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Kokoroko

© Brownswood

Afrobeat mit Kokoroko: Tanzen, bis die Körper schmelzen

Die Londoner Afrobeat-Band Kokoroko und ihr großartiges Debütalbum „Could We Be More“.

Wahrscheinlich gibt es nur wenige Musikstile, deren Entstehen sich auf einen einzigen Musiker, eine einzige Band zurückführen lassen. Möglicherweise existiert bloß einer: Afrobeat. Den Begriff geprägt hat der nigerianische Multiinstrumentalist Fela Kuti, der Afrobeat in den Sechzigerjahren gemeinsam mit dem Schlagzeuger Tony Allen, damals musikalischer Leiter von dessen Band Africa ’70, quasi erfand.

Kuti war mit der aus Ghana stammenden Highlife-Musik aufgewachsen, hatte Lagos verlassen, um in London Musik zu studieren, und war nach einer Tournee durch die USA mit der Begeisterung für Soul und Funk nach Nigeria zurückgekehrt. Afrobeat ist eine Mischung aus alldem, aufgeladen mit politischen Befreiungsideen.

Mit seinen polyrhythmischen Strukturen übt Afrobeat enormen Einfluss auf den westlichen Pop aus, angefangen vom Talking-Heads-Album „Remain in Light“ bis zu Damon Albarn, der in Afrika mit dortigen Musikern Platten aufnahm und mit Tony Allen in der Band The Good, the Bad & the Queen spielte. London wurde zu einer Hauptstadt der Bewegung.

„Could We Be More“ heißt das Album, das die Londoner Band Kokoroko gerade veröffentlicht hat. Könnten wir mehr sein, größer sein?! Dabei besteht das Kollektiv bereits aus acht Musiker:innen, die ihre Wurzeln in Jazz und Afrobeat haben. Mitunter treiben sie die Kraft ihrer weit ausschweifenden, versiert immer wieder punktgenau zusammengeführten Kompositionen ins Orchestrale. Das bemerkenswert reif wirkende Debütalbum gehört zu den herausragenden Platten des Spätsommers. Ein Gute-Laune-Garant ist es außerdem. („Could We Be More“ von Kokoroko ist bei Brownswood Recordings erschienen)

Afrobeat sei eine „politisch, sozial und historisch wichtige Musik“, hat Bandleaderin und Trompeterin Sheila Maurice-Grey in einem Interview mit dem US-Web-Magazin „okayafrica“ gesagt. Vor allem komme es darauf an, dass Afrobeat „nicht in der Generation unserer Eltern“ bleibe, also irgendwann museal vergilbt. Ihre Mutter stammt aus Sierra Leone, der Vater aus Guinea-Bissau, aufgewachsen ist sie in Süd-London mit einem Stiefvater aus Südafrika.

„Oh, how free we were in those good times“

Gegründet hat Maurice-Grey die Band, nachdem sie sich in Kenia mit Perkussionist Onome Edgeworth über die Londoner Afrobeat-Szene unterhalten hatte. Sie waren sich einig: Es gibt viele Afrobeat-Bands, aber nicht genug, die die Community der afrikanischen Einwanderer repräsentieren. Er habe es „irgendwie gehasst“, wie Afrobeat in London inszeniert wurde, in sogenannten Afronights, erzählte Edgeworth später. „Wenn zwei von uns auf der Bühne standen, waren wir die einzigen Afrikaner im Raum.“

„Could We Be More“ setzt ein mit der Soul-Bläserfanfare des Auftaktstücks „Tojo“, einem sanft groovenden, von glitzernden Retro-Synthie-Schleifen durchzogenem Aufruf zur Entspannung. Afrikanische Traditionen rücken in zwei Trommel-Zwischenspielen „Blue Robe (Pt. I & II)“ nach vorn, bei „Dide O“ schiebt sich eine hell dengelnde Highlife-Gitarre zwischen Bläsersätze. Es gibt Cooljazz-Posaunen (in „Age of Ascent“), verspulte Jazzrock-Anklänge („Soul Searching“) und kraftvolle Funk-Zitate („War Dance“).

Angefangen haben Kokoroko als reines Instrumental-Ensemble, nun wird auf vier von 15 Stücken von „Could We Be More“ gesungen. Säuselnde, teilweise per Autotune modulierte Stimmen versichern: „Oh, how free we were in those good times“ und schwelgen in Erinnerungen an durchtanzte Nächte im Mondschein, mit erhitzten Körpern „so close enough to Fahrenheit“. In einem anderen Song wird mantraartig versichert: „Something’s going on / Something’s happening.“ Irgendetwas wird passieren.

In der in Süd-Nigeria gesprochenen Sprache der Urhobo bedeutet Kokoroko: Sei stark! Erste Auftritte hatte die Band 2015, 2019 ist eine EP mit vier Stücken herausgekommen. Sie seien halt langsam beim Produzieren, sagen die Musiker:innen. Die traumwandlerische Ballade „Abusey Junction“ wurde zum viralen Hit, nachdem sie in einer „UK Jazz Renaissance“-Kompilation aufgenommen worden war. Mit zwei Singles und der EP brachten es die Newcomer bei Spotify auf 60 Millionen Streaming-Aufrufe. Längst gelten sie als essenzieller Teil der boomenden Londoner Jazz-Szene.

Einige Mitglieder haben das Trinity College of Music in London besucht, 60 Jahre, nachdem Fela Kuti dort ausgebildet worden war. Was die Band will: eine Musik „wiederzuerschaffen, die dich mit Stolz erfüllt“.

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