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Sänger Matt Berninger und Gitarrist Aaron Dessner beim Berliner Auftritt ihrer Band.

© DAVIDS/Christina Kratsch/DAVIDS/Christina Kratsch

The National live in Berlin: Indierock-Euphorie im Anzug

Matt Berninger und seine Band verzücken die Fans bei ihrem ausverkauften Auftritt mit ihrem rauschhaften, melancholischen und doch schwelgerischen Sound.

Als Sänger einer weltberühmten Rockband sollte man anständig gekleidet sein, egal wie die Kollegen herumlaufen. Das scheint das Motto von Matt Berninger, Kopf von The National aus Brooklyn, zu sein. Auf der Bühne der ausverkauften Max-Schmeling-Halle tragen alle schlabberige Shirts und Freizeithosen, er aber bewirbt sich für den GQ-Best-Dressed-Award und absolviert den kompletten Auftritt in einem Anzug samt formvollendet zugeknöpftem Sakko.

Und dazu nicht etwa diese endemisch verbreiteten Sneaker, wie all diese Sportschau-Moderatoren, die damit einen auf casual chic machen, sondern richtige Business-Schuhe. Der Mann hat halt Stil und außerdem: Würde etwa der große Anzugträger-Popstar Nick Cave jemals mit Turnschuhen eine Bühne betreten? Eben.

Matt Berningers Bariton umschmeichelt die Fans

Berninger, Anfang 50, Brillenträger, graue Haare und Mister Cool des Indierock, ist der große Impresario der The-National-Show. Die anderen Mitglieder seiner Band stehen mehr oder weniger nur herum und verzichten weitgehend auf expressive Ausdrucksmittel. Er aber stapft pausenlos auf der Bühne herum und immer wieder mal steigt er auch herab von dieser, sucht den direkten Kontakt zum Publikum, lässt sich anfassen und ein paar Glückliche dürfen sogar ein Selfie mit ihm machen.

Ganz trittsicher wirkt er freilich nicht. Wenn er wieder mal eine der Monitorboxen besteigen will, hat man ständig Angst, dass da etwas schiefgehen könnte. Aber sein Gesang, seine berühmte Bariton-Stimme, ohne die The National sicherlich nie so unfassbar erfolgreich geworden wären, sitzt eigentlich immer. Sie trägt Songs wie „Don‘t Swallow The Cap“, „Demons“, „I Need My Girl“ und all die anderen Emo-Heuler, die die fast 12.000 Leute in der Max-Schmeling-Halle umschmeicheln.

Der Aufstieg von The National, die vor fast 25 Jahren gegründet wurden, klingt wie ein Märchen. Anfangs waren sie noch die Indieband für ein paar Hipster. Sie wurden von der Popkritik geliebt, aber auch von einem ständig wachsenden Publikum. Und nicht zuletzt von einer gewissen Taylor Swift, dem aktuell größten Popstar des Planeten. Sie arbeiteten mit ihr zusammen und versorgten sie mit Indie-Credibility, als sie das längst schon gar nicht mehr nötig hatte.

Album-Duett mit Taylor Swift

Und umgekehrt ist Swift einer der Gaststars auf dem The-National-Album „First Two Pages Of Frankenstein“, das im Frühjahr erschienen ist. Unangekündigt hat die Band vor knapp zwei Wochen eine weitere Platte hinterhergeschickt, die zehnte insgesamt. Berninger soll während der Corona-Pandemie unter Depressionen gelitten haben, eine Zeit lang ging nichts mehr mit The National. Dafür sind sie jetzt so aktiv wie lange nicht mehr.

Vieles ist ungewöhnlich an der Band. Neben Berninger besteht sie aus gleich zwei Brüderpaaren. Einmal wären da Scott und Bryan Devendorf am Bass und am Schlagzeug. Und die beiden Dessners Aaron und Bryce an den Gitarren. Bryce Dessner, der bei dem Konzert in Berlin so bescheiden im Hintergrund bleibt, ist zudem noch ein Musiker, der unter Genieverdacht steht.

Er komponiert pausenlos gefeierte Filmsoundtracks, arbeitet für klassische Orchester und veröffentlicht bei der ehrwürdigen Klassikfirma Deutsche Grammophon. Bei einer Privatparty von The National wäre man gerne mal dabei, würde man dort doch wahrscheinlich auf Taylor Swift und ein paar Musiker aus diversen Klassikorchestern treffen können.

Trotzdem blieben The National all die Jahre ihrem eigenen Sound treu und verzichten auch in Berlin weitgehend auf irgendwelchen klanglichen Firlefanz. Gut, sie haben einen Bläsersatz dabei, der setzt aber kaum echte Akzente. Stattdessen gibt es durchgehend diesen rauschhaften, melancholischen und doch schwelgerischen The-National-Sound, Gitarrenrock zwischen Selbstzweifel und Euphorie, der die Massen in der Mehrzweckhalle ganz offensichtlich ziemlich glücklich macht.

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