zum Hauptinhalt

Kultur: PW

Das Wissenschaftskolleg erinnert an Wapnewski.

Picasso habe einmal zu einem Interviewer, der ihn nach seiner Kunst fragte, gesagt: „Gespräche mit dem Piloten sind verboten.“ Die Anekdote erzählt Wolf Lepenies und fügt an diesem Montagabend im Berliner Wissenschaftskolleg hinzu: „Peter Wapnewski ist immer ins Cockpit gegangen.“

Es ist ein Abend, an dem Deutschlands noch immer exquisitester Ort der Wissenschaften seines kurz vor Weihnachten mit 90 Jahren gestorbenen Gründungsrektors gedenkt. 1980 hatte der damalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz den nach allerlei 68er-Unruhen von der Freien Universität nach Karlsruhe abgewanderten Peter Wapnewski zurück nach West-Berlin berufen: um am Rande des Grunewalds eine im Nachkriegsdeutschland völlig neue Institution zu begründen, nach dem Vorbild des Institute for Advanced Study in Princeton bei New York.

Wolf Lepenies, von 1986 bis 2001 Wapnewskis Nachfolger in der Leitung des Kollegs, und der Freiburger Literaturwissenschaftler Uwe Pörksen erinnerten nun an Wapnewski alias „PW“. Erinnerten auch an die Gründungsmythen des Wissenschaftskollegs, zumal als Brückenschlag hin zu den Geistern des vom Naziterror erzwungenen Exils – und hinüber auch zu den noch durch Mauer und Eisernen Vorhang abgeschnittenen Wissenschaftlern des europäischen Ostens. Natürlich war so vom berühmtesten unter den ersten Fellows des Kollegs die Rede, von Gershom Scholem.

Der berühmte Religionshistoriker kam im Oktober 1981 aus Jerusalem auf besondere Initiative Wapnewskis als Gast des Wissenschaftskollegs in seine Geburtsstadt Berlin zurück. Uwe Pörksen, selber ein Fellow des ersten Jahres, erwähnte, dass israelische Forscher und Polen zusammen etwa die Hälfte der damals 18 (heute meist 40) berufenen Fellows ausmachten, im selben Herbst 1981, als in Warschau kurz darauf Jaruzelskis Kriegsrecht-Diktatur begann.

Mitten im ummauerten, sozialdemokratisch egalitär, kleinbürgerlich oder nachachtundsechzigerhaft salopp geprägten West-Berlin kreierte Wapnewski eine auf Stil, Geisteselite (und Avantgarde) erpichte „Royaldemokratie“, so Lepenies. „Sie haben hier keine andere Aufgabe als die, die Sie sich selbst stellen“, war laut Pörksen Wapnewskis Anspruch an Freiheit und Selbstverantwortung der als Fellows geladenen Wissenschaftler. Das wird so bis heute bewahrt.

Dieses Heute versank am Montagabend allerdings ganz im Vergangenen. Luca Giuliani, der jetzige Rektor des Kollegs, erwähnte zur kurzen Begrüßung, dass die gegenwärtigen Fellows inzwischen meist erst nach dem Mauerfall geboren seien. Doch in die Zukunft wies nichts, kaum jüngere Gesichter im vollen Haus an der Wallotstraße. Auch keine Politik von heute. Es ging um einen der größten Köpfe des Landes, aber gibt es noch eine Ministerin Dr. Schavan, und wer repräsentiert gerade die Berliner Bildungspolitik? Man könnte auch über die Macht und Ohnmacht der öffentlichen Rede sinnieren, in Erinnerung an den Spiritus Rector und Rhetor Wapnewski. Lepenies, der ihm als einer der wenigen darin nicht nachsteht, meinte: „Dass PW öfter das Wort ergriff, ist nicht richtig. Denn kein Wort floh vor ihm.“ Alter Esprit, jetzt Witz und Wehmut.

Nur Nachrufe. Aber es gibt ja als frischen Klang bis heute noch seine Stimme. Im Wagner-Jahr hat der Hörverlag soeben Wapnewskis wunderbaren Kommentar zu „Tristan und Isolde“ neu aufgelegt, der Wilhelm Furtwänglers legendäre Aufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra von 1952 begleitet, mit Kirsten Flagstad und Dietrich Fischer-Dieskau.

Richard von Weizsäcker hatte einmal angemerkt, Wagner wird erst durch Wapnewski erträglich. Dem hätte PW als Wagner-Liebhaber widersprochen, doch das Bonmot genossen. Peter von Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false