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Wilhelm Furtwängler dirigiert 1940 die Berliner Philharmoniker. Vier jüdische Orchestermitglieder hatten sich gezwungen gesehen, Deutschland bis 1935 zu verlassen.

© Getty Images

Roman „Requiem“ von Karl Alfred Loeser: Flaschenpost aus beklemmenden Zeiten

Karl Alfred Loeser erzählt in seinem Roman „Requiem“, wie ein jüdischer Musiker im NS-Deutschland drangsaliert wird. Dass sein Buch nach 90 Jahren erstmals veröffentlicht wird, ist eine kleine Sensation.

Gerade hat der Solist den Bogen abgesetzt, sein Körper verharrt noch einen Moment gebeugt über das Cello, sekundenlang herrscht Stille. Bis der Beifall losbricht. Klatschend springen Zuhörer auf, man ruft „Bravo“. So beginnt die Geschichte, mit einem Triumph für Fritz Eberle. Allerdings handelt es sich nur um das Konzert einer Musikschule, die von seinem Onkel geleitet wird, einem ehemaligen Militärmusiker.

Fritz, obwohl still und denkfaul, ragt dort heraus. In der Bäckerei seines Vaters ist der ungeschickte junge Mann nicht zu gebrauchen. Aber immer, wenn er musiziert, wird der Mutter „so seltsam zumute“. Und der Vater sagt, wenn sein Sohn schon ein Künstler ist, dann soll er „auch etwas davon haben“.

Keine Frage, Fritz Eberle, der schon mal in einer Bierstube Schumanns „Träumerei“ gespielt hat, muss Berufsmusiker werden. Am besten im städtischen Orchester, wo – wie sich der Bäckermeister wundert – noch immer Juden beschäftigt werden. Wie kann das sein, „wenn es genug Begabte unter uns gibt?“

Damit nimmt in Karl Alfred Loesers Roman „Requiem“ das Unheil seinen Lauf. Das Buch spielt Mitte der Dreißigerjahre. Bald darauf hat Loeser es auch geschrieben, und weil es nun zum ersten Mal veröffentlicht wird, wirkt es wie eine Flaschenpost aus immer beklemmender werdenden Zeiten. Schauplatz ist eine westfälische Stadt, abgekürzt mit D. (wie Dortmund?). Genaugenommen gibt es am dortigen Orchester nur einen Juden, Erich Krakau, ehemaliger Frontsoldat und Cellist mit internationalem Renommee. Seine nichtjüdische Ehefrau Lisa ist hochschwanger.

Die bissige Ironie, mit der Loeser Figuren charakterisiert, erinnert an den Spießer-Spott in Heinrich Manns Romanen „Professor Unrat“ und „Der Untertan“. Für die Karriere kann eine Uniform nützlich sein. Fritz ist in der SA. Nachdem seine Kameraden ihn bei einem abgekarteten Rendezvous mit einem Schankmädchen bloßgestellt haben, trat „ein flackernder Glanz in seine Augen“ und er „begann zu hassen“.

Der Möchtegernvirtuose lässt sich auf einen teuflischen Pakt mit dem windigen Journalisten Wendt ein, der mit Skandalgeschichten hausieren geht und Kompromittierte erpresst. Wenn es ihm gelingt, Eberle ins Stadtorchester zu hieven, soll er die Hälfte von dessen Gage bekommen.

Die Bedrohung wächst, aber der Bedrohte braucht lange, bis er das erkennt. Es werde „viel erzählt und viel übertrieben“, sagt Krakau. Man müsse nicht gleich die Flucht ergreifen. Der Cellist hat sein Leben der Musik gewidmet, Politik interessiert ihn wenig. Als Gegenfigur fungiert Doktor Spitzer, sein jüdischer Hausarzt. Er macht sich keine Illusionen über die Nazis und will „lieber ein Schweinehirt sein in einem Land, wo ich frei atmen“ kann, als dort zu bleiben, „wo mich Hass und Gemeinheit verfolgen und man mir nicht die Luft zum Leben gönnt“.

Das Buch begleitet ihn und seine Familie in die Emigration nach Paris und Amsterdam. Arbeiten kann er dort kaum, die Armut wächst und viele Schicksalsgenossen kreuzen seinen Weg, „wieder auf Wanderung“. Das Leben der Emigranten, schreibt Spitzer in einem Brief, sei „von allem das Bitterste“. Anna Seghers hat in ihrem Roman „Transit“ ähnliche Geschichten über Menschen im ewigen Wartestand erzählt.

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Freilich glückt die Flucht aus Deutschland nur in letzter Sekunde. Wegen angeblicher Steuerschulden wird der Arzt verhaftet, durch eine List von Krakau kommt er noch einmal frei und schafft es auf Umwegen zum Bahnhof. „Requiem“ ist streckenweise ein Thriller, vorangetrieben von Suspense-Szenen.

Loeser gelingt es, ein multiperspektivisches Bild vom Alltag in der Diktatur zu zeichnen. Da versichern der Theaterdirektor und die Musikerkollegen Krakau zunächst großmäulig ihre Unterstützung, „wir alle stehen hinten Ihnen!“ Doch als der Druck wächst, duckt sich einer nach dem anderen weg. Nur der Pianist hatte schon zuvor gestanden, „im Prinzip“ gegen Juden zu sein, was aber nicht persönlich gemeint sei.

Da mobilisiert der Strippenzieher Wendt Parteihierarchen und lanciert im Hetzblatt „Der Vorposten“ eine Kampagne gegen Krakau. Die Lage eskaliert bei einem Brahms-Konzert, das von der SA gestürmt wird. Der Cellist will sich den Randalierern entgegenstellen und wird von der Polizei in „Schutzhaft“ genommen. Er landet im „Judenkäfig“, einem Kellerverlies, in dem Unliebsame buchstäblich in der Versenkung verschwinden. Lisa, seine tapfere Gattin, setzt alles daran, ihn zu finden und zu befreien.

Die Geschichte, wie „Requiem“ mit jahrzehntelanger Verspätung ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, ist abenteuerlich. Karl Alfred Loeser, 1909 in Berlin geboren, war seinem älteren Bruder Norbert Loeser, einem Komponisten und Musikkritiker, 1934 ins Exil nach Amsterdam gefolgt. Dort lernte er seine Ehefrau Helene kennen, mit der er nach Brasilien aufbrach. Loeser ließ sich Sao Paulo nieder und arbeitete bis zur Pensionierung bei einer niederländischen Bank. Nebenbei spielte er Geige in einem Amateur-Orchester und schrieb Romane, Opern und Erzählungen.

„Requiem“ – ursprünglicher Titel: „Der Fall Krakau“ – hat er vergeblich Verlagen in Brasilien und Deutschland angeboten. Bei seinem Tod 1999 fand die Familie viele Manuskripte in seinem Nachlass. Als vor drei Jahren die portugiesische Übersetzung von Ulrich Alexander Boschwitz‘ Roman „Der Reisende“ herauskam, kontaktierte ein Urgroßenkel von Loeser den Verleger Peter Graf und schickte ihm den Text. Graf hatte schon Boschwitz‘ wiederentdeckten Roman über die Flucht eines Berliner Juden nach der Reichspogromnacht zum internationalen Bestseller gemacht und konnte nun auch „Requiem“ herausgeben.

Loeser hatte seine Heimat hinter sich lassen müssen, um sein Leben zu retten. Ein Optimist blieb er trotzdem. Eine seiner Romanfiguren lässt er sagen: „Unsere Hoffnung ist die Menschlichkeit, unsere Hoffnung, die wir mit Millionen Nichtjuden teilen, ist, dass die Finsternis recht bald einem neuen Licht weichen möge.“

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