zum Hauptinhalt
Andriy Khlyvnyuk, Sänger der ukrainischen Band Boombox.

© Stanislav Gurenko

Sänger der ukrainischen Band Boombox: „Ich fühle mich jedes Mal schuldig, wenn ich meine Brüder an der Front verlasse“

Andriy Khvylnyuk ist Sänger, außerdem kommandiert er eine Kampfdrohnen-Einheit der Chersoner Schutzpolizei. Vor dem Berliner Konzert seiner Gruppe spricht er über diesen Spagat.

Andriy Khvylnyuk, im Februar 2022 bereiteten Sie sich auf eine große internationale Tournee mit Ihrer Band Boombox vor. Dann startete die Ausweitung des russischen Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine. Wieso entschieden Sie sich sofort, Soldat zu werden?
Auf meine Kinder wurde geschossen, auf meine Ex-Frau und meine Mutter. Ich bin ein starker, erwachsener Mann, ich bin über 40, und es gibt Menschen, die meine Hilfe brauchen, weil sie unter Beschuss geraten sind. Ihre Häuser wurden zerstört, andere wurden ausgeraubt oder vergewaltigt. Also denkst du nicht wirklich darüber nach. Du gehst einfach hin, um sie zu verteidigen. Denn all das passiert in deiner Heimat.

In erster Linie sind Sie Musiker. Wie sehen Sie die Rolle der Kunst während des Krieges?
Für mich ist die Kunst ein genauso wichtiger Teil des Lebens wie Essen und Schlafen. Während des Krieges nehme ich die Kunst noch stärker wahr. Das Mikrofon ist ein wirksames Mittel des Kampfes, das weiß ich, weil ich auch andere Mittel benutze. Gleichzeitig besteht die Hauptaufgabe in unserem Kampf gegen den Feind darin, nicht so zu werden wie er. Und wenn man die Kunst und das Gute vergisst, wird man genauso wie der Eindringling.

Im April 2022 haben Pink Floyd den Song „Hey Hey Rise Up“ mit Ihnen als Gastsänger veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, deren Erlöse ukrainischen Kriegskindern zugutekommt?
Wir haben Pink Floyd 2015 in London kennengelernt, als wir mit Boombox in derselben Location auftraten, wie sie, um das Belarussische Freie Theater zu unterstützen, dessen Mitglieder inhaftiert waren. Den Anruf von David Gilmour bekam ich aus heiterem Himmel, als ich nach einer Verwundung im Krankenhaus lag. Er sagte zu mir: „Andriy, kann ich mit dir zusammenarbeiten? Wäre das für dich in Ordnung?“ Natürlich habe ich ja gesagt.

Viele ukrainische Künstlerinnen und Künstler gehen ihren Werken auf den Krieg ein. Glauben Sie, dass es notwendig ist, Lieder über den Krieg zu schreiben?
Nein, das glaube ich nicht. Man muss seine Gedanken nicht auf blutige Lieder über Siege und Schlachten richten. Das ist keine Kunst. Es ist eine opportunistische Sache. Wenn man es nicht tun will, muss man es nicht tun.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wie empfinden Sie den Kontrast zwischen den Kampfeinsätzen, an denen Sie teilnehmen, und Ihren Konzerten in friedlichen Städten auf der ganzen Welt?
Es ist ein großer Kontrast. Und ich bin sehr glücklich und froh, Menschen zu sehen, die ein friedliches Leben führen und alltägliche Probleme haben oder sich in Cafés unterhalten. Ich freue mich, wenn meine Familie zu unseren Konzerten kommt und die Säle voll sind.

Aber ich fühle mich jedes Mal schuldig, wenn ich meine Brüder an der Front verlasse. Gleichzeitig sage ich mir, dass dies eine sehr wichtige Aufgabe ist, Spenden zu sammelt und Nachrichten zu verbreiten. Es geht darum, den Menschen in der ganzen Welt mitzuteilen, was passiert und welche Hilfe wir brauchen.

Der Angriff auf die gesamte Ukraine dauert nun schon fast zwei Jahre an. Wie steht es um die Moral der Ukrainer?
Dieser Krieg gegen die schrecklichen lebenden Toten des Reiches der Gesetzlosigkeit dauert sogar schon mehrere hundert Jahre an. Wir sind Kosaken, ein Volk von Kriegern, wir können nicht besiegt werden, wir können nur vernichtet werden. Aber wir haben die Macht der Wahrheit und die gesamte zivilisierte Welt hinter uns.

Die ukrainische Band Boombox auf der Bühne.

© Stanislav Gurenko

Boombox haben auch viele russische Fans. Was ist Ihre Botschaft an sie?
Stellt Einheiten der Befreiungsarmee auf und schließt euch dem Kampf an, eure Heimat ist unter der Herrschaft der Kräfte des Bösen.

Wie wird es für Sie nach dem Krieg weitergehen?
Meine Familie und ich werden nie wieder dieselben sein. Mit der Zeit können wir vieles zurückbekommen, das ist nicht das Problem. Das Problem ist die für immer verlorene Hoffnung.

Unter welchen Umständen wurde der neue Boombox-Song „Firtka“ aufgenommen? Haben Sie ihn schon irgendwo aufgeführt?
Letzten Herbst war die Band auf einer Tournee in Europa. Wir kamen nach Berlin und haben den Song im Trix-Studio aufgenommen. Wir werden ihn nun zum ersten Mal bei unserem Konzert im Kesselhaus aufführen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false