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Die norwegische Geigerin Vilde Frang

© Marco Borggreve

Schostakowitsch mit Vilde Frang: Gesang über dem Abgrund

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin spielt Schostakowitsch und Brahms, mit der norwegischen Geigenvirtuosin Vilde Frang.

Hoch über dem Abgrund der Kontrabässe erhebt Vilde Frangs Solovioline ihren Gesang, mit bangen, getragenen Tönen und weichem Duktus, tastend und tapfer. Die norwegische Geigerin war dieses Jahr in der Philharmonie schon zweimal mit Alban Bergs Violinkonzert zu Gast. Am Sonntagabend bringt sie in Dmitri Schostakowitschs Erstem Violinkonzert – entstanden 1948 zur Stalin-Zeit, uraufgeführt sieben Jahre später, nach Stalins Tod – die Zerrissenheit des Komponisten zwischen Anpassungsdruck und politischem Widerstand zum Ausdruck. Und in der Kadenz der Passacaglia dann noch einmal die Einsamkeit des Künstlers in der inneren Emigration, mit DSCH-Motiv und Anklängen an das jüdische Kaddisch.

Ein Leben in Angst, im Teufelskreis der Gewalt. Die sechs Kontrabässe des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin sind nicht seitlich platziert, sondern mittig hinter den Holzbläsern, sie machen gehörig Druck. Vilde Frang kontert mit trancehaft beseelten Spitzentöne, lässt die Stimme ihre Guarneri-Geige in den Con-Sordino-Passagen buchstäblich erbleichen. Wenn Schostakowitsch im Scherzo und der Burlesque die Bedrängtheit und Getriebenheit in Töne fasst und sie zur Raserei treibt, hätte man sich Frangs Spiel jedoch noch deutlich schärfer gewünscht, im guten Sinne hässlicher.

Geschichte ereignet sich immer zwei Mal: Auf die Tragödie folgt die Farce, mit Vilde Frangs Zugabe der „Giga senza basso“ des Barockkomponisten Antonio Montanari, eine durchaus heitere Verfolgungsjagd.

Der junge russische Dirigent Maxim Emelyanychev macht seinem Ruf als Feuerkopf einmal mehr alle Ehre. Wie Igor Levit und Daniil Trifonov stammt er aus Nishni Novgorod, 2022 debütierte er bei den Philharmonikern. Vor dem DSO steht er ohne Taktstock und ohne Pult (von dem er vor lauter Temperament sonst wohl auch herunterpurzeln würde), drängt und drängelt, will maximale Expressivität schon bei Fanny Hensels C-Dur-Ouvertüre zum Auftakt.

Bei Brahms‘ 2. Symphonie nach der Pause wünschte man sich allerdings eine klüger dosierte Dynamik, einen längeren Bogen und Atem. Vor lauter Verve zerfällt die Symphonie in effektvolle Momentaufnahmen. Dem sportlichen Zugriff verdanken sich zwar grandios-präzise Schlüsse, aber die berühmten Kantilenen leiden darunter. Die fabelhaften Bläsersolisten des DSO, allen voran Oboe und Klarinette, lassen sich hingegen zu einem aparten Allegretto-Beginn inspirieren: ein Vergnügen, ihnen dabei zuzusehen, wie sie für ihr liebevoll aufeinander abgestimmtes Spiel die Köpfe zusammenstecken.

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