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Marcel Proust

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Proustbetrieb: Der Nachlassfund des Schriftstellers im Nachlass des Forschers Bernard de Fallois

Die „75 Blätter“, die Proust 1908 schrieb, gelten als Ursprung der „Suche nach der verlorenen Zeit“. Jetzt erscheinen sie auch auf Deutsch.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Als der große Proust-Forscher Bernard de Fallois 1954 aus dem Nachlass des Schriftstellers erstmals dessen Essay „Contre Saint-Beuve“ veröffentlichte, eine sehr stringent wirkende Version, erwähnte er im Vorwort Manuskripte, die Proust 1908 nach seinem liegen gelassenen Romanversuch „Jean Santeuil“ „als ältesten Textzustand der ,Recherche’ geschrieben“ hatte.

Sie belegten, „dass Proust, diesmal in persönlicher Form, einen neuen Anlauf mit seinem Roman genommen hat, noch bevor er sich an ,Sainte-Beuve’ machte.“ Fallois spricht von einem „Fonds“, aus dem Proust in Folge immer wieder „geschöpft“ habe.

Dann aber verschwanden die 75 Blätter, blieben verschollen, trotz intensiver Recherchen mehrerer Forschergenerationen, wurden zu einem sagenumwobenen Mysterium - und fanden sich schließlich im Nachlass von Bernhard de Fallois, der 2018 verstarb: 43 große Doppelbögen in fünf Plastikhüllen, aufbewahrt in einem bordeauxroten kartonierten Aktenordner.

Das Geheimnis von Bernard de Fallois

Was Fallois bewogen haben mag, sie einfach daliegen zu lassen, ohne jemand davon in Kenntnis zu setzen (er wusste doch sicher von der Suche vieler Proust-Manicas)? Ob er sie als Schatz empfand, der ihm zustand? Ob es Vergesslichkeit war, vielleicht doch die Unübersichtlichkeit von Prousts überbordenden Nachlass? All das bleibt nach seinem Tod das Geheimnis von Fallois.

Der Nachlass aus dem Nachlass ist nun in der Welt, und nach der Veröffentlichung 2021 in Frankreich zu Prousts 150. Geburtstag gibt es jetzt bei Suhrkamp eine deutsche Ausgabe mit Vorworten des Proust-Biografen Jean-Yves Tadie und von Jürgen Ritte sowie einem großartig instruktiven Nachwort der französischen Proust-Forscherin und „75-Feuillets“-Herausgeberin Nathalie Mauriac. Jenes, schreibt Ritte, führe „in den Maschinenraum der ,Recherche’“.

Dazu kommen weitere, zum Teil bekannte frühe Manuskripte, die die aus sechs Kapiteln bestehenden 75 Blätter mit den Titeln „Ein Abend auf dem Land“, „Die Seite von Villebon und die Seite von Meséglise“, „Aufenthalt am Meer“, „Junge Mädchen“, „Adelsnamen“ und „Venedig“ ergänzen. Das Schöne daran: Alles ist bekannt, und doch liest es sich wie neu, wie das erste Mal. Allein die Ruskin-Bücher, die Prousts Erzähler in der Venedig-Passage immer mit sich führt!

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