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Ich bin das Kollektiv. Szene aus „Die Chor“.

© André Simonow

Rudelspielen an der Volksbühne: „Die Chor“ ist Diskurstheater mit Spaßfaktor

Ironisches Wildwest-Szenario und weibliches Empowerment. Hannah Dörr, Nele Stuhler und Irina Sulaver inszenieren eine allzu leichtgängige Sause.

„Ich bin so schwer zu erzählen“, deklamiert eine Frauengruppe in farbenfrohen Morgenmänteln über die Rampe der Berliner Volksbühne. Und weckt damit, man kann es nicht anders sagen, wirklich total falsche Erwartungen.

De facto transportieren sich die Narrative und Botschaften ausgesprochen einfach ins Parkett an diesem Abend, der „Die Chor“ heißt und in Dreierregie von Hannah Dörr, Nele Stuhler und Irina Sulaver inszeniert wurde. Er zielt erstens auf weibliches Empowerment, feiert zweitens die Vielheit (tatsächlich mehr als die Vielfalt) und stellt drittens eine Verbindung zwischen beidem her.

Unter „Die Chor“ muss man sich eine Art Kollektivsubjekt aus zwölf Spielerinnen vorstellen, die abendfüllend im Rudel zwischen Vorderbühne und Volksbühnen-Foyer hin und her wuseln. Dort ist unter dem Motto „Prater-Studios“ eine Filmkulisse zwecks Livevideo-Übertragung in den Saal aufgebaut (Bühne: Leonard Neumann). Ein Wildwest-Szenario, das mit seinen Lonesome-Cowboy-Bezügen als maximal ironisches Sprungbrett in die eigenen Kollektivdiskurse dient.

Der Text, den Nele Stuhler für (und laut Programmzettel auch mit) „Die Chor“ geschrieben hat, referiert noch einmal die historischen und dramatischen Leistungen der Uralt-Instanz Chor und setzt anschließend im semi-ironischen Augenzwinker-Modus zu ihrer Selbstapotheose an.

Wenn sie „einen fiesen Schnupfen“ habe, freut sich „Die Chor“, könne sie gleichzeitig „zu Hause bleiben“ und „herkommen“. Das ist dem Singulärsubjekt bekanntermaßen nicht vergönnt. Und wo schmackhafte Kekse gebacken, sprich: lustige Volksbühnen-Sausen angerührt werden, sei es schließlich schon immer ein Irrtum gewesen, dass am Ende nur ein Name groß auf der Verpackung stand.

Morgenmäntel aus René Polleschs Chor-Stück

Den Chor, als Urgröße des Theaters, zum Protagonisten beziehungsweise, wie hier, zur Protagonistin zu machen, ist an sich natürlich eine gewitzte Idee – die beste Tradition hat an der Volksbühne. Auf diese bezieht sich der Abend auch explizit. Wer hier bereits 2009, vor vierzehn Jahren, zum Publikum gehörte, kennt die farbenfrohen Morgenmäntel aus René Polleschs Inszenierung „Ein Chor irrt sich gewaltig“ im Prater, der Zweitspielstätte des Theaters.

Der Morgenmantel-Chor bestand damals aus acht jungen Frauen, die als Kollektiv-Liebhaber (oder Liebhaber-Kollektiv, wer weiß das schon) eines ebenfalls persönlichkeitsmultiplen Boulevardkomödien-Schürzenjägers auftraten, der in wahrhaft singulärer Großartigkeit von Sophie Rois gespielt wurde. Eine der Regisseurinnen, Nele Stuhler, war damals in diesem Chor dabei, genau wie Lisa Hrdina, eine der Schauspielerinnen.

Inzwischen hat sich viel verändert: Der Prater wird dauersaniert, René Pollesch ist Intendant der Volksbühne, und aus „Ein Chor irrt sich gewaltig“ ist „Eine Chor amüsiert sich prächtig“ geworden – und zwar mit sich selbst. Und mit Ansage! Denn wo es ausdrücklich um die Aushebelung des Künstler-Individuums geht und wo das diametrale Gegenteil von Singularität also Programm ist, darf natürlich nichts herausragen. Alles plätschert auf mittlerer Betriebstemperatur vor sich hin, worüber am ehesten die Auftritte einer anderen Formation – nämlich des Mädchenchores Canta Chiara – hinwegtrösten.

Seltsamerweise formuliert der Abend auch gar nicht den Anspruch, wirklich neu nachzudenken über die Dialektik von Individuum und Kollektiv und sich so selbst einzuschreiben in einen Diskurs, der an der Volksbühne und anderen Theatern maßstabsetzend geführt wurde, Stichwort Einar Schleef. Zwar streut „Die Chor“ im coolen Checkerinnen-Modus massenhaft Anspielungen. Sie selbst will aber nur spielen, und zwar ausdrücklich leistungsträgerdruckfrei unterspannt. Und dabei irgendwie auch total nett bleiben.

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