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Agathe (Adèle Exarchopoulos) lässt sich von der Unberechenbarkeit des egomanischen Tomas (Franz Rogowski) hinreißen.

© Mubi

„Passages“ im Kino: Ein Leben aus Übergangsmomenten

Ira Sachs untersucht mit seinen Filmen die Bindekräfte zwischenmenschlicher Beziehungen. In „Passages“ spielen Franz Rogowski und Ben Whishaw ein Paar, das weder mit- noch ohne einander kann.

Was Ira Sachs auf die Idee brachte, seinen Protagonisten Tomas mit dem Nachnamen Freiburg auszustatten, scheint naheliegend. Womöglich hat der Name für einen New Yorker ja wirklich den Klang von Ungebundenheit und Entfaltungsdrang – nicht unpassend für eine Figur, die die Sicherheiten einer langjährigen Beziehung verlässt, um vorübergehend anderen Anziehungskräften zu folgen.

Dass Sachs ausgerechnet die deutsche Fahrradstadt gewählt hat, ist dagegen wohl eher ein schöner Zufall. Denn tatsächlich wird in „Passages“ ein Rennrad zum Vehikel einer anhaltenden Rast- und Ziellosigkeit. Mehrfach sieht man den in Paris lebenden Filmemacher (Franz Rogowski) damit zwischen den Wohnungen von Ehemann und neuer Liebe hin- und herfahren und mal nachdenklich, mal getrieben in die Pedale treten. Er trägt das sperrige Ding sogar ständig treppauf, treppab.

Eine Treppenszene steht auch am Anfang des Films, der wiederum den letzten Drehtag von Tomas‘ Film „Passages“ zeigt. Pampig korrigiert der deutsche Auteur einen Darsteller, der in seinen Gang zu viel Drama hineinlegt – „This is just a transition moment!“ Noch in der gleichen Nacht schläft Tomas, der mit Martin (Ben Wishaw) verheiratet ist, mit der Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos). Die Affäre verschiebt nicht nur die Begehrensverhältnisse, sondern produziert dabei auch neue Wege. Passagen eben.

Begehrensobjekte, die abhängig machen

Seit seinem fiebrigen Debut „The Delta“ von 1997 sind die Arbeiten des schwulen Filmemachers Ira Sachs von Übergängen getragen: Bewegungen in Zeit und Raum sowie die Destabilisierung fester Konstellationen geben Rhythmus und Erzählrichtung vor. Zentrales Handlungsfeld seiner Geschichten ist meist die verbindliche Liebesbeziehung zwischen Männern. Sachs‘ Interesse gilt vorwiegend den Spannungsverhältnissen zwischen Gebundenheit und Verbindlichkeit – sowie jenen Kräften, die diese aus der Balance bringen und gefährden.

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In der autofiktionalen Beziehungschronik „Keep the Lights On“ (2012), einem der schönsten Filme des queeren Kinos der letzten fünfzehn Jahre und Auftakt der Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Mauricio Zacharias, ist das Begehrensobjekt, das sich in eine Paarbeziehung drängt, die Droge.

Sie treibt den cracksüchtigen Paul und seinen ko-abhängigen Partner Eric auseinander, bindet sie aber gleichzeitig auf fatale Weise aneinander. Die mit etwas größeren Produktionsmitteln entstandenen Filme „Love is Strange“ (2014), „Little Men“ (2016) und „Frankie“ (2019) widmen sich anderen Phasen des bürgerlichen Zusammenlebens – dem Alter und der Jugend – und einem erweiterten, zum Teil auch mehrgenerationellen Beziehungsgeflecht.

Mit „Passages“ knüpft Ira Sachs rund eine Dekade später an die Intimität von „Keep the Lights On“ an. (Der anstehende Film über den Fotografen Peter Hujar, wieder mit Whishaw, verspricht ebenfalls einen persönlicheren Ton.) Dabei nimmt er auch die Fäden zum französischen Autorenkino wieder auf, die in dem berührenden Drama bereits anklangen – etwa in Form der dahin getuschten Erzählweise und der Aufmerksamkeit für das Vergehen von Zeit.

Ähnlich wie in den Arbeiten von Maurice Pialat, wenn auch ohne dessen schroffen Wechsel – Sachs nennt vor allem „Der Loulou“ mit Isabelle Huppert und Gérard Depardieu als Referenz –, bewegt sich die Handlung fließend von Szene zu Szene, von Moment zu Moment. „Passages“ steht dabei einem Kino nah, das sich auch als Zusammenspiel von Körpern in Räumen beschreiben ließe.

Sex haben, gleichzeitig Grenzen markieren

Die Wohnung als Ort, in dem man sich als Paar einrichtet und organisiert, in der man sich behaust fühlt oder fremd, allein oder zusammen, ist Rahmen und Umfeld, in dem die Körper von Tomas, Martin und Agathe aufeinandertreffen. Reden, Sex haben, die Nähe des anderen suchen oder Grenzen markieren. Die Kamerafrau Josée Deshaies, bekannt vor allem durch ihre Arbeiten mit Bertrand Bonello, filmt sie meist aus der Halbdistanz. Türschwellen und angrenzende Räume vermessen Distanzen, mitunter vermag schon der Wechsel vom Wohn- ins Schlafzimmer die Verhältnisse neu zu sortieren.

Ben Whishaw (links) und Franz Rogowski in „Passages“.

© Mubi

Die private Sphäre signalisiert aber auch Milieuzugehörigkeit und Distinktion. Das Bohème-Apartment des Ehepaars ist – ebenso wie die ausgewählte Garderobe (Tomas trägt gerne Teddyfelljacke, engansitzende Crop Tops und grobmaschige Strickpullis) – vom Bücherstapel bis hin zur Espressotasse sorgfältig kuratiert.

Den Raum, den sich der narzisstische, bei aller Strahlkraft nicht unbedingt sympathische Künstlertyp Tomas nimmt und in dem er seine widersprüchlichen Bedürfnisse – Geborgenheit, Support, Aufregung, schwules und heterosexuelles Begehren – auszuleben beansprucht, wird ihm auch filmisch zugestanden. Diese Zentrierung zieht aber auch Schwächen nach sich.

Martin und Agathe verlieren, sobald sie Tomas‘ Gravitationsfeld verlassen und eigenständig agieren, erheblich an Kontur. Erst in einer berührenden Szene am Ende wachsen sie zu lebendigen, kompletten Charakteren. Tomas hat indessen die Koordinaten des Dreiecks so oft verschoben, bis die geometrische Figur zerfällt. Zuletzt scheint ihm nur noch das Fahrrad zu bleiben – und die Existenz in einem langen transition moment.

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