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James Ellroy

© Imago

Thriller "Allgemeine Panik": Reue zeigen nur Verlierer

James Ellroy wurde mit seinen Romanen über die Polizei von L.A. berühmt. Nun porträtiert er sie in „Allgemeine Panik“ noch einmal als kriminelle Organisation.

Die Bühne ist ein Korridor neben den Zellen der Mordkommission von Los Angeles. Das Jahr: 1953. In dem Café Nite Owl sind sechs Menschen beraubt und erschossen worden, der Polizeichef will der Öffentlichkeit schnell die Täter präsentieren. Man hat drei junge Schwarze festgenommen und in drei kleine Verhörkabinen gesetzt.

Durch einen durchsichtigen Spiegel können die Polizisten zusehen, wie ein Kollege die Männer verhört. Er gibt sich jovial, spricht einen Verdächtigen als „mein Sohn“ an, redet über Jugendstrafen und Boxkämpfe. Bis er irgendwann droht: „Es geht um Deinen Kopf, Du landest in der Gaskammer.“

Drohung mit der Gaskammer

Dann drückt er einen Knopf unter dem Tisch und die Kumpel des In-die-Mangel-Genommenen können per Lautsprecher zuhören, wie sie verpfiffen werden. Waffenbesitz, Vergewaltigung. Allerdings bleibt der Mann bei seiner Aussage: „Wir haben niemanden umgebracht!“ Verurteilt werden sie trotzdem. Dass sie mit den Morden nichts zu tun haben, ist egal.

Zur Kunstfertigkeit des Kriminalschriftstellers James Ellroy gehört, dass er auf wenigen Buchseiten ein Verhör zu einem Drama machen kann, in dem sich neben Angst und Wut auch der Rassismus einer ganzen Ära verdichtet. In „L.A. Confidential“, dem 1990 erschienenen dritten Teil seiner Tetralogie über das Los Angeles Police Department (LAPD), zeigt sich die Polizei als korrupte, in weiten Teilen kriminelle Organisation. Berühmt wurde die Verhörszene spätestens durch die Hollywood-Verfilmung von Curtis Hanson.

Dreißig Jahres danach hat Ellroy – inzwischen 74 Jahre alt – wieder einen Roman geschrieben, der noch einmal tief eintaucht in den LAPD-Sumpf. „Allgemeine Panik“ knüpft mehr oder weniger direkt an „L.A. Confidential“ an. Zu den tragenden Nebenfiguren dort zählte Sid Hudgens, ein schmieriger, im Film von Danny DeVito verkörperter Reporter, der im „Hush-Hush Magazine“ Sexskandale von Hollywoodstars aufdeckt, sich aber noch lieber mit Bestechungsgeld davon abhalten lässt.

Wirklichkeit und Fiktion bilden bei Ellroy eine komplizierte, kaum voneinander zu trennende Einheit. Das „Hush-Hush Magazine“ hat genauso existiert wie das Boulevardblatt „Confidential“, das in „Allgemeine Panik“ an dessen Stelle tritt. Als Ich-Erzähler fungiert der phantasiebegabtester Mitarbeiter des Schmierblatts, Fred Otash, der anders als Hudgens tatsächlich gelebt hat. Der Reporter und Ex-Polizist beim LAPD soll bereits Jack Nicholson als Vorbild für den Schnüffler gedient haben, der sich im Kinoklassiker „Chinatown“ eine blutige Nase holte.

In „Allgemeine Panik“ spricht Freddy Otash aus dem Jenseits, dem unangenehmen Teil davon. Seit 28 Jahren schmort er in der Hölle, er sitzt in Zelle 2607 des „Perversen-Purgatoriums“, und weil die Dinge dort offenbar ähnlich geregelt werden wie in einem Gefängnis, kann er daraus hoffen, freizukommen (ergo in den Himmel), wenn er seine Missetaten gesteht und bereut. Zwar sagt er: „Bereuen ist was für Schlaffis und Verlierer“, aber dann beginnt er zu erzählen, mehr als 400 Seiten lang, in einer großen egomanen Rückschau, die von 1949 bis 1960 im Ellroy-Terrain spielt, einer von den Obsessionen und Spiegelfechtereien des Autors überwucherten Zweitversion von Los Angeles.

Todesstrahlen aus Pompeji

„L.A. sah aus wie Pompeji nach dem Erdbeben. Die Sommersonne fraß den Himmel und schickte Todesstrahlen nach unten.“ Klingt wie eine Endzeitvision, könnte aber auch das Ergebnis vom Drogenkonsum des Ich-Erzählers sein, der den Genuss seines Lieblingswhiskeys Old Crown gern mit dem Aufputschmittel Dexedrin kombiniert. Unter Strom steht er ständig.

Oft glaubt Otosh, in eine Riesenameise verwandelt worden zu sein, wie in einem Roman von William S. Burroughs oder in einem B-Film des Science-Fiction-Regisseurs Jack Arnold. Los Angeles scheint in den fünfziger Jahren eine Stadt zu sein, die in ständigen und direkten Austausch mit der Zukunft steht. Gleich mehrfach werden auf Bungalow- oder Hoteldächern Nukleartest-Partys gefeiert, bei denen die Gäste nach dem Countdown aus dem Radio („vier-drei-eins – Zündung“) ergriffen auf den Atompilz starren, der im Himmel über der Wüste von Nevada aufsteigt.

Um an Material für seine nach schlüpfrigen Enthüllungen dürstende Leserschaft zu kommen, ist Otash jedes Mittel recht. Er verwanzt Wohnungen, schneidet Anrufe mit, setzt Techniken der Spurensicherung ein, um Fingerabdrücke an kompromittierenden Orten zu platzieren. Je nach Laune kann er drohen, schmeicheln oder zum Totschläger greifen.

Otash sieht sich als „Schamane der Schande“ und „Skakedown-König“, Großmeister der Erpressung. Nur zwei Dinge würde er niemals tun, versichert er, als er einen Vertrag mit dem Schund-Verleger abschließt: „Einen Mord begehen oder für Kommunisten arbeiten“. Je schmutziger die Schlagzeile, umso besser. Die verkaufte Auflage verachtfacht sich. „Confidential zeigte Kante. Confidential trat auf Zehen. Confidential legte los.“

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Den (Lynch-)Mord hat Otash bereits hinter sich. Es war eine Hinrichtung im Auftrag von Kollegen aus dem LAPD, vollzogen an einem Einbrecher, der auf einen Polizisten geschossen hatte. Otash sollte ihn von einem Krankenhaus ins Polizeipräsidium überführen, Ellroy beschreibt den Vorgang im klassischen Vokabular des Hardboiled-Thrillers: „Ich zog meinen Dienstrevolver und schoss ihm in den Mund. Seine Zähne explodierten. Er stürzte zu Boden. Ich drückte ihm die Belastungswaffe in die Rechte.“ Reue kennt Otash nicht wirklich, aber er lässt der Witwe regelmäßig Geld zukommen. Als sie ermordet wird, setzt er alles daran, den Täter zu finden. Fast beginnt man, ihn zu mögen.

James Ellroy ist bekannt für seine Stakkato-Sätze, den treibenden Sound seiner Romane. Seit den frühen, konventionell erzählten Thrillern um den Polizeidetektiv Lloyd Hopkins und den handlungsstarken LAPD-Historienkrimis sind seine Bücher immer exzentrischer und ausschweifender geworden.

Fred Otash in „Allgemeine Panik“ ist die Karikatur eines unzuverlässigen Erzählers, ein Aufschneider mit monströsem Ego und unendlichem Mitteilungsdrang. Außerdem besitzt er, wie viele von Ellroys Helden, einen Hang zu Machosprüchen, Homophobie und rassistischen Stereotypen. Womit er sich als durchschnittlicher weißer Mann der Nachkriegzeit erweist.

[James Ellroy: Allgemeine Panik. Roman. Aus dem Englischen von Stephen Tree. Ullstein Verlag, Berlin. 432 Seiten, 26 €.]

Die Vergangenheit wirkt in Freddys Erzählungen auf beängstigende Weise genauso hyperreal wie die Gegenwart. Man muss teuflisch aufpassen, um kein Detail, keinen Namen zu verpassen. Die Lektüre gleicht einem Geisterbahnfahrt, vorbei an immer neuen gespensterhaft vertrauten Gestalten. Otash nimmt James Dean als Ladendieb fest und macht ihn zu seinem Spitzel. Er hat Sex mit Liz Taylor, vermittelt Heiratskandidatinnen an Rock Hudson, dessen Homosexualität nicht publik werden soll, nimmt den Leoparden des Pianisten Liberace in Pflege.

Für John F. Kennedy, zu der Zeit Senator, besorgt er Drogen und Callgirls. An JFK, der Kubakrise und der Mafia hatte sich Ellroy schon in seinem 800-Seiten-Opus „Ein amerikanischer Thriller“ abgearbeitet.

Mit „Allgemeine Panik“ beweist Ellroy noch einmal seine Qualitäten als Chronist amerikanischer Abgründe. Es ist ein Höllentrip ohne Happyend.

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