie am ersten Tag.

Und nun also Album Nummer fünf, der bisherige Höhepunkt, der die Lust am Krach, der die Band von Beginn an begleitet, und den Willen zum Pop und zur großen Melodie, nicht mehr als Widerspruch verhandelt, sondern beides miteinander verschmelzen lässt. Das Album hat keinen Titel, heißt also so, wie die Band selbst.

Was man als Fingerzeig deuten könnte, dass die Gruppe glaubt, endlich zu sich selbst gefunden zu haben. Die Nerven selbst sagen aber, man könne es auch als ihr „schwarzes Album“ bezeichnen und damit als augenzwinkernden Verweis auf Metallicas „Black Album” verstehen, kommerzieller und für viele auch künstlerischer Höhepunkt der Band (Was Kuhn freilich anders sieht, der meint, die eigentlich eher ungeliebte darauffolgende Platte “Load” sei viel besser.)

Dass das neue Werk so organisch klingt, ist eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Kuhn und Rieger inzwischen in Berlin leben, Knoth aber immer noch in Stuttgart. Und die einzelnen Bandmitglieder immer mehr ihrer Zeit weiteren Musikprojekten widmen. Kuhn sagt: „Ich habe nebenbei noch ein paar so verspulte Indiebands hier und da.“

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Knoth wiederum versucht sich unter anderem mit dem Peter Muffin Trio an No Wave und Jazz. Und Max Rieger löste solo mit All diese Gewalt ein großes Echo aus, macht als Obstler astreinen Blackmetal mit Kreischgesang und gilt inzwischen als Starproduzent, der für nischige, aber zunehmend erfolgreiche Acts wie Drangsal oder Jungstötter gearbeitet hat.

Man hat es also mit drei unterschiedlich gepolten Musikern zu tun, die es aber immer noch schaffen, als gemeinsame Band zur unverwüstlichen Einheit zu verschmelzen. Und diese voranzutreiben und weiterzuentwickeln, weil jeder für sich musikalisch nicht irgendwo stehen bleiben möchte. Knoth sagt: “Jeder von uns drei mag unterschiedliche Musik und bringt andere Einflüsse mit rein in die Band, so gibt es nie Stillstand und Festlegung auf einen bestimmten Stil.”

Von einem bestimmten Stil, Genre und den ewig gleichen Referenzen will die Band sowieso nichts wissen. Rieger erklärt: „Wir haben uns nie im Proberaum getroffen und gesagt, wir wollen diese oder jene Art von Musik machen. Sondern wir haben uns immer getroffen, um einfach nur Musik zu machen. Und das ist schon ein Unterschied.“

Viel wichtiger, als hier mal zu versuchen, wie At The DriveIin oder dort mal wie Sonic Youth zu klingen, sei immer gewesen, gemeinsam “Druck abzulassen.” Und fügt hinzu: “Man darf bei uns seinen Frust mitbringen und in Energie umwandeln, in gute Energie.”

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