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„Bunker Cabaret“ ist eine Produktion der Hooligan Art Community in Zusammenarbeit mit Volta International Festival und Mahogany Opera. Foto: Steve Tanner

© Steve Tanner/Steve Tanner

Überpolitisiert, durchkuratiert : Das Theatertreffen will sich neu erfinden

Das Festival beginnt: Zum Hauptprogramm kommen nun auch „10 Treffen“ zu den wichtigsten Themen der Zeit.

Als auf der Pressekonferenz des Theatertreffens verkündet wurde, dass unter dem neuen Leitungsteam in diesem Jahr nicht nur die traditionellen, von einer Kritiker:innen-Jury ausgewählten zehn bemerkenswertesten Inszenierungen zu sehen sein sollen, sondern es zusätzlich zehn ihnen zur Seite gestellte „Treffen“ geben wird, kamen erste Fragezeichen auf. Die Rede war von „Austauschformaten“, die das Hauptprogramm „umgarnen, umrahmen und umarmen“. Seltsam bereits. Als handelte es sich bei den ausgewählten Produktionen um linkische Mauerblümchen, die lost neben der Tanzfläche stehen und mal feste gedrückt werden müssen.

Von allem ziemlich viel

Diese „Treffen“ tragen Beinamen wie Responsibility, Solidarity, Herstory, Transfeminist, Diversity, Reflection oder Emptiness, nebst dramaturgischem Beipackzettel, der vom Versuch erzählt, „(k)einen common ground zu formulieren, auf dem die Relevanz möglicher Perspektiven für die Zukunft des Theatertreffens ausgelotet und gleichzeitig in einem ersten Versuch erprobt werden“. Was wiederum (k)eine erschöpfende Erklärung ist, je nach Deutung. In jedem Fall geben diese Treffen zu Denken, in mehrfacher Hinsicht. Nicht zuletzt, weil sie für eine bedenkliche Tendenz des Theaters stehen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich sind es wichtige Themen, die da in Gestalt von Performances, Diskussionen und den obligatorischen „Interventionen“ verhandelt werden. Es geht um den Krieg in Europa, die Situation in Belarus, Fragen von Feminismus und Solidarität, Ökologie und Nachhaltigkeit. Nur Leute mit sehr speziellen politischen Ansichten dürften Anstoß an der Intention der Veranstaltungen nehmen.

Die Auswahl wird geschrumpft

Nur die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen des deutschsprachigen Raums einzuladen, ist offenbar irgendwie piefig und nicht international genug. Warum diese Vergartenzwergung des eigenen Profils? Ganz abgesehen davon, dass das deutschsprachige Theater andauernd Input aufnimmt, der nicht innerhalb von geistigen Jägerzaungrenzen gewachsen ist, dass landauf, landab internationale Künstler:innen arbeiten. Die eingeladene Inszenierung „Der Bus nach Dachau“ ist dafür nur ein Beispiel.

Vielleicht wäre es konsequenter, das Festival abzuschaffen und durch ein europäisches zu ersetzen. Oder, kühne Idee: Die Berliner Festspiele könnten auch ein ganz neues Format ins Leben rufen, das unabhängig vom Theatertreffen existiert. Eine Reihe in der Nachfolge der „Spielzeit Europa“ und der „Foreign Affairs“, nur zeitgemäß kuratiert eben und mit einem anderen Schwerpunkt als das kommende „Performing Exiles“ im Juni.

Stattdessen sieht man jetzt das Theater vor lauter Treffen kaum. Es erschließt sich auch nicht, wer da was „umarmt“ und „umgarnt“. Der taube Künstler Daniel Kotowski bietet in den Pausen des Theatertreffen-Gastspiels „Das Vermächtnis“ seine Performance „Feeler“ an (aus der Ankündigung: „Feeler geht zwischen den Menschen umher und absorbiert ihre Gefühle“ = Diversity Treffen). Das Kollektiv Mothers Artlovers veranstaltet im zeitlichen Umfeld der Münchner-Kammerspiele-„Nora“ eine „Dinner Party“ („Mütter verlesen laut ihre Rezepte für gemeinsames Handeln“ = Transfeminist Treffen). Dazu sind ein paar Stamm-Rubriken des Theatertreffens, etwa das Internationale Forum, schlicht neu gelabelt worden, als Exchange Treffen in diesem Fall.  

Geht es am Ende einfach darum, erstens die eigene Diskursflughöhe zu demonstrieren – und zweitens dafür zu sorgen, dass niemand ohne anständige Lecture das Theater verlassen muss? Das würde einzahlen auf eine Debatte, die unlängst die „Süddeutsche Zeitung“ am Beispiel der Münchner Kammerspiele angestoßen hat („das Gros der Inszenierungen begnügt sich damit, Botschaften zu vermitteln“). Und die auf ein tiefer liegendes Problem stößt – nämlich die wachsenden Skepsis vieler Theater gegenüber der Fiktion als Raum auch des Uneindeutigen. Bloß keine Missverständnisse aufkommen lassen. Und zwar an der eigenen Haltung, das ist vielerorts die Maxime.

Die Publizistin Jagoda Marinić hat über das von ihr diagnostizierte „völlige Verschwinden des Konzepts der Fiktion“ in der Kunst unlängst in einem Interview gesagt: „Wir haben gelernt: Representation matters. Richtig, wie wir Dinge darstellen, hat Einfluss auf die Welt, in der wir leben. Nur wird daraus plötzlich der Schluss gezogen, dass alle künstlerische Repräsentation einem bestimmten Ideal von Gesellschaft dienen soll“.

Wer darf Hamlet spielen?

Guter Punkt. Wobei die spannende Frage in diesem Zusammenhang lautet, ob die Theater überhaupt Ideale haben – oder nur Kritik an den bestehenden Verhältnissen verkaufen, die sich der Widerspruchsfreiheit des Stammpublikums gewiss sein kann.

Grob vereinfacht lautete das Ziel doch mal: eine Person spielt Hamlet – und niemand hält es für nötig, über Hautfarbe, Herkunft, Gender dieses Menschen auf der Bühne auch nur ein Wort zu verlieren. An diesem Punkt sind wir noch lange nicht. Auf solche Normalitäten könnte hingearbeitet werden im viel beschworenen Freiraum der Kunst. Stattdessen erklären viele Regisseur:innen und Dramaturg:innen dem Publikum aber lieber beständig mit dem erhobenen Zeigefinger des Professors Bienlein, wie der strukturelle Rassismus der Gesellschaft wirkt – und dass übrigens, spoiler alert, Ophelia keine zeitgemäße Frauenfigur ist.

Die Leiterinnen des Berliner Theatertreffens 2023 Joanna Nuckowska , Carolin Hochleichter und Olena Apchel. Foto: Christophe Gateau/dpa

© dpa/Christophe Gateau

Als eigene Leitfrage formulieren die „10 Treffen“: „Who has the privilege to not know…?“, ein Forschungsfeld, das überhaupt für die zukünftige Entwicklung des Festivals eine Rolle spielen soll. Das bleibt angemessen nebulös, lässt aber trotzdem klar erkennen, was nicht stattfinden wird: zum Beispiel die Zusammenführung von Milieus, die sich nicht auf ein- und derselben politischen Wellenlänge bewegen. Solche Begegnungen mit Konfliktpotenzial und der Chance auf echte Aushandlungen finden im Theater übrigens durchaus statt – allerdings fast ausschließlich im Theater für junges Publikum. Dort, wo nicht die Tendenz herrscht, mit sich selbst das Hase-und-Igel-Spiel des Diskursfleißes zu spielen. Weniger umarmen und umgarnen, mehr Konfrontation wagen.

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