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Lilo Pfister aka Lilian Naef in der Bar jeder Vernunft

© Barbara Braun/Bar jeder Vernunft

Scharfzüngige Bergtour: Lilo Pfister in der Bar jeder Vernunft

Lawinen-Raps, Käse-Kritik und Einblicke in den Kuckucksuhrenkoffer: die kurzweilige Show „Lilo Pfister und die Drei von der Tankstelle“ in der Bar jeder Vernunft.

Muss man sich Sorgen um den Bildungsstand des Berliner Publikums machen? Als Lilo Pfister in der Bar jeder Vernunft die Kenntnis einiger elementarer Werke der Literaturgeschichte abfragt, ist die Resonanz, nun ja, verhalten. „Die schwarze Spinne“ vom Schweizer Goethe Jeremias Gotthelf? Scheint nur wenigen geläufig zu sein.

„Iphigenie auf Tauris“ vom deutschen Original-Goethe? Auch da gehen nicht viele Hände in die Luft. Zu unguter Letzt: Die Bibel. Nicht mal die Heilige Schrift ruft Zuschauer:innen auf den Plan, die mit Lektüreerfahrung glänzen wollen! Ist das nur Schüchternheit angesichts der imposanten Erscheinung der legendären Frau Pfister? Oder spiegelt sich da der allgemeine Niedergang unseres Landes (also mit Ausnahme des Basketballs)?

Zurück im Schoß der Familie

Wobei, zugegeben: Bibelwissen hätte an diesem Abend gar nicht viel genützt. Schließlich findet sich dort zwar das Gleichnis vom verlorenen Sohn, aber nicht die Geschichte von der verlorenen Schwester. Und um die geht es hier, bei der Deutschlandpremiere von „Lilo Pfister und die Drei von der Tankstelle“, im Untertitel: „She’s back“. Im Unteruntertitel: „Lilosophien“.

Der grobe Rahmen zur Rückkehr: Vor bald 30 Jahren hat Lilo Pfister (aka Lilian Naef) die Brüder Ursli und Toni verlassen, um ihrem ganz eigenen Lebenspfad zu folgen. Will heißen: Als freiberufliche Schauspielerin beim Film und am Theater arbeiten. Anlässlich des Festivals (oder auch: Pfistivals) „GeschwisterLIEBE“ – das derzeit in der Bar jeder Vernunft unter anderem mit der Ursli-, Toni- und Fräulein-Schneider-Sause „Relaxez-vous!“ gefeiert wird – kehrt Lilo nun in den Schoß der Familie zurück. Ebenso wie der abtrünnige Bruder Willi (der allerdings erst später, sein „Homecoming“ feiert am 25. September Premiere). Was für eine Reunion! Auch wenn die amerikanisch-helvetischen Wunderkinder sich jetzt nicht direkt auf der Bühne begegnen.

Lilo Pfister und die „Drei von der Tankstelle“ in blauen Overalls.

© YOSHIKO KUSANO

Gebetsrufe vom Gipfel

Dafür hat Lilian Naef bei ihrer Solo-Rückkehr als Lilo drei exzellente Musiker im Rücken: Hank Shizzoe, Ben Jeder und Andi Hug, die titelgebenden „Drei von der Tankstelle“. Was diese Jungs (mal abgesehen von ihren ansprechenden Overalls) jetzt genau mit dem guten alten Zapfsäulenjob aus den Tagen von Lilian Harvey und Heinz Rühmann verbindet, erschließt sich zwar nicht wirklich. Spielt aber weiter keine Rolle, solange sie ihrem Kerngeschäft vernünftig nachkommen: Gitarre, Piano, Akkordeon sowie Schlagwerk aller Art.

Die musikalische Spanne ist dabei so weit, wie sich der Horizont erstreckt – vom Matterhorngipfel aus betrachtet. Sie reicht vom Alpsegen (diesem traditionell männlich dominierten Gebetsruf ins Gebirge, den sich Lilo als emanzipierte Alm-Lady erobert), über Hildegard Knefs „Das Glück kennt nur Minuten“ und Edith Piafs „Mon manège a moi ç’est toi“ bis zu „Wild Rose“ von Nick Cave.

Eine Vielfalt, die wiederum bestens zum polyglotten Appeal des Abends passt. Naef performt ihre in drei Sprachen, Deutsch, Englisch und Schweizer Idiom, wobei man sich im Falle des Letzteren gelegentlich wünscht, man hätte sich mit der Sprachlern-App besser auf die Show vorbereitet.

Lilo Pfister aka Lilian Naef: Multilinguale Show.

© Barbara Braun/Bar jeder Vernunft

Lilosophie für Fortgeschrittene

Macht aber nix, die Essenz der „Lilosophie“ vermittelt sich auch so. Und die ist auch die eigentliche Würze des Käses, um im Folklore-Setting zu bleiben, das Naef vorgibt. Die Prämisse der Show: Lilo Pfister hat sich auf eine Alp zurückgezogen, 2000 Bühnenmeter über dem Meeresspiegel, von wo aus sie mit der gebotenen Distanz auf die eigene Karriere, die übrig gebliebenen Sehnsüchte und die Verirrungen der (Schweizer) Gegenwart blickt.

Die hohe Koks-Konzentration in St. Moritz, wo sogar die Schafe Pelz tragen. Die Auswüchse der Bergtourismus-Industrie (ein pfiffiger Manager aus Singapur hat sie genötigt, ihre Performance als „Fake-Heidi“ mit Jodel-Skills zu optimieren). Oder eben die Käseproduktion, die pro Laib 1200 Liter Milch verschlingt. Nachhaltigkeit geht anders. Und der Klimawandel macht selbst vorm Engadin nicht Halt. Es sind schöne, zwischen Melancholie und Scharfzüngigkeit balancierte Betrachtungen, mit denen Naef ihre geistige Bergtour bestreitet.

Dazwischen gewährt sie Einblicke in ihren Kuckucksuhrenkoffer. Räsoniert über das Älterwerden und Anrufe bei der Krankenkassen-Hotline. Schlüpft in den gelben Stöckelschuh, den sie noch in Berlin hatte. Oder sie singt halt ein Lied. Denn wie pflegte die Mutter zu sagen? „Was gesungen wird, zählt doppelt“. Kluge Frau. Also auf mit gut abgehangenen Chansons, selbstgedichteten Lawinen-Raps, ABBA-Evergreens und mehr.

Nicht zu vergessen: Frau Pfister bringt dem Publikum auch nach Kräften ihren Gotthelf näher. „Die schwarze Spinne“, diese symbolgeladene und sagenhafte Novelle, zieht sich so leitmotivisch-munter durch den Abend, dass man glatt Lust bekommen könnte, sie zu lesen.

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