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Das neue Italien. Eine Gruppe Kinder posiert für die Kamera.

© Neue Visionen

Im Fiat durch Süditalien: Verarmt, verschandelt – immer noch wunderschön

Vor vielen Jahren durchquerte der große Paolo Pasolini den Süden Italiens. Der Filmemacher Pepe Danquart begibt sich in "Vor mir der Süden" auf seine Spuren.

Von Andreas Busche

Der Fiat Millecento, der erstmals 1937 vom Band ging, ist ein Auto des Volkes und gleichzeitig – ähnlich wie sein deutsches Pendant, der VW Käfer – ein Produkt des Faschismus. Als sich Pier Paolo Pasolini 1959 im ligurischen Ventimiglia für seine Entdeckungsreise durch Italien hinters Steuer setzte, war er sich dieses Widerspruchs bewusst.

Auch der Intellektuelle Pasolini war ein Mann des Volkes – und der Gegensätze: ein schwuler Katholik, Poet und Fußballfan, Kritiker des Kapitals und Verfechter des Dolce Vita, der hedonistischen Aufbruchsstimmung, die das neue Italien erfasst hatte.

Sechzig Jahre später hat Pasolinis Italien-Reise entlang der Küste, die Grundlage für dessen zwischen Melancholie und zartem Optimismus changierenden Bildband „Die Lange Straße aus Sand“, einen anderen Filmemacher inspiriert.

Pepe Danquart nimmt sich in seinem Roadmovie „Vor mir der Süden“ genau so viel Zeit wie sein großes Vorbild, um im Italien der Gegenwart nach jenen Spuren zu suchen, auf die Pasolini bei seiner Reise gestoßen war. Anlass zum Optimismus besteht weniger denn je, aber Danquart lässt sich von den Menschen bewegen, die ihm auf seiner Fahrt begegnen.

Nicht immer sind ihre Geschichten hoffnungsvoll, Pasolini hat sich auf traurige Weise als Prophet erwiesen. Der Individualtourismus, als den man seinen Solotrip rückblickend beschreiben könnte, hat zu den schlimmsten Verwerfungen geführt. Männer erzählen beim Flicken der Netze vom Niedergang der Fischerei, heute fahren die Capri-Fischer Touristen spazieren. Ganze Küstenstreifen sind von der Schwerindustrie verschandelt.

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Aber der Romantiker Danquart hält die Stimmung leicht, ganz im Geiste Pasolinis, der zum Zeitpunkt seiner Reise noch nicht an seinem Land verzweifelt war. „Meine Reise zieht mich nach Süden, wie in süßem Zwang“, erzählt er aus dem Off. Der Regisseur zeigt sich nie im Bild, unsere Aufmerksamkeit soll den Menschen gelten: den jungen Afrikanern, die es zu einem bescheidenen Leben in Palermo gebracht haben. „Europa existiert nur im Kopf“, sagt einer.

Die Körnigkeit des eingestreuten Super8-Materials evoziert Erinnerungsbilder, tatsächlich sind es Aufnahmen von Kameramann Thomas Eirich-Schneider. Danquart scheint mehr einem Bewusstseinsstrom zu folgen als der fixen Vorstellung von einem Land. „Ich verirre mich in den vielen Kalabriens“, meint er auf seiner Traumreise gen Süden.

Eindrucksvoll ist das Pasolini-Bild, das Danquart auf der Fahrt zutage fördert. Die Italiener:innen – ältere Damen mit gefärbten Haaren, Bauarbeiter, junge Rockmusiker – erinnern sich sehr lebendig an ihren größten Filmemacher; ein Gesprächspartner zitiert sogar ein Gedicht von Pasolini, dessen Gesicht im Süden Hauswände ziert. Unwillkürlich fragt man sich, wie das hierzulande heute wohl mit Fassbinder wäre. Der Meister kommt in einem alten Interview am Strand selbst kurz zu Wort. Konsum sei der neue Faschismus, sagt er. Doch aus dem offenen Seitenfenster eines alten Fiat sieht die Welt gleich viel freundlicher aus.

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