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Duett auf einer sich immerzu wandelnden Bühne: Herwig und Mehrling

© JR Berliner Ensemble

Seltsam ausgebremster Saisonstart: Oliver Reeses Brecht-Hommage kommt ohne Meta-Ebene aus

„Fremder als der Mond“: Katharine Mehrling und Paul Herwig glänzen beim szenischen Liederabend am Berliner Ensemble.

„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“: Nicht der einzige Evergreen aus dem Bertolt-Brecht-Zitatenschatz, der zurzeit wieder besonders aktuell erscheint. Und der natürlich nicht lange auf sich warten lässt, wenn das Berliner Ensemble als Brecht-Theater par excellence mit einem Lieder- und Lyrikprogramm seinen Hausheiligen feiert.

Es muss etwas Neues geschehen

Klar ist allerdings auch: „Es muss etwas Neues geschehen“! Auch mit diesem Bonmot ist der „arme B. B.“ schließlich hervorgetreten, namentlich in seiner „Dreigroschenoper“. Das weiß man am Schiffbauerdamm, und der BE-Intendant Oliver Reese, der mit dem Brecht-Abend „Fremder als der Mond“ höchstselbst die neue Spielzeit einläutet, holt sich das entsprechende Innovationspotenzial – von außen. Die von der Komischen Oper bis zur Bar jeder Vernunft gefeierte Sängerin Katharine Mehrling, die ihr Publikum unter anderem mit einem Kurt-Weill-Abend in Begeisterung versetzte, steht erstmals auf der Bühne des Brechttheaters. An ihrer Seite: der Schauspieler Paul Herwig, seit letzter Spielzeit festes BE-Ensemblemitglied.

In grünen Arbeitsoveralls – eine Reminiszenz ans bevorzugte Brecht-Outfit mit eingebautem Verfremdungseffekt (Kostüme: Elina Schnizler) – führen sich die beiden zum Auftakt ziemlich naheliegend als Brecht-Alter-Egos ein. Ab da geht`s unter häufigen Kostümwechseln auf Hansjörg Hartungs Bühne, auf der sich dazu immer neue kleine Guckkästchen öffnen, knapp zwei Stunden lang durch ein Nummernprogramm, das Reese und der Dramaturg Lucien Strauch locker an Brechts Biografie entlang gestrickt haben: angefangen von der Jugend in Augsburg und frühen dramatischen Erfolgen à la „Baal“ über die Zeit des Exils während des Zweiten Weltkrieges bis zur Rückkehr nach Berlin 1948/49 und, schließlich, der Gründung des Berliner Ensembles.

In Brechtschem Overall und urbaner Projektion: Katharine Mehrling
In Brechtschem Overall und urbaner Projektion: Katharine Mehrling

© JR Berliner Ensemble

Realkapitalismus und Rüsseltier-Choreografien

An den Grundzutaten liegt es nicht, dass der Abend trotzdem seltsam ausgebremst wirkt. Das Rezept ist anlassgemäß gut abgemischt zwischen sehr oft und eher selten Gehörtem, zwischen der Lyrik und Brechts Tagebüchern und Arbeitsjournalen sowie, natürlich, den vorzugsweise von Mehrling intonierten Gassenhauern von Hanns Eisler und anderen.

Das Problem liegt vielmehr darin, dass hier jeder szenische Einfall praktisch eins zu eins abbildet, was gerade gesprochen oder gesungen wird. Bevor Katharine Mehrling den Kurt-Weill-Song „Denn wie man sich bettet, so liegt man“ anstimmt, dessen Pointe in Kürze lautet, dass im Realkapitalismus der eine tritt und der andere getreten wird, nimmt Herwig eine Bückhaltung ein, sodass die Sängerin sich auf ihm abstützen und ihn am Ende mit einem neckisch angedeuteten Tritt von der Bühne verabschieden kann.

Paul Herwig am schwebenden Schreibtisch inmitten der Mondschein-Bühnenprojektion
Paul Herwig am schwebenden Schreibtisch inmitten der Mondschein-Bühnenprojektion

© JR Berliner Ensemble

Für Paul Dessaus „Lied vom achten Elefanten“ aus Brechts „Gutem Menschen von Sezuan“ hat die Regie dem Darstellerduo allen Ernstes eine kleine Rüsseltierchoreografie verordnet. Und bevor Mehrling in Hanns Eislers „Einheitsfrontlied“ einsteigt – mit den ruhmreichen Auftakt-Lyrics: „Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zum Fressen, bitte sehr“ –, sitzt sie tatsächlich semi-ironisch vor einem Fake-Speisetablett mit Rotwein und Spargel, um die Zeilen dann vermeintlich vollmundig kauend zu intonieren.

Plakativ geplättet

Paul Herwig, dem die anschließende Darstellung der klassenkämpferischen Einsicht „Und weil der Prolet ein Prolet ist, drum kann ihn kein anderer befrein“ obliegt, nähert sich diesem schlichten Grundsatz der marxistischen Theorie offen staunend: so, als dächte hier jemand erstmals in seinem Leben über das Gesagte nach. Was sicher als Konzept nach dem Motto ‚Brecht nochmal ganz neu hören’ geplant war, verengt und verzwergt den Autor leider immens. Das Dialektische, das ja durchaus auch in den lebensphilosophisch angehauchten Selbstauskünften und selbst in Teilen der Liebeslyrik zum Tragen kommt, wird plakativ geplättet. Da hätte man sich, im Sinne des Autors, mehr Mut zur Verfremdung in den Klischees gewünscht.

So bleibt unterm Strich ein Abend, in dem der Gaststar Katharine Mehrling – zu den tollen Arrangements von Adam Benzwi – zwar erwartungsgemäß großartig singt, aber die Bandbreite und Wandlungsfähigkeit, für die sie gefeiert wird, insofern nicht ausschöpfen kann, als eben auch sie von der Regie zu stark in eine Richtung gedrängt wird: immer auf die nächstliegende Pointe.

Duett im Mondschein auf einer sich immerzu wandelnden Bühne: Mehrling und Herwig
Duett im Mondschein auf einer sich immerzu wandelnden Bühne: Mehrling und Herwig

© JR Berliner Ensemble

Die gute Nachricht zum Spielzeitauftakt am BE lautet: Brecht behält uneingeschränkte Gültigkeit, es bleibt für die nächsten Monate noch genügend Luft nach oben, auf dass „etwas Neues“ geschehe.

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